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Gast, Uwe; Rauch, Ivo
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Oppenheim, Rhein- und Südhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.52850#0256

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OPPENHEIM • KATHARINENKIRCHE

gut15. Im weiteren Verlauf der Arbeiten am Langhaus, die Schütz unter der Annahme mehrmaliger Planwechsel bis in
die letzten Verästelungen nachzuzeichnen versucht hat, durchdringen sich mittelrheinische, insbesondere an Bauten in
Worms (Dom, Nikolauskapelle, um 1280/90-1300) und Mainz (Dom, Nordkapellen, 1279-1291, Allerheiligenkapelle,
1319; ehern. Liebfrauen-Stiftskirche, 1285-1311) ausgeführte Bauideen und -formen sowohl mit Einflüssen aus Straß-
burg und Freiburg als auch mit kölnischen Motiven in so vielfältiger Weise, dass Norbert Nussbaum die Südfassade
nachgerade als ein »Kompendium westdeutscher Maßwerkformen« des 13./14. Jahrhunderts bezeichnen konnte16.
Sieht man von den bis um die Mitte des 14. Jahrhunderts andauernden Arbeiten am Vierungsturm ab17, war mit der
Vollendung des Langhauses der Bau der Kirche, die im Westen ihre romanische Doppelturmfassade behalten hatte,
vorerst abgeschlossen. Doch zu Beginn des 15. Jahrhunderts wurden wieder Bauarbeiten aufgenommen18. Jetzt erhielt
die Kirche, an der, wie erwähnt, 1317 ein Kollegiatstift eingerichtet worden war, einen eigenen, dem Propst, zwölf
Kanonikern und einer kleinen, unbekannten Anzahl an Vikaren vorbehaltenen Westchor, der das Langhaus nicht
nur in seinen Abmessungen an Länge und Höhe übertraf, sondern als einschiffiger, zweiwöchiger Bau mit 5/8-Schluss,
als konstruktiv kühner Einheitsraum mit gewaltigen Fensterflächen auch gestalterisch ein Gegengewicht zu dessen
kleinteiliger, ja verspielter Architektur bildete (Fig. 173L, 177). Der Baubeginn ist nicht überliefert. Die Kirchenrech-
nungen aus dem Rechnungsjahr 1414/15 belegen jedoch umfängliche Steinmetzarbeiten, die von dem im Dezember
1414 verdingten meister Madern - ohne Zweifel dem in Frankfurt am Main ansässigen Baumeister Madern Gerthener
(um 1360 - 1430/31) - zusammen mit den Kirchenpflegern in Auftrag gegeben und von Zeit zu Zeit begutachtet wor-
den waren19. Sie werden mit guten Gründen mit dem Bau des Westchores in Verbindung gebracht, der schon begonnen
gewesen sein muss, als er von Gerthener übernommen und in der Folge nach abgeänderten Plänen errichtet wurde.
Gertheners Tod 1430/31 führte dann noch einmal zu einem Wechsel der Bauleitung. Sie könnte, wie Schütz nachzu-
weisen versucht hat, in den Händen von Nikolaus Eseler d.Ä. (um 1400/1410 - 1482) gelegen haben, der vielleicht ein
»Schüler« Gertheners war und 1436 als unßers gnedigen Herren von Mencze werckmann bezeugt ist; das Motiv der
tief ansetzenden, »dünnhäutig« übermauerten Rippen, wie es für das (rekonstruierte) Gewölbe des Westchores cha-
rakteristisch ist, kehrt später an der von Eseler erbauten Pfarrkirche St. Georg in Dinkelsbühl wieder20. Mit der Weihe
von Chor und Hochaltarpro Laudepraeclarae Mariae Genetricis, Martyris et Catharinae, Gregorii Papae, Praesbyteri
Hieronimiq(ue\ Ambrosii Praesulum Augustinßque) doctorum, d.h. »zum Lobe der herrlichen Gottesgebärerin Maria,
der Märtyrerin Catharina, des Papstes Gregor, des Presbyters Hieronymus, der Kirchenlehrer und Bischöfe Ambro-
sius und Augustinus«, war der Bau, dessen Architektur sich einer eindeutigen, entweder auf westliche oder auf süd-
deutsch-mitteleuropäische Vorbilder fixierten Ableitung zu entziehen scheint, im Jahr 1439 endgültig fertiggestellt21.
Die weitere Geschichte des Baues hängt unmittelbar mit der Zerstörung Oppenheims im Pfälzischen Erbfolgekrieg zu-
sammen. Die Katharinenkirche wurde damals durch einen Brand in so hohem Maß in Mitleidenschaft gezogen, dass sie

deutschsprachigen Raum. Konstruktion und Baugeschichte, Peters-
berg 1997, S. 75-84.
18 Schütz 1982, S. 267-313. Vgl. Arens 1989, S. 21-24, und Dölling
2000, S. 21-24. Zusammenfassend Gast 2004, S. 200-202, und, mit
Schwerpunkt auf der Bauskulptur, Rösch 2004, S. 542, 547L
19 Erhalten sind Rechnungen aus den Jahren 1407/08 und 1414/1$, die
Heinrich Weinheimer, Neues zur Geschichte der Katharinenkirche
zu Oppenheim a. Rh., in: Aus alten Zeiten. Geschichtsbll. für den
Kreis Oppenheim 1926, S. 81-87, aufgetan und in Auszügen erstmals
publiziert hat. - Die Identifizierung des zum 1. Dez. 1414 verdingten,
danach im Juni und im September 1415 in Oppenheim anwesenden
meister Madern mit Madern Gerthener geht zurück auf Leonhard
Kraft, Die Baugeschichte der Oppenheimer Katharinenkirche im
Mittelalter, in: Jungkenn 1938, S. 13-59, hier S. 52ff., und wurde in der
Folge von allen Autoren übernommen, im Besonderen von Fischer
1962, S. 28, 32L, und Gerhard Ringshausen, Madern Gerthener. Le-
ben und Werk nach den Urkunden, 2 Bde., Phil. Diss. Göttingen 1968
(Typoskript), I, S. 27, 195. Siehe ferner Sebald, Madern Gerthener,
2000, S. 503, zuletzt Franz Bischoff, Art. »Gerthener«, in: AKL, LII,
2006, S. 301-303, hier S. 302.
20 Zu Nikolaus Eseler d.Ä. s. Wolf Goeltzer, in: AKL, XXXV, 2002,
S. 36-38. Schütz’ Zuschreibung des Westchorgewölbes an Eseler wur-
de u.a. von Werner Helmberger, Architektur und Baugeschichte der

St. Georgskirche in Dinkelsbühl (1448-1499). Das Hauptwerk der bei-
den spätgotischen Baumeister Niclaus Eseler, Vater und Sohn (Bam-
berger Studien zur Kunstgeschichte und Denkmalpflege 2), Bamberg
1984, S. 170-174, und Sebald, Madern Gerthener, 2000, S. 503, über-
nommen. Norbert NussBAUM/Sabine Lepsky, Das gotische Gewölbe.
Eine Geschichte seiner Form und Konstruktion, Mtinchen/Berlin
1999, S. 247, schreiben es dagegen Madern Gerthener zu.
21 Zu der verlorenen, nur in einer Abschrift überlieferten Weihein-
schrift s. Düll 1984, S. 37L, Nr. 79 (A). - Während Fischer 1962,
S. 32, auf Vorbilder aus dem Westen verwiesen hat, so auf die Sainte-
Chapelle in Paris und deren Nachfolgebauten wie auch auf den Chor
des Aachener Münsters als allgemeine Anregungen, haben Rings-
hausen 1968 (wie Anm. 19), I, S. 208-211, und Schütz 1982, S. 310L,
Zusammenhänge mit Parier- bzw. parlerisch beeinflussten Bauten in
Schwäbisch Gmünd, Prag, Kolin, etc. herausgestellt.
22 Hierzu und zum Folgenden s. vor allem: Diehl 1932, S. 316-324;
Ernst Jungkenn, Die Wiederherstellung der St. Katharinenkirche zu
Oppenheim, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege 1937, S. 24-27;
Anton Ph. Brück, Um die Restauration der Katharinenkirche in Op-
penheim, in: AHG NF 32, 1974, S. 539-556; Schütz 1982, S. 315-345;
Zimmermann 1989; Rauch 1996. Neue Erkenntnisse zur Restaurie-
rungsgeschichte finden sich bei Wegner 2005, S. 9/ff., Hanschke
22oo7, S. 28-30, und Held 2009 (mit umfassenden Quellen- und Li-
 
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