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Gast, Uwe; Rauch, Ivo
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Oppenheim, Rhein- und Südhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2011

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.52850#0128

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ERBACH ■ SCHLOSS

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Ikonografisches Programm, Komposition: In for-
maler Hinsicht bilden die drei Scheiben eine zusammen-
gehörige Gruppe, indem sie nicht nur annähernd gleiche
Größen und gleiche Randbordüren aufweisen, sondern
sich auch im Stilbild zusammenschließen. Folglich dürf-
ten die Darstellungen, die mit der Heimsuchung und dem
Einzug in Jerusalem Szenen aus dem Leben Mariä und
Christi wiedergeben, Teil eines einst größeren Zyklus
gewesen sein, der sicherlich die Verkündigung an Maria
einbeschloss und nach der Heimsuchung vielleicht wei-
tere Marien- bzw. Kindheit-Christi-Szenen zeigte, bevor
er mit dem Einzug Christi in Jerusalem wohl in eine Fol-
ge von Passionsdarstellungen überging, zu der - wenn-
gleich ein Andachtsbildmotiv - auch die Pieta gehörte;
ob mit ihr der Scheibenzyklus beschlossen war oder ob
noch weitere Szenen folgten, ist unbekannt. Was die ein-
zelnen Bildkompositionen betrifft, so setzt der Einzug
Christi in Jerusalem eine genaue Kenntnis der entspre-
chenden Szene am 1501 vollendeten Dominikaneraltar
Hans Holbeins d.Ä.65 voraus, deren Figurenkonstella-
tion mit Christus auf der Eselin im Zentrum nur leicht
variiert wurde (s. Fig. 53h); die Darstellung Mariens mit
dem Leichnam Christi auf ihrem Schoß besitzt in einer
der Jörg Schweiger zugeschriebenen Zeichnungen in
Basel66 ein recht exaktes, im Gegensinn zu Papier ge-
brachtes Pendant (Fig. 58).
Farbigkeit, Technik: Aufgrund der geringen Größe
der Scheiben waren die Möglichkeiten reicher farbiger
Gestaltung von vornherein beschränkt. Die Palette ist
daher im Wesentlichen auf die Farben Blau, Rot und
Weiß reduziert, die jeweils großflächig - das Weiß auch
unter Verwendung von Silbergelb - eingesetzt wurden;
hinzu kommt vereinzelt Grün, einmal auch Graublau;
die Bordüren sind bernsteinfarben. Die Modellierung
erfolgte auf der Grundlage eines wässrig-braunen Halb-
tons mit ausgeprägter Konturenzeichnung und grob aus-
gewischten oder ausradierten Lichtern.
Stil, Datierung: Die offenkundigen Beziehungen zwei-
er Szenen zum einen zu einer Komposition Hans Hol-
66 Basel, Kunstmuseum, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. U. VII. 7; vgl.
Katalog der Zeichnungen des 15. und 16. Jahrhunderts im Kupferstich-
kabinett Basel, I: Das 15. Jahrhundert. Hans Holbein der Ältere und
Jörg Schweiger, die Basler Goldschmiederisse, bearbeitet von Tilman
Falk (Beschreibender Katalog der Zeichnungen III), Basel/Stuttgart
1979, S. 10$, Nr. 288. - Das Blatt reflektiert, wie Ingrid Weber nach-
gewiesen hat, eine Augsburger Goldschmiedearbeit der Zeit um 1500:
die Pieta im ersten Turmobergeschoss der Monstranz in der Pfarrkirche
zu Tiefenbronn - ein Werk, das als Geschenk des Eichstätter Bischofs
Johann Konrad von Gemmingen (1593/95-1612) in die Pfarrkirche seines
mutmaßlichen Geburtsortes gelangt sein muss. Weber zufolge ist die


Fig. 53. Einzug Christi in Jerusalem. Erbach, Schloss, Nr. 36.
Augsburg, um 1500/05. - Kat. S. 128.


Fig. 54. Einzug Christi in Jerusalem vom Dominikaneraltar. Frank-
furt/M., Stadel Museum. Hans Holbein d.Ä. und Werkstatt, 1501.

Monstranz der Werkstatt des Goldschmieds Jörg Seid zuzuschreiben, in
der Schweiger Geselle gewesen sein könnte. Vgl. hierzu Ingrid Weber,
Die Tiefenbronner Monstranz und ihr künstlerischer Umkreis, in: An-
zeiger des Germanischen Nationalmuseums 1966, S. 7-87, bes. S. 65.
 
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