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Gast, Uwe; Rauch, Ivo
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Oppenheim, Rhein- und Südhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.52850#0175

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174

HIRSCHHORN • EHEM. KARMELITERKIRCHE UND -KLOSTER


Fig. 105. Allianzwappen Hirschhorn/Dhaun. Hirschhorn,
ehern. Karmeliter-Klosterkirche, Lhs. n V.
Heidelberg (Kamberger-Werkstatt), um 1509.

Ikonografie, Komposition: Über einer Sockelleiste mit In-
schrift, die an die 1426 und 1421 (?) verstorbenen Gründer des
Klosters erinnert und zum Gebet für sie auffordert, erscheinen
in einer von Säulchen gerahmten, das Fenstergewände optisch
vertiefenden Nische zwei in Form und Größe nicht zueinander
passende Wappen. Der größere, heraldisch rechts erscheinende
Schild ist einschließlich seines Helms - die goldene Krone mit
den roten und goldenen Hirschstangen als Zier und die roten
und goldenen Decken gehören zum ursprünglichen Bestand -

durch einen etwas kleineren Schild zu ersetzen, der jenem des
Vollwappens der Wild- und Rheingrafen (Geviert; 1+4: in Gold
ein roter Löwe; 2+3: in Schwarz ein silberner Löwe; Helmzier:
ein silberner Hut mit zwei Federstößen; Decken: ganz silbern)
entsprochen haben muss und, den eingeflickten Stücken ent-
sprechend, in Gold eine rote Hirschstange zeigte13; Teile dieses
Schildes sind als gelbe bzw. gelb/rote Flickstücke oben links
und rechts sowie in der Mitte erhalten14. Der Schild stand auf
einem kassettierten Boden und war dem in ursprünglicher Po-
sition stehenden wild- und rheingräflichen Wappen in Courtoi-
sie zugeneigt; die heute anstelle des Bodens eingeflickten Stücke
gehörten - wie auch ein großes Flickstück über dem Wappen
von Venningen aus Ersheim(?) (Abb. 44) - zur ursprünglichen
Astwerkbekrönung der Scheibe, die somit bei gleicher Breite
etwas höher gewesen sein muss.
Ornament: Als Fond ein großflächiges Stück blauen Damast-
grundes (Muster III, 16), der mit einem weiteren Fragment in
dem Pasticcio in Büdingen überliefert ist (Abb. 43). Eine Vari-
ante dieses Damastgrundes ist in Ersheim verwendet worden
(Abb. 44, 50).
Farbigkeit, Technik: Die gegenüber den Wappen recht blass er-
scheinende, mit grau-schwarzer und wässriger, rötlich-brauner,
auch rückseitig aufgetragener Lotfarbe gemalte Nische trat als
Architektur ursprünglich wohl deutlicher hervor. Mit großem
technischem Aufwand ist der Schild mit dem wild- und rhein-
gräflichen Wappen gearbeitet, wo anscheinend ein ausgeschlif-
fenes oder -geätztes rotes, rückseitig mit Silbergelb bemaltes
Überfangglas Verwendung fand15.
Stil, Datierung: Obwohl sich nicht viele Vergleichsmöglich-
keiten bieten, lässt sich die Wappenscheibe aus dem Kapitel-
saal eindeutig als ein etwas älteres Produkt jener in Heidelberg
ansässigen Werkstatt bestimmen, aus der auch die Farbvergla-
sung des 1517 fertig^estellten Chores der Ersheimer Kirche
hervorgegangen war 6. Dafür sprechen die bereits erwähnte
Verwandtschaft im Ornament und die ähnliche Gestaltung der
Wappen. Ein enger, in der Wahl derselben Werkstatt begrün-
deter Zusammenhang zwischen beiden Verglasungen ist ange-
sichts der wohl direkt miteinander verwandten Fensterstifter
hier und dort eine ohnehin naheliegende Vermutung. Vgl. auch
Kunstgeschichtliche Einleitung S. 67.
Heidelberg (Kamberger-Werkstatt), um 1509.
CVMA G 8843

ANHANG: VERLORENE GLASMALEREIEN
Nachdem der Amtsverweser Werle bereits im Jahr 1803 die hier behandelte Scheibe aus dem Kapitelsaal nach Darm-
stadt übersandt hatte, ließ er 1807 weitere in der Karmeliten- und Kirche Ersheim [.. .J vorfindlich gewesene alte Glas-

burg, StA, Mainzer Urkunden, weltlicher Schrank 53, Nr. 57), wäh-
rend sie zur Zeit der Abfassung einer Urkunde vom 8. Sept. 1425 noch
gelebt haben könnte (vgl. Eckhardt 1976, S. 79E, Nr. 48).
D Aus welchem Kontext der eingeflickte Schild mit Helm stammt, ist
nicht eindeutig zu klären. Von den erhaltenen Schilden des Ersheimer
Bestandes weicht er ab (vgl. Abb. 44, 47k). Er könnte, ohne dass es
Belege dafür gibt, mit Wappenscheiben aus der Anna-Kapelle an der
Klosterkirche zu verbinden sein, was seine stilistische Verwandtschaft
mit den Ersheimer Scheiben erklären würde und sich zudem mit der

Überlieferung in Einklang bringen ließe, dass mehr als nur eine Schei-
be aus Hirschhorn nach Darmstadt gelangt war (s. Anhang).
14 Der zugehörige Helm ist wahrscheinlich in der Scheibe in Büdin-
gen überliefert (Abb. 43), wie bereits Hess 1999, S. 77 (Nr. 3), vermutet
hat.
15 Technisch eng verwandt ist das Wappen der Ottilie von Katzeneln-
bogen in einer Stifterscheibe auf Schloss Altshausen; vgl. AK Heidel-
berg 1986, Abb. S. 255.
16 So schon Beeh-Lustenberger 1973, S. 218.
17 Vgl. hierzu S. 172, 174, Anm. 6, 13.
 
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