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Zeitschrift für christliche Kunst — 20.1907

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Bone, Karl: Grenzen der christlichen Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4119#0212

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335

1907. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

336

Grenzen der christlichen Kunst.1)

(Mit 2 Abbildungen.)

ohl spricht man hier und da noch
von einem „protestantischen Chri-
stus", von einem „jansenistischen
Kruzifix", aber entweder neh-
men solche Bezeichnungen auf den Ursprung
oder den Standort einer neueren Darstel-
lung Bezug, oder es kommen konfessionelle
Unterscheidungen in Betracht. In manchem
strengkatholischen Hause mag sich ein Kruzifix
befinden, das in gewissen Kreisen als prote-
stantisch2) oder jansenistisch gilt! Die Eigen-
art, die die letzteren Bezeichnungen begrün-
dete oder begründen könnte, weicht von dem
Alttraditionellen so wenig ab, daß sie von dem
frommen Eigentümer sogar dann nicht emp-
funden wird, wenn Unterscheidungslehren da-
durch zur Anschauung gebracht erscheinen.
Der wievielste Erwerber eines Kruzifixes achtet
wohl darauf, ob der Gekreuzigte die Arme
horizontal weit ausgespannt hält oder ob sie
von vden Schultern fast senkrecht zu den
Nägeln in den Händen emporsteigen ? Und
doch entspricht, wie manche meinen, nur das
erstere Kruzifix der katholischen Lehre, daß
Christus für alle Menschen gestorben sei und
seine Arme daher alle umfassen möchten,
während das jansenistische Kruzifix den Ge-
kreuzigten mit den angeschlossenen, fast parallel
erscheinenden Armen nur den auserwählten
Teil der Menschen umfassen läßt. Weil
aber der traditionell feststehenden Vorstellungen
so viele sind und der größte Teil davon tief-
greifende und ideenreiche Bedeutung hat, so
muß der christlich-kirchliche Künstler entweder
eine sehr ausgebreitete Kenntnis hinsichtlich
dieser Dinge besitzen, um nicht bei dem Kun-
digen, sei er auch von Vorurteilen noch so frei,
anzustoßen und unangenehm zu berühren statt
zu erbauen und zu erheben, oder er muß sich
stark wissen, etwas zu schaffen, was, über die
Tradition hinwegschreitend und sie als zeitwidrig
oder gar aus Mißverständnissen entsprungen
erweisend, augenblickliche oder dauernde Gel-

*) Die in der vorigen Nummer erwähnte für 1908
geplante Ausstellung für Christliche Kunst mußte
infolge zwingender Hindernisse auf das kommende
Jahr verschoben werden.

J) Der Ausdruck „Protestantischer Christus" knüpft
sich daran, daß Friedrich Wilhelm IV. die in der
Sayner Hütte gegossenen schwarzen eisernen Kruzifixe
bei der Armee einführte; diese Sayner Kruzifixe be-
kamen jenen Namen im Volke, ohne deshalb vom
katholischen Hause abgelehnt zu werden.

tung in Anspruch nehmen kann, also etwas zu
schaffen, was nicht nur dem Inhalte nach an-
erkannt wird, sondern auch der Empfindung
entspricht, die dadurch in christlichem Sinne
angeregt sein will. Jene Kenntnis zu erwerben,
ist kein geringes Werk, und derer, die sie be-
saßen, sind zwar im Mittelalter viele gewesen,
in der neueren Zeit aber hat ihre Zahl, wie
im allgemeinen, so namentlich auch unter den
Künstlern sehr abgenommen. Die Nazarener,
ein Veit3), ein Overbeck, besaßen noch ein hohes
Maß dieser Kenntnis, und in bewunderndem
Staunen hörte man sie die eignen Werke und
die Werke ihrer mittelalterlichen Vorbilder aus-
legen und in unscheinbaren Einzelheiten wohl-
erwogene und traditionell gewährleistete Aus-
drucksweisen für gehaltreiche christliche Ideen
aufzeigen, die den eigentlichen Gegenstand
der Darstellung zu vertiefen, zu beleuchten, zu
erweitern die Kraft haben. Das lernt sich
nicht so nebenher auf der Akademie, und der
Entschluß, christlich-kirchlicher Künstler zu
werden, bedeutet unendlich viel mehr, als die
Entscheidung, ob man sich der Figuren-, Tier-
oder Landschaftsmalerei widmen wolle. Wer
freilich meint, mit etwas durchsichtig weißer Haut
und rosaroten Wangen, mit verzückten Mienen
und einem Heiligenschein usw., sei alles abgetan,
der mag auch alsbald wähnen, er sei recht
eigentlich ein christlicher Künstler, und ahnt
nicht, wie weit er davon entfernt ist. Nun
ist aber diese ausgebreitete und tiefere Ein-
sicht keineswegs eine Kenntnis, die nur den
Künstler angeht, und die, wenn sie von diesem
in neuerer Zeit vernachlässigt worden ist, nur von
ihm wieder mit größerem Eifer gepflegt werden
müßte. Auch dem christlichen Volke jeder
Konfession, ja auch den Kunstgelehrten, ist
in den Entwicklungsgängen und Stürmen der
Zeiten viel verloren gegangen nach Inhalt und
Formen, was einen Teil der christlichen Kunst

3) s. Abbildung Nr. 10 Sp.309: Die Bergpredigt
vonPhil. Veit (nach einem Aquarell in meinem Besitz)
zum Vergleiche mit der weiter unter Sp. 341 folgenden
"Wiedergabe der Bergpredigt von E. v. Gebhardt
(Friedenskirche). Man beachte bei Veit das Monu-
mentale der ganzen Komposition und Auffassung, die
strenge Gliederung des Raumes, die ernste Anordnung
und Haltung der Umgebung, die erhabene Ruhe des
Redenden, der unter der Friedenspalme sitzt, dabei
die hervortretende Idealisierung des Ganzen ohne Wider-
streit mit der Natur; die mit alledem übereinstimmende
Farbengebung tritt ergänzend hinzu.
 
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