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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

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Schmid, Andreas: Kunstsymbolik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0231

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363

1904.— ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

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legten die Heiden symbolische Attribute bei,
z. B. hat Diana einen Hirsch, Apollo eine
Kithara und Äskulap eine Schlange, der Horus
seinen Sperber. Man darf sich daher nicht
wundern, daß auch im Christentum, nach-
dem Christus in seiner bilderreichen Sprache
mit seinem Beispiele vorangegangen war und
nachdem die vorchristliche ägyptische und
griechische Kunst Symbole in ihren Werken
hinterlegt hatte, von den ersten Jahrhunder-
ten die symbolische Sprache sehr beliebt war.
Unter den apostolischen Vätern ragt in dieser
Beziehung der sog. Barnabasbrief hervor, und im
zweiten Jahrhundert überträgt die Alexandri-
nische Schule die allegorisierende, d. h. symbo-
lische Auslegung schon auf die gesamte hl.
Schrift. Im dritten Jahrhundert verlangen die
apostolischen Konstitutionen, das Kirchenge-
bäude seh aue gegen Osten, sei länglich und gleiche
einem Schiffe5) und beim Gebete sollen die
Gläubigen gegen Sonnenaufgang sich wenden,
weil das Paradies gegen Aufgang gelegen ge-
wesen sei! Man darf ohne Bedenken sagen,
daß den Christen der ersten Jahrhunderte die
symbolische Sprache in Kult und in der Kunst
viel geläufiger war als den Christen des XX. Jahr-
hunderts. Um das Jahr 140 n. Chr. entstand
schon der griechische Physiologus, und aus den
Schriften des hl. Augustinus stellte man einen
Clavis symbolischer Deutungen zusammen, be-
kannt und veröffentlicht von Pitra unter dem
Namen Melito von Sardes.6) Eine ähnliche
Schrift stammt um die Mitte des fünften Jahr-
hunderts von Eucherius, Bischof von Lyon.
Ausgebildet wurde die Symbolik im Mittelalter
durch die Liturgiker Isidor Hispal, Rhabanus
Maurus, Honorius von Antun, Sicard von
Cremona und den Bischof von Mende, Duran-
dus in seinem Rationale officiorum. Es ist
nicht zu leugnen, daß vom XVI. Jahrh. die
Symbolik aus der Kunst mehr verschwand
und heutzutage etwa noch einen Namen Jesu,
Maria, Pelikan, Lamm, das Herz Jesu, Palme
und dergl. umfaßt; allein das Tridentinum
billigt diesen spärlichen Gebrauch nicht, sondern
verlangt, dafs die Gemüter der Gläubigen durch
diese sichtbaren Zeichen der Religion und
Gottesfurcht zur Betrachtung der so erhabenen
Dinge, welche im hl. Meßopfer verborgen sind,
angeeifert werden.') Es klingt wie ein Hohn,
gerade die meisten altchristlichen Symbole
aus der Pflanzen- und Tierwelt sich mehr in den

*) Const. ap. II, 57.

Namen der Gasthäuser (Adler, Löwe, Engel,
Kreuz, Lamm) erhalten hat als in den Kirchen.
Wer nach dieser geschichtlichen Entwick-
lung der kirchlichen Symbolik noch ihren
Bestand und ihre Berechtigung leugnen will,
muß der Kunst nach Ansicht einzelner Formal-
ästhetiker den Inhalt selbst absprechen und
ihren belehrenden Zweck in Frage stellen;
dagegen aber spricht der Begriff der Kunst
überhaupt als Ausdruck von Ideen und der
Gebrauch, welchen auch die moderne Pädagogik
von der Anschauungsmethode macht.

2. Die Schriftgelehrten unterscheiden einen
4fachen Schriftsinn, einen Literal-, allegorischen,
anagogischen, tropologischen Sinn. Dieselben
Kategorien lassen sich auch in der kirchlichen
Kunst auf das ganze Kirchengebäude und auf
die einzelnen Teile anwenden, z. B. das Altar-
kreuz erinnert uns an den Kreuzestod Christi
(Literalsinn), ermahnt zum Glauben an Christum
den Gekreuzigten (allegorisch) und an unsere
Abtötung (tropologisch) und an unsern Sieg
in Christo (anagogisch).

3. Wenn es nach dem Gesagten große
Unkenntnis verrät, alle Symbolik aus der
kirchlichen Kunst verbannen zu wollen und
bei Neubauten oder Restaurationen nur den
kunstgeschichtlichen archaistischen Standpunkt
geltend zu machen, so muß doch auf der an-
dern Seite gewarnt werden, die Symbolik nicht
zu übertreiben und nach Art der mittelalter-
lichen Liturgiker an alle Kleinigkeiten und
an jeden Schnörkel einen oder lieber noch mehr
Gedenkzettel zu heften, deren Schrift und In-
halt niemand mehr zu entziffern versteht. In
der Mathematik gilt das Gesetz: Zwei Dinge,
welche einem dritten gleich sind, sind auch
unter sich gleich. Diesem Gesetz muß auch
jedes Symbol unterliegen, mit andern Worten:
Es muß ein dritter Vergleichungspunkt (tertium
comparationis) vorhanden sein, z. B. Christus
erleuchtet (Joh. 1, 9) und das Licht erleuchtet;
daher kann Christus einfach Licht genannt
werden und die Altarkerze symbolisiert Chri-
stum, das Licht. Man kann vielleicht sagen,
daß die kirchliche Symbolik gerade deshalb in
gewissen Kreisen in üblen Verruf gekommen
ist, weil sie in Künstelei ausartete und unver-
ständlich wurde. Daher soll der Vergleichungs-
punkt nicht allzusehr im Dunklen liegen.

München. Andreas Schmid.

6) Näheres Tübinger Quartalschrift 1896 S. 628 ff.

7) Sess. 22 cap. 5.
 
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