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Gast, Uwe; Rauch, Ivo
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Oppenheim, Rhein- und Südhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2011

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.52850#0272

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OPPENHEIM • KATHARINENKIRCHE

271

für Glasmalerei« firmierte und in den i84oer-Jahren einige große, durchaus
bedeutende Aufträge auszuführen hatte69. Die künstlerische Arbeit lag aber
nicht bei Usinger selbst, sondern - auch in Oppenheim - bei Heinrich Horn
(1816-1874), einem aus Rostock gebürtigen, um 1840-1842 zunächst in Straß-
burg beschäftigten Glasmaler, der spätestens ab 1843 in Usingers Werkstatt
tätig war70. Horns umfangreiche, in der Ausführung so trockene wie plaka-
tive Ergänzungen in den Fenstern nord VIII-XI, süd IX und süd X geben der
Langhausverglasung bis heute ein unverwechselbares Gepräge. Auf der Nord-
seite gehen die Ergänzungen in Ikonografie, Komposition und Farbigkeit mit
wenigen Ausnahmen auf die Rekonstruktionsvorschläge Franz H. Müllers
zurück (vgl. Fig. 183, 189, 228E, 230L, 243, 253). Dabei dienten Müllers Blätter
in der Werkstatt als unmittelbare Vorlage und wurden auf Kartons im Maßstab
1:1 übertragen (Fig. 189E)71; größere Abweichungen sind nur bei den Figuren
der Maria mit Kind und der Stifter in nord VIII, des Henkers in nord X und
der Propheten in nord XI festzustellen. Obgleich unbekannt ist, wie viel origi-
nale Substanz letztlich aus den Fenstern der Nordseite entfernt wurde, so ging
man hier doch schonender vor als auf der Südseite, auf der man, wie bereits
angedeutet, zumindest bei den mittleren Fenstern einen Großteil der von Mül-
ler überlieferten mittelalterlichen Scheiben ausschied: in süd IX Reste von
Heiligen- und Stifterfiguren, in süd X alle erhaltenen Architekturbekrönungen
und kleinteiligen Ornamente (vgl. Fig. 232L, 260, 26j)72. Um beide Fenster
möglichst kostengünstig wiederherstellen zu können, sah man bei ihnen von
einer Anwendung historischer Figuren, wie solche früher in dem Mittelalter an-
gebracht waren, ab (s. Reg. Nr. 62) und gestaltete sie zu Ornamentfenstern um.
Doch nur in süd IX wurden die Ornamente nach dem vorhandenen Bestand


Fig. 190. Hl. Katharina. Karton der
Werkstatt Usinger für Lhs. n IX, 2/jf,
um 1843-1845. Speyer, Landesarchiv.

reproduziert. In süd X wurden sie - wie auch die Architekturbekrönungen - in
Anlehnung an die ausgeschiedenen originalen Scheiben in vereinfachter Form neu geschaffen (vgl. Fig. 263, Abb. 192);
ob ihr Entwurf auf Usinger, Horn oder den damals mit Usinger/Horn kooperierenden Bildhauer, Maler und Zeichner
Johann Baptist Scholl d.J. (1818-1881) zurückgeht, ist noch nicht geklärt73.
Ivo Rauch hat die Restaurierung der Seitenschifffenster durch die Werkstatt Usinger insofern mit Recht gelobt, als
durch sie der dezimierte, lückenhafte Bestand »wieder zu einem Ganzen vereinigt« wurde74. Dass dabei aber auch
Scheiben entfernt wurden, die verloren gingen, und, wenn auch aufgrund finanzieller Zwänge, Eingriffe in das Pro-
gramm der Langhaus-Südseite vorgenommen wurden (s. Rekonstruktion, ikonografisches Programm S. jobff.), ge-
hört zu den Schattenseiten der Maßnahmen des 19. Jahrhunderts. Denn auch die Restaurierung der fünf Fenster im
Polygon des Ostchores, mit der im Spätjahr 1855 begonnen wurde (s. Reg. Nr. 74ff.), ging nicht ohne substanzielle und
inhaltliche Einbußen vonstatten.

69 Auch wenn Usinger seinen Betrieb in der »Art eines Bauunter-
nehmers« unterhalten haben mag, so hat Rauch 1996, S. 178L, des-
sen Leistungsfähigkeit doch unterschätzt. Aus der Werkstatt gingen
nicht nur zwei Fenster für den Westchor des Mainzer Domes nach
Entwürfen von Johann B. Scholl d.J. hervor (1844-1846, Ausführung
von Heinrich Horn), die allerdings schon 1857 zerstört worden sind,
sondern auch ein Rosenfenster im Nordquerhaus des Domes (1861)
und ein Fenster für dessen Allerheiligenkapelle nach einem Entwurf
Philipp Veits (um 1861); s. Sigrid Duchhardt-Bösken, Der Mainzer
Dom im 19. Jahrhundert, in: Willigis und sein Dom. FS zur Jahrtau-
sendfeier des Mainzer Domes 975-1975, hrsg. von Anton Ph. Bruck
(Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschich-
te 24), Mainz 1975, S. 439-499, hier S. 465, 473L, und Rauch 1996,
S. 269L, Reg. Nr. 25. Außerdem wurden von Usinger die Chorfenster
für die Kirche in Ulrichstein in Hessen geliefert (um 1858-1861).
70 Zu Biografie und Werk Heinrich Horns s. Rauch 1996, S. 179-182,
Elgin Vaassen, Bilder auf Glas. Glasgemälde zwischen 1780 und 1870

(Kunstwissenschaftliche Studien 70), Mtinchen/Berlin 1997, S. 131E,
und Angela Klauke, Glasmalerei-Werkstätten im 19. Jahrhundert in
Niedersachsen. Einblicke in das Forschungsprojekt »Kirchliche Glas-
malerei zwischen 1800 und 1914 in Niedersachsen«, in: Das Münster
62, 2009, S. 91-98, hier S. 92-95.
71 Zum Arbeitsmodus der Werkstatt s. ausführlich Rauch 1996,
S. 183-186.
72 Vgl. Müller 1823-1829, S. 30, 54. Bis auf die Ornamente aus Fens-
ter süd X müssen die Scheiben oder Scheibenfragmente als verschollen
bzw. verloren angesehen werden.
7^ Vgl. hierzu Rauch 1996, S. i8zf. Rauch schreibt den Entwurf ver-
mutungsweise Horn zu. Da aber eine Zusammenarbeit von Usinger,
Horn und Scholl zur gleichen Zeit in Mainz belegt ist (s. Anm. 69), ist
Scholl als Entwerfer des Ornamentfensters s X wohl zuerst in Erwä-
gung zu ziehen.
74 Rauch 1996, S. 186.
 
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