EHEMALS ERSHEIM • PFARR- UND FRIEDHOFSKIRCHE 147
Umgekehrt scheinen die Mittelbahnen mit den prächtigen Allianzwappen in den Chorfenstern I, nord II (Abb. 44)
und süd II sowie den Heiligenpaaren in allen fünf Fenstern durch eine wärmere, zugleich kontrastreichere Farbigkeit
ausgezeichnet und somit gegenüber den Außenbahnen hervorgehoben gewesen zu sein. So ist mit gewissem Recht zu
vermuten, dass eine rhythmisierte Farbgebung den kompositorischen Aufbau der Fenster unterstützt hat.
Technisch wurde das Prinzip einer auch farblich klar strukturierten Komposition durch die Verwendung möglichst
großer, mitunter sehr virtuos zugeschnittener Glasstücke umgesetzt. Um die dadurch reduzierte Farbpalette wieder
zu bereichern, wurden Malfarben wie Silbergelb, Eisenrot und - kalt aufgetragenes - Grün30 in großem Umfang ein-
gesetzt und gelegentlich auch für raffinierte Farbeffekte wie beim Drachen des Hl. Georg genutzt (Fig. 74). Ansonsten
erfolgte die Bemalung der Stücke mit einem wässrigen, in den Inkarnatpartien bräunlichen Halbton, aus dem Lichter
flächig ausgewischt bzw. mit dem Pinselstiel ausradiert wurden, während Schattenlagen mittels Parallel- und Kreuz-
schraffuren in unterschiedlicher Konzentration modelliert und mit kräftigen Konturstrichen wie auch Negativkon-
turen zusätzlich betont wurden.
Stil, Datierung: Nachdem bereits im frühen 20. Jahrhundert sowohl die Darmstädter Scheiben und Fragmente
Nr. 186, 189L als auch die Münchener Scheiben mit dem Namen Hans Baldung Grien in Verbindung gebracht worden
waren, wurde die stilistische Einordnung der späterhin nach Ersheim lokalisierten, nach und nach als zusammenge-
hörig erkannten Verglasungsreste in Darmstadt, München und Hirschhorn längere Zeit nicht mehr thematisiert. Erst
Suzanne Beeh-Lustenberger (1973) griff diese Frage wieder auf und schrieb die Ersheimer Glasmalereien vorsichtig
einer in Heidelberg ansässigen Werkstatt zu, die einerseits aus einer lokalen, in Werken wie den Farbverglasungen
für die Kirchen in Ingelfingen und Langenburg überlieferten Tradition hervorgegangen sei, andererseits aber neue
oberrheinische, nämlich Baldung’sche, durch die Werkstatt Hans Gitschmanns von Ropstein in Freiburg vermittelte
Einflüsse verarbeitet habe31. Was die Münchener Scheiben betrifft, so hatte schon Hans Wentzel (1966) einen Zu-
sammenhang mit jenen älteren, von ihm dem Heidelberger Glaser Hans Konberger resp. Kamberger zugeschriebenen
Glasmalereien angedeutet; doch erst Rüdiger Becksmann (1979, 1986) ging schließlich so weit, die Ersheimer Reste
tatsächlich für Kamberger bzw. dessen Werkstatt in Anspruch zu nehmen, womit er zugleich alle bisherigen Überle-
gungen zu möglichen oberrheinischen Einflüssen zurückwies.
Gehen wir in der Diskussion dieser höchst unterschiedlichen, im Äußersten gegensätzlichen Positionen von der frag-
lichen Lokalisierung der Werkstatt aus, so sind - im Sinne Becksmanns - zwei wichtige Voraussetzungen zu beach-
ten: zum einen der Standort des Dorfes Ersheim am Neckar, das nur 25 Kilometer von der Residenzstadt Heidelberg
entfernt lag, zum anderen Herkunft und Rang der Bauherren und Fensterstifter, die alle, wie hier erstmals dargelegt
worden ist (s. S. 144E), dem lokalen bzw. regionalen Adel entstammten und z.T. hohe Ämter am Hof Ludwigs V. von
der Pfalz bekleideten oder bekleiden sollten. Beides spricht sehr für die Vermutung, dass die Glasmalereien für den
Chor der Ersheimer Kirche bei einer in Heidelberg ansässigen Werkstatt in Auftrag gegeben worden sind, zumal ja
auch dessen Baumeister - er scheint um 1313/14 die Anna-Kapelle an der Karmeliter-Klosterkirche in Hirschhorn
errichtet zu haben - von dort gekommen sein könnte. Nicht zuletzt sind aber mit einer um 1509 entstandenen Alli-
anzwappenscheibe für den Kapitelsaal des Hirschhörner Klosters (s. S. 171-174, Fig. 105, Abb. 62) und mit zwei 1519
datierten Rundscheiben mit den Wappen Wilhelms von Habern und Kunigundes von Vellberg für die alte Pfarrkirche
von Schönbrunn (Textabb. 34f.)32 Stiftungen, die bezeichnenderweise aus dem unmittelbaren Umfeld der in Ersheim
an Bau und Ausstattung Beteiligten hervorgegangen sind - auch Glasmalereien in nächster Umgebung erhalten, die
aufgrund ihrer engen Verwandtschaft mit den Ersheimer Wappen und Wappenfragmenten (Abb. 44, 50) dieser Vermu-
tung den entsprechenden Nachdruck verleihen.
Auf das Grün als Malfarbe hat bereits Heinz Merten, in: AK
München 1947, S. 6, aufmerksam gemacht. Es begegnet verschie-
dentlich an Arbeiten der Hirsvogel-Werkstatt. Aber auch Beispiele
aus dem 15. Jh. sind überliefert; s. Chantal Fontaine, Marina van
Bos und Helena Wouters, Contribution ä l’etude des peintures ä
froid sur les vitraux anciens. Fonction et Identification, in: Gri-
saille, jaune d’argent, sanguine, email et peinture ä froid (Dossier de
la Commission royale des Monuments, Sites et Fouilles 3), Lüttich
1996, S. 93-102, bes. S. 96k Im vorliegenden Fall könnte von besonde-
rem Interesse sein, dass es nach dem Hinweis von Becksmann 1995,
S. 226 (Nr. 78), als Kupfergrün auch im Anna-Fenster des Freiburger
Münsters vorkommen soll; Fritz Geiges, Das St. Annen-Fenster im
jetzigen Alexander-Chörlein, in: Freiburger Miinsterblätter 4, 1908,
S. 41-81, erwähnt dies nicht.
31 In der Überschrift zu Kat.-Nr. heißt es bei Beeh-Lusten-
berger 1973 folglich: »Oberrhein oder Pfalz«. Als möglicher Standort
der Werkstatt wird Heidelberg nur im Katalogtext genannt (S. 219).
32 VgL hierzu Kunstgeschichtliche Einleitung S. 67.
Umgekehrt scheinen die Mittelbahnen mit den prächtigen Allianzwappen in den Chorfenstern I, nord II (Abb. 44)
und süd II sowie den Heiligenpaaren in allen fünf Fenstern durch eine wärmere, zugleich kontrastreichere Farbigkeit
ausgezeichnet und somit gegenüber den Außenbahnen hervorgehoben gewesen zu sein. So ist mit gewissem Recht zu
vermuten, dass eine rhythmisierte Farbgebung den kompositorischen Aufbau der Fenster unterstützt hat.
Technisch wurde das Prinzip einer auch farblich klar strukturierten Komposition durch die Verwendung möglichst
großer, mitunter sehr virtuos zugeschnittener Glasstücke umgesetzt. Um die dadurch reduzierte Farbpalette wieder
zu bereichern, wurden Malfarben wie Silbergelb, Eisenrot und - kalt aufgetragenes - Grün30 in großem Umfang ein-
gesetzt und gelegentlich auch für raffinierte Farbeffekte wie beim Drachen des Hl. Georg genutzt (Fig. 74). Ansonsten
erfolgte die Bemalung der Stücke mit einem wässrigen, in den Inkarnatpartien bräunlichen Halbton, aus dem Lichter
flächig ausgewischt bzw. mit dem Pinselstiel ausradiert wurden, während Schattenlagen mittels Parallel- und Kreuz-
schraffuren in unterschiedlicher Konzentration modelliert und mit kräftigen Konturstrichen wie auch Negativkon-
turen zusätzlich betont wurden.
Stil, Datierung: Nachdem bereits im frühen 20. Jahrhundert sowohl die Darmstädter Scheiben und Fragmente
Nr. 186, 189L als auch die Münchener Scheiben mit dem Namen Hans Baldung Grien in Verbindung gebracht worden
waren, wurde die stilistische Einordnung der späterhin nach Ersheim lokalisierten, nach und nach als zusammenge-
hörig erkannten Verglasungsreste in Darmstadt, München und Hirschhorn längere Zeit nicht mehr thematisiert. Erst
Suzanne Beeh-Lustenberger (1973) griff diese Frage wieder auf und schrieb die Ersheimer Glasmalereien vorsichtig
einer in Heidelberg ansässigen Werkstatt zu, die einerseits aus einer lokalen, in Werken wie den Farbverglasungen
für die Kirchen in Ingelfingen und Langenburg überlieferten Tradition hervorgegangen sei, andererseits aber neue
oberrheinische, nämlich Baldung’sche, durch die Werkstatt Hans Gitschmanns von Ropstein in Freiburg vermittelte
Einflüsse verarbeitet habe31. Was die Münchener Scheiben betrifft, so hatte schon Hans Wentzel (1966) einen Zu-
sammenhang mit jenen älteren, von ihm dem Heidelberger Glaser Hans Konberger resp. Kamberger zugeschriebenen
Glasmalereien angedeutet; doch erst Rüdiger Becksmann (1979, 1986) ging schließlich so weit, die Ersheimer Reste
tatsächlich für Kamberger bzw. dessen Werkstatt in Anspruch zu nehmen, womit er zugleich alle bisherigen Überle-
gungen zu möglichen oberrheinischen Einflüssen zurückwies.
Gehen wir in der Diskussion dieser höchst unterschiedlichen, im Äußersten gegensätzlichen Positionen von der frag-
lichen Lokalisierung der Werkstatt aus, so sind - im Sinne Becksmanns - zwei wichtige Voraussetzungen zu beach-
ten: zum einen der Standort des Dorfes Ersheim am Neckar, das nur 25 Kilometer von der Residenzstadt Heidelberg
entfernt lag, zum anderen Herkunft und Rang der Bauherren und Fensterstifter, die alle, wie hier erstmals dargelegt
worden ist (s. S. 144E), dem lokalen bzw. regionalen Adel entstammten und z.T. hohe Ämter am Hof Ludwigs V. von
der Pfalz bekleideten oder bekleiden sollten. Beides spricht sehr für die Vermutung, dass die Glasmalereien für den
Chor der Ersheimer Kirche bei einer in Heidelberg ansässigen Werkstatt in Auftrag gegeben worden sind, zumal ja
auch dessen Baumeister - er scheint um 1313/14 die Anna-Kapelle an der Karmeliter-Klosterkirche in Hirschhorn
errichtet zu haben - von dort gekommen sein könnte. Nicht zuletzt sind aber mit einer um 1509 entstandenen Alli-
anzwappenscheibe für den Kapitelsaal des Hirschhörner Klosters (s. S. 171-174, Fig. 105, Abb. 62) und mit zwei 1519
datierten Rundscheiben mit den Wappen Wilhelms von Habern und Kunigundes von Vellberg für die alte Pfarrkirche
von Schönbrunn (Textabb. 34f.)32 Stiftungen, die bezeichnenderweise aus dem unmittelbaren Umfeld der in Ersheim
an Bau und Ausstattung Beteiligten hervorgegangen sind - auch Glasmalereien in nächster Umgebung erhalten, die
aufgrund ihrer engen Verwandtschaft mit den Ersheimer Wappen und Wappenfragmenten (Abb. 44, 50) dieser Vermu-
tung den entsprechenden Nachdruck verleihen.
Auf das Grün als Malfarbe hat bereits Heinz Merten, in: AK
München 1947, S. 6, aufmerksam gemacht. Es begegnet verschie-
dentlich an Arbeiten der Hirsvogel-Werkstatt. Aber auch Beispiele
aus dem 15. Jh. sind überliefert; s. Chantal Fontaine, Marina van
Bos und Helena Wouters, Contribution ä l’etude des peintures ä
froid sur les vitraux anciens. Fonction et Identification, in: Gri-
saille, jaune d’argent, sanguine, email et peinture ä froid (Dossier de
la Commission royale des Monuments, Sites et Fouilles 3), Lüttich
1996, S. 93-102, bes. S. 96k Im vorliegenden Fall könnte von besonde-
rem Interesse sein, dass es nach dem Hinweis von Becksmann 1995,
S. 226 (Nr. 78), als Kupfergrün auch im Anna-Fenster des Freiburger
Münsters vorkommen soll; Fritz Geiges, Das St. Annen-Fenster im
jetzigen Alexander-Chörlein, in: Freiburger Miinsterblätter 4, 1908,
S. 41-81, erwähnt dies nicht.
31 In der Überschrift zu Kat.-Nr. heißt es bei Beeh-Lusten-
berger 1973 folglich: »Oberrhein oder Pfalz«. Als möglicher Standort
der Werkstatt wird Heidelberg nur im Katalogtext genannt (S. 219).
32 VgL hierzu Kunstgeschichtliche Einleitung S. 67.