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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 14.1869

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https://doi.org/10.11588/diglit.13561#0184

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170

Laienthums", als dessen Vertreter sich er, der Verfasser, ja
mit stolzem Bewußtsein hinstellt.

Zuerst natürlich muß er die alte „abgeschmackte" Parallele
zwischen der Musik und Architektur auf ihr Nichts zurück-
sühren; und so beginnt er denn S. 197 mit folgendem ein-
leitendem Schachzuge:

„Unter jenen Männern, welche die Musik lediglich (?) auf
Zahlenverhältnisse zurückzuführen neigten, bemerkte Leibnitz,
daß die Genüsse, die das Auge aus der Wahrnehmung schöner
geometrischer Verhältnisse ziehe, gleicher Art seien, wie die
Genüsse des Ohres aus den Verhältnissen der menschlichen
Töne. Auf dieser Bemerkung beruht, in ihr erschöpft sich
auch die in neueren Zeiten oft wiederholte frostige*) Ver-
gleichung der Tonkunst mit der Baukunst, von der
die Vergleichung der Musik mit der Ornamentik von Seiten
Derer, die für die Baukunst so wenig wie für die Tonkunst
ein Vorbild in der Natur finden wollen, ein kleiner Ableger
ist. Es ist an sich klar, daß auch diese, einem halbklaren
Halbgedanken entsprungene Vergleichung nur seit
der Vorherrschaft der Jnstrumentalkunst, und nur von Sol-
chen angestellt werden konnte, die für den geistigen Ge-
halt aller Künste den Sinn verloren haben. Sollte
der Einfall eine klare Hälfte in sich schließen, so möchte man
etwa, nicht von dem puristischen Standpunkte aus, der
die Künste nach ihrer Vereinzelung, sondern viel-
mehr von dem entgegengesetzten, der sie nach ihrer
zusammengreifenden Verbindung schätzt, die In-
strumentalbegleitung mit der Baukunst vergleichen: denn
ganz so, wie diese vortrefflich dazu dient, dem Gesang die
Folie einer gleichartigen Stimmung in dem Hörer zu bereiten,
so in den plastischen (?) Künsten die Baukunst in
ihrer Gesellung zu Skulpturwerken, wie die Land-
schaft in ihrem Verein mit dem Geschichtsbilde.
Dringt man aber vor in den eigentlichen Grund der
Künste, in ihren geistigen Inhalt, den man am sichersten
findet, wenn man auf die geistig belebten Gegenstände ihrer
Nachahmung in der Natur zurückgeht, so gelangt man von
selbst zu einer viel weiter führenden Vergleichung der
Tonkunst mit der Malerei."

Wir sind, schon aus Gerechtigkeitsgefühl gegen den Vers.,
genöthigt, seine Sätze nicht allzusehr zu zerreißen, sondern sie
möglichst im Zusammenhänge anzuführen, um nicht in den Ver-
dacht zu kommen, daß wir seine Ansichten nur verstümmelt wieder-
geben. Hier aber ist ein natürlicher Ruhepunkt, den wir nur dazu
benutzen wollen, den Leser über Das, was Herr Gervinus mit
dem „puristischen Standpunkt" meint, „der die Künste nach ihrer
Vereinzelung schätzt", aufzuklären. Indem er den ent-
gegengesetzten Standpunkt als den wahren, konkreten hinstellt,
kennzeichnet er jenen also als abstrakten und unwahren; und
es entsteht die Frage, welche Berechtigung solche Kennzeichnung
habe. Meint etwa Herr Gervinus damit — und es scheint
fast so, nach den weiterfolgenden Worten —, daß die Skulptur
nur dann erst ihre wahre Bedeutung gewinne, wenn sie, etwa als

*) Eine pikante Anspielung auf den bekannten Ausspruch Fr. S ch l e g e l' s,
daß „die Architektur gleichsam ge fror ne Musik" sei.

Karyatide oder Brunnenfigur, zu einem architektonischen Orna-
ment herabgesetzt werde, die Landschaftsmalerei ihre Bestimmung
erst dadurch erreiche, daß sie den Hintergrund für die Figuren-
Malerei bilde u. s. f. ? Ist dies nun seine Ansicht, so muß
er uns gestatten, dieselbe als nicht etwa blos trivial zu be-
zeichnen, sondern darin auch einen Beleg für sein bescheidenes
Eingeständniß zu finden, daß er in Wahrheit „von der Kunst
so gut wie nichts versteht". Diese „zusammengreifende Ver-
bindung der Künste", wobei ihm vielleicht die Oper mit ihrem
theatralischen Apparat von Koulissen und Maschinerien vorge-
schwebt haben mag, ist viel mehr eine künstliche als eine künst-
lerische, und wenn auch selbstverständlich eine Kunst der andern
zu dienen hat, z. B. die Skulptur und Malerei zur Aus-
schmückung des Aeußeren und Innern des Bauwerks, so darf doch
nicht vergessen werden, daß sie eben dadurch zum bloßen Mittel,
d. h. zum Ornament, herabgesetzt wird. Sondern jede Kunst
und Kunstgattung ist eine in sich abgeschlossene, auf ihrem eige-
nen Grunde ruhende Sphäre, und in der Landschastsmalerei
z. B. kann das figürliche Element ebenso zum bloßen Orna-
ment — nämlich als Staffage — herabgesetzt werden, wenn
der künstlerische Zweck des Bildes eben die lyrische Stimmung
der Naturpoesie ist, wie umgekehrt im Figurenbilde ein land-
schaftlicher, ebensogut aber auch ein architektonischer Hintergrund,
z. B. das Innere einer Kirche, eines Schlosses oder eine
Bauern- oder Bierstube, gleichviel, verwandt werden mag. —
Diese Phrase von der „zusammengreifenden Verbindung der
Künste", wodurch erst der Werth der einzelnen Kunst bestimmt
werde, ist also eben nur eine Phrase und noch dazu eine falsche.
Schon früher finden wir bei Gervinus diese Phrase, aber in an-
derer, wenn auch nicht minder eleganter Fassung als „innigste Ver-
bindung ihrer (der Künste nämlich) zusammengeschossenen
Schönheiten". Auf S. 34 ff. spricht er nämlich von der To-
talität des künstlerischen Lebens in der Antike, wodurch sich diese
bekanntlich von der modernen Zerfahrenheit unterscheidet, und
bemerkt:

„Auf dem Einen dieser Standpunkte versetzen wir uns in
die Gesammtheit des griechischen Lebens, in die ungetheilte
Natur der damaligen Menschheit und in die mit der größten
Fülle gepaarte Totalität der Kunstwerke, die aus dieser Natur
entstanden. Diesem Bestreben der Kunst nach einer großen
Gesammtwirkung im Ganzen und für das Ganze entsprach
die wunderbare Weise des künstlerischen Erschaffens aus dem
Ganzen der Menschennatur heraus. In jener köstlichen Ju-
gendzeit einer in all' ihren Seelenkräften noch ungespaltenen
Menschheit, da die Arbeit des Geistes noch nicht in die
Werke zahlloser Wissenschaften auseinandergefallen war, da
die Dichtung allein noch alle menschliche Weisheit zusammen-
faßte, hätte der für den traurigsten aller Stümper
gegolten, der den Künsten ihre Gesetze aus der Ar-
muth puristischer Einseitigkeit hätte schreiben
wollen, wie wir in diesen Tagen thun, die wir aus der
Dichtung mit der Sittlichkeit, und mit dem Bilde
und vollends mit der Musik hinaus wollen. (?) Bei den
Alten haben die plastischen Künste nur durch ihre innigste
Verbindung und ihre zusammengeschossenen Schön-
heiten ihre großartigsten Vorzüge erlangt."
 
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