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Sommer, Gustav
Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen (Band 1): Die Kreise Zeitz, Langensalza, Weissenfels, Mühlhausen und Sangerhausen — 1882

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https://doi.org/10.11588/diglit.41153#0435

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Kunststatistische Uebersicht.

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fort.1 Hier ist das Verhältnis! der Stärke der Pfeiler zwischen den Seitenschiffen
zu der Weite der Seitenschiffe von Pfeilerachse zu Pfeilerachse —1:10, während
in Mühlhausen dasselbe mehr beträgt, aber einestlieils sind sie doch wesentlich
schwächer als die Hauptpfeiler (etwa im Verhältniss der Seite zur Diagonale^
anderntheils scheint (nach Ungewitter, Lehrbuch der gotli. Constructionen
S. 350) eine von der jetzigen abweichende und diese Zwischenpfeiler stark be-
lastende Dachanlage beabsichtigt oder ausgeführt gewesen zu sein. Leider hat
die gegenwärtige unglückliche Dachconstruction auf die Stabilität des stark ge-
fährdeten herrlichen Gebäudes auf das nachtheiligste gewirkt. Analoga zu den
Staffelgiebeln über den Kreuzfronten und den Langschiffen finden sich an der
Bergkirche zu Langensalza, inschriftlich datirt von 1394 (vergl. Heft II. S. 41 und
44) und am Westgiebel der Kirche von Schulpforta, der dem ganzen Stile nach
offenbar dem 14. Jahrh. angehört und nur infolge eines Missverständnisses bei
Corssen (Alterthiimer und Kunstdenkm. zu Pforta S. 267ff) in die Zeit um 1436
bis 1442 versetzt werden konnte. — Ihrem Flächeninhalte nach (s. oben S. 78) ist
die Marienkirche zu Mühlhausen nächst dem Erfurter Dom die grösseste Kirche in
Thüringen und nimmt unter den Kirchen der Provinz Sachsen die vierte Stelle ein.2
Die Nebenkirchen Mühlhausens fallen dem Baustile zufolge sämmtlich ins
14. Jahrh., wie bei mehreren derselben auch durch urkundliche Nachrichten be-
stätigt wird. In die erste Hälfte des Jahrhunderts gehören: die Hauskapelle
S. Anna, die Kirchen S. Georg und S. Jacobi, der Thurm der Nicolaikirche und
die Brückenklosterkirche; in die zweite Hälfte: die schöne sechseckige Kapelle bei
S. Georg, die Kirchen S. Kilian, Allerheiligen, S. Antonius, S. Petri und S. Martin
(letztere mit Ausnahme des späteren Chores) und der östliche Theil der Barfüsser-
kirche. Die Petrikirche (gegr. 1356) ist das einzige Gebäude, an dem sich schon
spielende Maasswerkformen zeigen, während an allen übrigen Kirchen nur die
reinsten Elemente Vorkommen. Sämmtliche Kirchen der Stadt gehören derselben
Bauschule an, und ihre Architektur steht unter dem erklärlichen Einfluss der
beiden Hauptkirchen, zumal sie fast alle wie diese unter der nachweislichen
Leitung des Deutschen Ordens entstanden sind. Für die Baukunst dieses Ordens,
sowie überhaupt für die deutsche Gothik des 14. Jahrh. ist Mühlhausen deshalb
von besonderer Wichtigkeit.
Die 1577 abgetragene Johanneskirche allein war als Annex des Antonius-
hospitals städtischen Patronats und dem Pfarrzwange der Ordenskommenden ent-
zogen : es war sehr wahrscheinlich ein in Fachwerk ausgeführter Holzbau (aus der
Mitte des 14. Jahrhunderts), dessen interessanter letzter Ueberrest (die sogen.
Jodocuskapelle) seit 1846 leider nicht mehr existirt.
Als allgemeiner technischer Fehler der Mühlhäuser Kirchenbauten erscheint
die nicht mit gehöriger Berechnung ausgeführte Fundamentirung (s. oben S. 46);
aber ähnliche Sorglosigkeit im Grundbau kommt im Mittelalter nicht allzuselten
und namentlich in solchen Gegenden vor, wo man an Holzbau gewöhnt war.
1 Yergl. den Grundriss in v. Wiebeking, Bürgerl. Baukunde auf Taf. 91. Die sehr
eigenthiimliche Bildung der Mittelschiflpfeilcr s. in Kugle r, Gesch. der Baukunst 3,395 (nach
Kallenbach, die Baukunst des deutschen M.-A., Atlas Taf. 74).
2 Yergl. die Uebersicht bei Otte, Kunstarchäologie S. 82.
 
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