Metadaten

Gast, Uwe; Rauch, Ivo
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Oppenheim, Rhein- und Südhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2011

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.52850#0171

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
I/O

HERRNSHEIM • GOTTLIEBENKAPELLE

Geschichte der Sammlung: Obwohl von einer Sammlung weder hinsichtlich des Umfangs noch im musealen Sinn
die Rede sein kann, so konstituiert sich die glasmalerische Ausstattung des in den Jahren 1891/92 von dem Münchener
Architekten Gabriel von Seidl als Privat- und Grabkapelle2 3 errichteten Anwesens auch aus Stücken, die dessen Bau-
herr - der im Jahr 1886 geadelte und in den Freiherrenstand erhobene Industrielle und Politiker, Mäzen und Kunst-
sammler Cornelius Wilhelm Freiherr von Heyl zu Herrnsheim (1843-1923) - im ausgehenden 19. Jahrhundert zusam-
mengetragen hatte. Hierzu gehören die zwei (bzw. ursprünglich drei) Fragmente aus Hauterive und die Rundscheibe
mit dem Agnus Dei; sie stammten aus der 1891 aufgelösten Sammlung Vincent in Konstanz und waren - wie andere
Scheiben auch - von dem Freiherrn von den Kölner Händlern Bourgeois erworben worden4. Heute befinden sie sich
unterhalb einer 1932 datierten Darstellung des gekreuzigten Christus im Weinstock, wo sie nur indirekt Licht durch
eine Glasplatte in dem das Fenster zur Hälfte verdeckenden Vordach über dem Sakristeieingang erhalten. Sie sind in
eine Blankverglasung eingelassen, die Ellen J. Beer zufolge aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stammt und ei-
nen ursprünglich farbigen Grund ersetzt hatte5. Es ist jedoch auch möglich, dass schon zusammen mit dem Einbau des
Christus-Fensters 1932 die farbige Erstverglasung von 1892 modifiziert und der Raum etwas heller gestaltet wurde.
Vorbemerkung zum Katalog: Die Rundscheibe mit dem Agnus Dei wurde im Dezember 2008 unter widrigen Bedin-
gungen in situ untersucht und fotografiert; ihre Außenseite konnte dabei aufgrund der unglückseligen Einbausituation
nicht in Augenschein genommen werden.

LANGHAUSFENSTER ost I

Fig. 102, Abb. 61

1. /3. ADLER, MIT SEINEN JUNGEN IM NEST SITZEND/
STRAUSS, MIT SEINEM BLICK DIE EIER AUS-
BRÜTEND
H./B.: 20,8/26-27 cm bzw. 20,5/24 cm.
Ehemals Hauterive (Kt. Fribourg), Zisterzienser-Kloster-
kirche, Chor I, Maßwerkverglasung. 2. Viertel 14. Jh.6.
CVMAE oSAoif.
2. AGNUS DEI Fig. 102, Abb. 61
Süddeutschland oder Schweiz, 1. Hälfte 14. Jh.
Durchmesser 25 cm.
Von den Händlern Bourgeois Freres, Köln, im Jahr 1891 er-
worben. Vormals Slg. Vincent, Konstanz. Der ursprüngliche
Standort ist unbekannt.
Bibliografie: Katalog für die Schweizerische Abtheilung der
Wiener Welt-Ausstellung 1873, Winterthur 1873, S. 220,
Nr. 829/2 (»Rundscheibe. Agnus Dei. XIV. Jahrhundert.«); AK
Zürich 1883, S. 56, Nr. 75 (wie AK Wien 1873); Rahn 1890,
S. 187, Nr. 5 (knappe Beschreibung mit Erhaltungsangabe,
sonst wie AK Wien 1873); Auktionskat. Köln, Slg. Vincent,
1891, S. 1, Nr. 5 (wie Rahn 1890); s. auch Bibliografie S. 169.
Erhaltung: Teile des Lammes, des Kreuzstabes bzw. der Kreuz-
fahne sowie des roten Hintergrundes sind wohl schon im 19. Jh.

ergänzt worden. Auf den originalen roten Glasstücken sind in-
nenseitig starke Verwitterungsspuren sichtbar. Eventuell Über-
malungen. Stark geflickte Verbleiung.
Ikonografie, Komposition, Farbigkeit: Vor rotem Hintergrund
steht ein weißes Lamm mit goldgelbem Kreuznimbus, gelbem
Kreuzstab und blauer Fahne als Symbol der siegreichen Auf-
erstehung Christi. Es dürfte ursprünglich im Zentrum eines
Drei- oder Vierpasses gestanden haben.
Stil, Datierung: Die kleine Scheibe bietet kaum Anhaltspunkte
für ihre Einordnung. Im Hinblick auf das bevorzugte Sam-
melgebiet Jean-Nicolas Vincents ist aber in erster Linie an eine
Herkunft aus Süddeutschland oder der Schweiz zu denken; die
etwas fahrige Art der Bemalung und die Form des Auges erin-
nern dabei an Arbeiten der ersten Hälfte des 14. Jh.
CVMA E 08/200

Fig. 102. ES Nr. 2.
M 1:15


Vorbild der auch für Gottesdienste der kleinen evangelischen Ge-
meinde genutzten Anlage war St. Clemens in Trechtingshausen. Zu
Bau und Ausstattung s. Spille 1992, S. 202, 204, Spille/Böcher
2005, S. 782!., sowie neuerdings Ferdinand WERNER/Gerold Bon-
nen, Gabriel von Seidl und die Gottliebenkapelle in Herrnsheim, in:
Die Wormer Industriellenfamilie von Heyl. Öffentliches und privates
Wirken zwischen Bürgertum und Adel, hrsg. von Gerold Bönnen und
Ferdinand Werner, Worms 2010, S. 397-412. Zu Gabriel von Seidl
s. den Eintrag in: T/B, XXX, 1936, S. 458, und zuletzt Veronika Hofer

(Hrsg.), Gabriel von Seidl. Architekt und Naturschützer, München
2002.
4 Rahn 1890, S. 187, Nr. 4; Auktionskat. Köln, Slg. Vincent, 1891,
S. 1, Nr. 4. - Zur Sammlungsgeschichte vgl. den Eintrag zu Worms,
Museum Heylshof, S. 451!.
5 Vgl. Beer 1965, S. 94. - Für das Fenster im Kreuzgang (s. Anm. 2)
ist eine Wiederherstellung im Jahr 1954 durch die Werkstatt Großkopf,
Karlsruhe, inschriftlich belegt.
6 Vgl. hierzu die Bemerkungen unter »Gegenwärtiger Bestand«.
 
Annotationen