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Sommer, Gustav
Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen (Band 1): Die Kreise Zeitz, Langensalza, Weissenfels, Mühlhausen und Sangerhausen — 1882

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https://doi.org/10.11588/diglit.41153#0434

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Kunststatistische Uebersicht,

und dem südlichen Kreuzflügel, dessen entschieden frühgotlhsches Portal noch die
mit Säulen ausgesetzten abgetreppten Gewände des Romanismus zeigt, und das
darüber befindliche Rundfenster die ähnlich im Rome zu Limburg a. d. Lahn
vorkommenden Kreisfüllungen. Diese Theile der Kirche waren bei dem 1295 er-
folgten Tode Bischof Kristan’s von Samland soweit vollendet, dass er als voraus-
setzlicher Urheber des Baues seine Grabstätte im Chore finden konnte. Alles
Uebrige gehört der ersten Hälfte des 14. Jahrh. an. Der Portbau wurde vermuth-
lich durch Dietrich von Ammern, der von 1314 bis 1319 als Pfarrer an der Kirche
stand, gefördert und bis zu seinem 1353 erfolgten Tode zu Ende geführt, wo auch
er in Anerkennung seiner Verdienste um die Erbauung des Gotteshauses sein
Grab im hohen Chor (s. oben S. 62) fand. Nächst der 1235 begonnenen, 1283 ge-
weihten, aber 1314 noch im Bau begriffenen Elisabethkirche zu Marburg ist die
Blasiuskirche zu Mühlhausen1 die älteste gothische Hallenkirche des Deutschen
Ordens, welcher seine Vorliebe für die gleich hohen Schiffe ebenfalls schon an der
in gothisirenden Uebergangsformen erbauten Kapelle von Ramersdorf (die jetzt
auf den Friedhof in Bonn versetzt ist) bekundet hatte. Für fränkische, vielleicht
selbst direct oberrheinische Studien des Baumeisters der Blasiuskmche spricht
sowohl die Fensterrose des nördlichen Kreuzarmes, welche wie die Rose an der
Westfapade von S. Lorenz in Nürnberg das reizende Motiv der berühmten Rose des
Strassburger Münsters befolgt, als auch das freie Steingegitter an dem betreffenden
Giebel, welches, ebenfalls vor den oberen Fenstern der Thürme von S. Lorenz
vorkommend, auf die Westfapade des Münsters zu Strassburg zurückzuführen ist,
deren Entstehung zwischen 1277 und 1318 fällt.
Ueber den Beginn des gothischen Prachtbaues der neustädtischen Pfarrkirche
S. Marien, welche erst 1243 an den Deutschen Orden übergegangen war, giebt
ein Ablassbrief von 1317 hinlänglichen Anhalt. Veranlassung des Neubaues
könnte die freilich nur ungenügend bezeugte Brandlegung der Stadt durch Fried-
rich den Gebissenen gegeben haben, wenn die ältere spätromanische Basilika da-
durch Schaden gelitten hätte. "Wäre dies aber auch nicht der Fall gewesen, so
bliebe immerhin die Annahme gerechtfertigt, dass die Ordenscommende der Neu-
stadt nicht bloss hinter dem Ordenshause der Altstadt nicht zurückstehen wollte,
sondern es sogar unternahm, die Blasiuskirche durch einen noch grossartigeren
Bau. zu übertreffen. Der Chor war bereits 1328 vollendet, der fünfschiffige Hallen-
bau des Schiffes aber scheint sich bis gegen das Ende des Jahrhunderts hinge-
zogen zu haben. Auf den Gedanken an fünf Schiffe konnte wohl nur der 1322
geweihte Cölner Domchor geführt haben, allein dies war eine Basilikalanlage nach
französischem Vorbilde, und die Uebertragung auf den bei dem Deutschen Orden
einmal beliebt gewordenen Hallenbau ist das unbestreitbare Verdienst des Mühl-
häuser Meisters. Das einzige Werk, das zur Vergleichung dienen könnte, ist
die leider nach einem Brande von 1472 veränderte Severikirche zu Er-

1 Viel Verwandtes mit derselben hat der Hallenbau des nach einem Brande von 1280 er-
bauten Schiffes der Klosterkirche in Nienburg a. d. S., und für einen gewissen Zusammenhang
beider Bauwerke kann angeführt werden, dass Bischof Kristall „7 Kal. Aug. 1290“ einen Ab-
lassbrief „ad structuram“ der Kirche in Nienburg erliess. Vcrgl. Herquet, Kristan von Mühl-
hausen S. 61.
 
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