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Gast, Uwe; Rauch, Ivo
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Oppenheim, Rhein- und Südhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2011

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.52850#0475

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474

WORMS • MUSEUM HEYLSHOF

Erhaltung: In Glassubstanz und Bemalung weitgehend gut er-
halten; vier Flickstücke, eine kleine Ergänzung und ein Sprung
im Oberbild sowie massive Bemalungsverluste auf den Säulen
der rahmenden Architektur wirken sich wenig störend auf das
Gesamtbild aus. Verbleiung vermutlich 19. Jh.
Ikonografie, Komposition: Von zwei kräftigen, kannelierten
Säulen gerahmt, die ein Oberbild mit einer Turnierszene(?)
tragen, prangt im Bildfeld das leicht nach links aus der Ach-
se gerückte Wappen des Lazarus von Suntheim (= Sontheim
a. d. Brenz?), das von einer Schildhalterin in Renaissancetracht
präsentiert wird: In Silber zwei schräg gekreuzte silberne (sic!)
Vogelfüße, die Krallen nach oben gekehrt; Helmzier: zwischen
zwei silbern-rot geteilten Büffelhörnern der Rumpf eines be-
tenden Engels mit silbernen Flügeln; Helmdecken: silbern-
90
rot .
Lazarus von Suntheim war 1515 Obervogt der oberen Graf-
schaft Hohenberg und Besitzer des bei Spaichingen gelegenen
Schlosses Balgheim (Lkr. Tuttlingen), das er in jenem Jahr »um
3 5 Gulden jährlichen Leibdings für sich und seine Frau« an Mar-
tin Klein von Ringelstein, den damaligen Vogt der Grafschaft
Hohenzollern, veräußerte; als dieser es 1529 weiterverkaufte,
sollten Lazarus von Suntheim und Ursula von Renshofen auch
von dem neuen Besitzer eine jährliche Zahlung in Höhe von
35 fl. erhalten91. Da unbekannt ist, was für ein Amt der Stifter
und Auftraggeber zum Zeitpunkt seiner Scheibenstiftung in-
nehatte, ist deren Bestimmungsort nicht mehr zu ermitteln.
In ihrer Komposition erweist sich die 1530 datierte Wappen-
scheibe als Zweit- bzw. Mehrfachausführung nach einem
Karton, der bereits im Jahr 1528 für die Wappenscheibe des
Sebastian von Blumeneck im Alten Rathaus zu Endingen am
Kaiserstuhl verwendet worden war (Fig. 44p)92.


Fig. 449. Wappen Sebastian von Blumeneck. Endingen, Altes Rat-
haus. Freiburg i. Br. (Ropstein-Werkstatt), 1528.

Fig. 450. ES Worms Heylshof Nr. 20.
M 1:15


Ornament, Farbigkeit, Technik: Die hellviolett-hellblau geteil-
ten Säulen sind wie bei der erwähnten Blumeneck-Scheibe in
Endingen mit Renaissance-Schmuckmotiven verziert (mitein-
ander verkettete, kreuzförmig aufgelegte Zapfen und Quasten-
gehänge); das Wappen (s. Ikonografie, Komposition) steht auf
einem grünen Wiesenboden vor blauem Fiederrankengrund;
die Schildhalterin trägt ein reich verziertes Gewand in hellem
Grau, Violett und Grün; das Oberbild ist eine Grisaillemalerei
mit rotbraunen Lotfarben und Silbergelb, das als Malfarbe auch
in der rahmenden Architektur, im Wappen und im Gewand der
Schildhalterin verwendet wurde. Insgesamt ist die Farbigkeit
der untergeordneten rahmenden Teile reduziert, sodass sie das
technisch so aufwändig wie virtuos gestaltete Vollwappen des
Auftraggebers und die weiße, leuchtend silbergelb gerahmte
Kartusche besonders hervortreten lassen.
Stil, Datierung: Aufgrund der Wiederverwendung eines Kar-
tons, der bereits 1528 für den Endinger Zyklus verwendet wor-
den ist (Fig. 449), wie auch aufgrund der verwandten technisch-
stilistischen Ausführung muss die 1530 datierte Wappenscheibe
des Lazarus von Suntheim in derselben Glasmaler-Werkstatt
gearbeitet worden sein wie die Wappenscheibe jenes zum Pa-
triziat der Stadt Freiburg i. Br. gehörenden Sebastian von Blu-
meneck (f 1541/42). Letztere wird, wie alle Endinger Scheiben,
der Werkstatt des Hans Gitschmann von Ropstein zugeschrie-
ben93. Unter dem Vorbehalt der Richtigkeit dieser Zuschrei-
bung ist auch Stintheim-Scheibe für die Ropstein-Werkstatt in
Anspruch zu nehmen.
CVMA RT 13358, Großdia RT 05/171
- Untersuchungen zur Unterzeichnung mittels Infrarotreflektografie -
zugleich ein Katalog, in: Mitteilungen aus dem Thurgauischen Muse-
um 30, 1994, S. 9-57, hier S. 4of., Abb. 28f.
89 Bruno Giger, Gerichtsherren, Gerichtsherrschaften, Gerichts-
herrenstand im Thurgau vom Ausgang des Spätmittelalters bis in die
frühe Neuzeit (Thurgauer Beiträge zur Geschichte 130, 1993), Frauen-
feld 1993, S. 114!.; zum Stammbaum der Familie Muntprat s. Kindler
von Knobloch, III, 1919, S. 172-174, hier S. 173.
90 Von den silbernen Vogelfüßen abgesehen, entspricht das Wappen
jenem der Familie (Hael) von Suntheim bzw. dessen Varianten; vgl.
Siebmacher 1605, Taf. 115.
91 Heinrich Ruckgaber, Geschichte der Frei- und Reichsstadt Rott-
weil, 11,2, Rottweil 1838, S. 422k
92 Werner Noack, Die Standesscheiben im Endinger Rathaus, in: Ba-
dische Heimat 31, 1951, S. 127-131 (»imDurchschnitt45,5 cmhochund
38,5 cm breit«, S. 127); Karl Kurrus, Die Wappenscheiben im Endin-
ger Rathaus (Sonderdruck aus: Schau-ins-Land 87, 1969), Freiburg i.
Br. 1969, S. 14E
93 So erstmals Noack 1951 (wie Anm. 92), S. 128. Siehe außerdem:
Becksmann 1979, S. 17, Anm. 7; Dietrich Rentsch, Glasmalerei, in:
AK Heidelberg 1986, I, S. 241-248, bes. S. 244 und S. 275, Nr. D 26k;
Barbara Giesicke, Kabinettscheiben des 16. und 17. Jahrhunderts auf
Schloß Heiligenberg, in: Schriften des Vereins für Geschichte und Na-
turgeschichte der Baar 38, 1995, S. 39-66, hier S. 44k; zuletzt Hartmut
Scholz, Art. »Gitschmann«, in: AKL, LV, 2007, S. 375.
 
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