EHEMALS NECKARSTEINACH • PFARRKIRCHE
209
1812 waren anscheinend noch fünf alte Scheiben vorhanden (s. Bibi.), die auf drei Fenster in Chor und Langhaus ver-
teilt gewesen sein müssen (s. Reg. Nr. 41)9. Ihre Reste wurden 1863 im Chor zusammengeführt und in neue farbige
Fenster integriert (s. Reg. Nr. 43). Im Rahmen der Renovierung 1906/07 wurden jene »modern-bunte[n] Fenster« im
Chor durch eine Blankverglasung ersetzt10. Die vier mittelalterlichen Scheiben, deren Restaurierung Pfarrer Schnei-
der bereits 1892 moniert hatte, wurden »im Mittelfenster zusammengestellt« (Fig. 140); ihre Restaurierung erfolgte
erst 1911 in der Werkstatt Meysen & Beck in Heidelberg11. Zwei Jahrzehnte später befanden sie sich abermals in »be-
denklich schlechtem Zustande«12. Ihre neuerliche Restaurierung wurde von Otto Linnemann, Frankfurt am Main,
im Hessischen Landesmuseum Darmstadt vorgenommen, wohin die Scheiben anlässlich der Ausstellung »Deutsches
Glas« (Sommer 1935) von der evangelischen Kirchengemeinde Neckarsteinach bis zum Mai 1936 ausgeliehen worden
waren. Bereits im darauf folgenden Monat wurden sie vom Museum erworben, wobei die dazu nötigen Vorbereitungen
noch während der Ausleihe getroffen worden waren und die Umstände des Ankaufs stets einen unangenehmen Bei-
geschmack behalten haben13. Denn ermöglicht wurde er erst durch ein Gutachten von Erich Mindner, dem damals
zuständigen Denkmalpfleger(!) für die Provinz Starkenburg, der in unverständlicher, ja nachgerade anrüchiger Weise
die Ansicht vertrat, die Scheiben seien einmal zufällig in die Kirche von Neckar-Steinach gelangt, womit er sie zur
Veräußerung freigab. Als dann nach dem Verkauf in den Gutachten von Wilhelm Diehl, dem ehemaligen Präsident
der Evangelischen Landeskirche in Hessen, und dem Baurat i. R. Karl Krauß nachgewiesen werden konnte, dass sie
- womöglich in betrügerischer Absicht - von ihrem ursprünglichen Bestimmungsort entfernt worden waren, geriet die
Angelegenheit zum Politikum. Sowohl die Kirchengemeinde als auch die Landeskirche und die geläuterte Denkmal-
pflege drängten nun ebenso umgehend wie anhaltend auf eine Rückgabe, der das Museum sich aber beharrlich zu wi-
dersetzen wusste. Auf Nachfragen erklärten August Feigel, der ehemalige Direktor des Hessischen Landesmuseums
Darmstadt, und sein einstiger Assistent Heinz Merten in den Jahren 1948 und 1953 übereinstimmend, im Interesse
des Landes Hessen und der Objekte und im Übrigen mit lauteren Mitteln gehandelt zu haben: Der Verkauf erfolgte
freiwillig und ohne jeden Druck von unserer Seite, wir haben lediglich die Abwanderung der Scheiben aus der Heimat
(nach Nürnberg; U.G.) verhindert und diese Kunstwerke dem Land erhalten. Und das war unsere Pflicht, antwortete
Merten in strammem Ton auf einen Brief von Direktor Erich Wiese in Darmstadt. Der Streit wurde beigelegt, nachdem
das Land Hessen 1958 eine neue Verglasung für den Chor der Neckarsteinacher Kirche gestiftet hatte.
Erhaltung: Trotz eines hohen Anteils an alter Glassubstanz ist der Zustand der Scheiben vor allem dadurch gestört,
dass drei der vier Felder bei ihrer 1863 erfolgten Versetzung in den Chor links bzw. rechts jeweils um mehrere Zen-
timeter beschnitten worden sind (Nr. 182-184); bei der Scheibe mit der Muttergottes im Strahlenkranz fehlt zudem
unten ein ca. 30-35 cm hohes Stück (Nr. 184). So hat lediglich die Scheibe mit Kurfürst Philipp dem Aufrichtigen ihre
originale Größe bewahrt (Nr. 181). Davon abgesehen sind die Scheiben in einem hervorragenden Zustand erhalten: Die
Ergänzungen beschränken sich weitgehend auf die rahmenden Architekturen und die Damastgründe, während bei den
Figuren nur einzelne Gewandpartien ausgebessert worden sind (vgl. Fig. 140, 144-146, 148); Schädigungen der origi-
nalen Glassubstanz durch Lochfraß oder Wettersteinbeläge sind zwar vereinzelt zu beobachten, doch beeinträchtigen
sie die Lesbarkeit nur geringfügig; die Bemalung ist größtenteils intakt; die Bleinetze sind durchweg erneuert.
9 Vgl. auch Kdm. Hessen, Kr. Bergstraße, 1969,1, S. 393.
Vgl. Georg Wickop, in: JberDpflGH 1, 1902-1907, S. 43. Lediglich
in den Kopfscheiben und im Maßwerk wurde die ornamentale Farbver-
glasung aus der Mitte des 19. Jh. beibehalten (Fig. 140).
11 Zu diesen Vorgängen s. Georg Wickop, in: JberDpflGH 2, 1908
bis 1911, S. 116, und 3, 1910-1913, S. 129. Der schließlich gefundenen
Lösung waren »längere Unterhandlungen«, wie Wickop schreibt,
vorausgegangen, da die Gemeinde ursprünglich ein von Hans Müller-
Hickler, Darmstadt, entworfenes Glasgemälde für den Chor wünschte,
was auf heftigen Widerstand aufseiten der Denkmalpflege stieß;
s. Neckarsteinach, PfA, Best. 2/19/60, Einl. 3 (Glasmalereien in der
Kirche 1906/07). Letzteres Konvolut enthält auch den Bericht über
den Zustand der kirchlichen Gebäude im evangelischen Kirchspiel
Neckarsteinach vom 12. Dez. 1892 von Pfarrer Schneider.
12 Merten 1933-1938 (s. Bibi.), S. 148.
13 Zum Verkauf der Neckarsteinacher Scheiben nach Darmstadt im
Juni 1936 und den bald darauf einsetzenden, bis in die Nachkriegszeit
andauernden Forderungen nach deren Rückgabe gibt es umfangreiche
Unterlagen in Form von Gutachten und Briefen, die aus Platzgründen
nicht in den Regestenanhang aufgenommen worden sind. Eingesehen
und für die folgende knappe Darstellung ausgewertet wurden die Ar-
chivalien in Darmstadt, HLM (Bildakte zu Inv. Nr. Kg 36:5-8), Eber-
bach, StadtA (Best. StadtA Neckarsteinach, Akte 353/1 und 360/1),
und Wiesbaden, HHStA (Best. 504, Hessisches Kultusministerium,
Nr. 6407), und LAD Hessen, Akte »Neckarsteinach«. Die Zitate stam-
men aus dem Gutachten von Prof. Erich Mindner vom 19. März 1936
(Wiesbaden, LAD Hessen) und einem Brief von Dr. Heinz Merten,
München, an Prof. Erich Wiese, Darmstadt, vom 22. Apr. 1953 (Darm-
stadt, HLM).
209
1812 waren anscheinend noch fünf alte Scheiben vorhanden (s. Bibi.), die auf drei Fenster in Chor und Langhaus ver-
teilt gewesen sein müssen (s. Reg. Nr. 41)9. Ihre Reste wurden 1863 im Chor zusammengeführt und in neue farbige
Fenster integriert (s. Reg. Nr. 43). Im Rahmen der Renovierung 1906/07 wurden jene »modern-bunte[n] Fenster« im
Chor durch eine Blankverglasung ersetzt10. Die vier mittelalterlichen Scheiben, deren Restaurierung Pfarrer Schnei-
der bereits 1892 moniert hatte, wurden »im Mittelfenster zusammengestellt« (Fig. 140); ihre Restaurierung erfolgte
erst 1911 in der Werkstatt Meysen & Beck in Heidelberg11. Zwei Jahrzehnte später befanden sie sich abermals in »be-
denklich schlechtem Zustande«12. Ihre neuerliche Restaurierung wurde von Otto Linnemann, Frankfurt am Main,
im Hessischen Landesmuseum Darmstadt vorgenommen, wohin die Scheiben anlässlich der Ausstellung »Deutsches
Glas« (Sommer 1935) von der evangelischen Kirchengemeinde Neckarsteinach bis zum Mai 1936 ausgeliehen worden
waren. Bereits im darauf folgenden Monat wurden sie vom Museum erworben, wobei die dazu nötigen Vorbereitungen
noch während der Ausleihe getroffen worden waren und die Umstände des Ankaufs stets einen unangenehmen Bei-
geschmack behalten haben13. Denn ermöglicht wurde er erst durch ein Gutachten von Erich Mindner, dem damals
zuständigen Denkmalpfleger(!) für die Provinz Starkenburg, der in unverständlicher, ja nachgerade anrüchiger Weise
die Ansicht vertrat, die Scheiben seien einmal zufällig in die Kirche von Neckar-Steinach gelangt, womit er sie zur
Veräußerung freigab. Als dann nach dem Verkauf in den Gutachten von Wilhelm Diehl, dem ehemaligen Präsident
der Evangelischen Landeskirche in Hessen, und dem Baurat i. R. Karl Krauß nachgewiesen werden konnte, dass sie
- womöglich in betrügerischer Absicht - von ihrem ursprünglichen Bestimmungsort entfernt worden waren, geriet die
Angelegenheit zum Politikum. Sowohl die Kirchengemeinde als auch die Landeskirche und die geläuterte Denkmal-
pflege drängten nun ebenso umgehend wie anhaltend auf eine Rückgabe, der das Museum sich aber beharrlich zu wi-
dersetzen wusste. Auf Nachfragen erklärten August Feigel, der ehemalige Direktor des Hessischen Landesmuseums
Darmstadt, und sein einstiger Assistent Heinz Merten in den Jahren 1948 und 1953 übereinstimmend, im Interesse
des Landes Hessen und der Objekte und im Übrigen mit lauteren Mitteln gehandelt zu haben: Der Verkauf erfolgte
freiwillig und ohne jeden Druck von unserer Seite, wir haben lediglich die Abwanderung der Scheiben aus der Heimat
(nach Nürnberg; U.G.) verhindert und diese Kunstwerke dem Land erhalten. Und das war unsere Pflicht, antwortete
Merten in strammem Ton auf einen Brief von Direktor Erich Wiese in Darmstadt. Der Streit wurde beigelegt, nachdem
das Land Hessen 1958 eine neue Verglasung für den Chor der Neckarsteinacher Kirche gestiftet hatte.
Erhaltung: Trotz eines hohen Anteils an alter Glassubstanz ist der Zustand der Scheiben vor allem dadurch gestört,
dass drei der vier Felder bei ihrer 1863 erfolgten Versetzung in den Chor links bzw. rechts jeweils um mehrere Zen-
timeter beschnitten worden sind (Nr. 182-184); bei der Scheibe mit der Muttergottes im Strahlenkranz fehlt zudem
unten ein ca. 30-35 cm hohes Stück (Nr. 184). So hat lediglich die Scheibe mit Kurfürst Philipp dem Aufrichtigen ihre
originale Größe bewahrt (Nr. 181). Davon abgesehen sind die Scheiben in einem hervorragenden Zustand erhalten: Die
Ergänzungen beschränken sich weitgehend auf die rahmenden Architekturen und die Damastgründe, während bei den
Figuren nur einzelne Gewandpartien ausgebessert worden sind (vgl. Fig. 140, 144-146, 148); Schädigungen der origi-
nalen Glassubstanz durch Lochfraß oder Wettersteinbeläge sind zwar vereinzelt zu beobachten, doch beeinträchtigen
sie die Lesbarkeit nur geringfügig; die Bemalung ist größtenteils intakt; die Bleinetze sind durchweg erneuert.
9 Vgl. auch Kdm. Hessen, Kr. Bergstraße, 1969,1, S. 393.
Vgl. Georg Wickop, in: JberDpflGH 1, 1902-1907, S. 43. Lediglich
in den Kopfscheiben und im Maßwerk wurde die ornamentale Farbver-
glasung aus der Mitte des 19. Jh. beibehalten (Fig. 140).
11 Zu diesen Vorgängen s. Georg Wickop, in: JberDpflGH 2, 1908
bis 1911, S. 116, und 3, 1910-1913, S. 129. Der schließlich gefundenen
Lösung waren »längere Unterhandlungen«, wie Wickop schreibt,
vorausgegangen, da die Gemeinde ursprünglich ein von Hans Müller-
Hickler, Darmstadt, entworfenes Glasgemälde für den Chor wünschte,
was auf heftigen Widerstand aufseiten der Denkmalpflege stieß;
s. Neckarsteinach, PfA, Best. 2/19/60, Einl. 3 (Glasmalereien in der
Kirche 1906/07). Letzteres Konvolut enthält auch den Bericht über
den Zustand der kirchlichen Gebäude im evangelischen Kirchspiel
Neckarsteinach vom 12. Dez. 1892 von Pfarrer Schneider.
12 Merten 1933-1938 (s. Bibi.), S. 148.
13 Zum Verkauf der Neckarsteinacher Scheiben nach Darmstadt im
Juni 1936 und den bald darauf einsetzenden, bis in die Nachkriegszeit
andauernden Forderungen nach deren Rückgabe gibt es umfangreiche
Unterlagen in Form von Gutachten und Briefen, die aus Platzgründen
nicht in den Regestenanhang aufgenommen worden sind. Eingesehen
und für die folgende knappe Darstellung ausgewertet wurden die Ar-
chivalien in Darmstadt, HLM (Bildakte zu Inv. Nr. Kg 36:5-8), Eber-
bach, StadtA (Best. StadtA Neckarsteinach, Akte 353/1 und 360/1),
und Wiesbaden, HHStA (Best. 504, Hessisches Kultusministerium,
Nr. 6407), und LAD Hessen, Akte »Neckarsteinach«. Die Zitate stam-
men aus dem Gutachten von Prof. Erich Mindner vom 19. März 1936
(Wiesbaden, LAD Hessen) und einem Brief von Dr. Heinz Merten,
München, an Prof. Erich Wiese, Darmstadt, vom 22. Apr. 1953 (Darm-
stadt, HLM).