Karl Mayr - München :
PROFESSOR EMANUEL V. SEIDL—MÜNCHEN.
Salon. Blick in das Musikzimmer.
die auf die Dauer auch der straffste Pflichtmensch
nicht zu leben vermag. Die „Sachlichkeitskunst"
dorthin, wo sie hingehört; zu Hause ist man ge-
mütlich und seinen Gefühlen hingegeben; die
berechnende Atmosphäre des Bureaus bleibt
vor der Schwelle zurück. Emanuel von Seidls
ganze Natur ist solcher Nüchternheit abgeneigt.
Seine Anfänge stammen zwar aus dem Barock,
aber er hat sich allmählich von dessen Herr-
schaft befreit; die Liebe für eine malerisch de-
korative Gesamterscheinung ist ihm geblieben,
ohne daß er jedoch so davon hingerissen wäre,
daß er nur Nachdichtungen lieferte. Die klassi-
zistisch-französischen Formen der Bauweise des
18. Jahrhunderts, wie sie neuerdings von der
Reichshauptstadt aus sich zu verbreiten drohen,
haben ihn nur vorübergehend angezogen. Ema-
nuel von Seidl benutzt wohl auch heute noch
da und dort ältere Formen — vielleicht mehr
als ein anderer moderner Architekt —, aber
meist doch nur so, wie etwa ein Komponist der
Gegenwart in einem Musikdrama eine ge-
schlossene Form, ein Menuett, einen Kanon auf-
greift, weil er für die Situation kein besseres
Gefäß findet und weil die Form selbst dem be-
absichtigten Ausdruck entgegenkommt. Emanuel
von Seidl ist ein Meister der Situation und sieht
in einem kontrastreichen Farbenaufbau der
Innenräume ein Hauptmittel der Wirkung.
Grundsätzlich verwendet er entschiedene Töne
352
PROFESSOR EMANUEL V. SEIDL—MÜNCHEN.
Salon. Blick in das Musikzimmer.
die auf die Dauer auch der straffste Pflichtmensch
nicht zu leben vermag. Die „Sachlichkeitskunst"
dorthin, wo sie hingehört; zu Hause ist man ge-
mütlich und seinen Gefühlen hingegeben; die
berechnende Atmosphäre des Bureaus bleibt
vor der Schwelle zurück. Emanuel von Seidls
ganze Natur ist solcher Nüchternheit abgeneigt.
Seine Anfänge stammen zwar aus dem Barock,
aber er hat sich allmählich von dessen Herr-
schaft befreit; die Liebe für eine malerisch de-
korative Gesamterscheinung ist ihm geblieben,
ohne daß er jedoch so davon hingerissen wäre,
daß er nur Nachdichtungen lieferte. Die klassi-
zistisch-französischen Formen der Bauweise des
18. Jahrhunderts, wie sie neuerdings von der
Reichshauptstadt aus sich zu verbreiten drohen,
haben ihn nur vorübergehend angezogen. Ema-
nuel von Seidl benutzt wohl auch heute noch
da und dort ältere Formen — vielleicht mehr
als ein anderer moderner Architekt —, aber
meist doch nur so, wie etwa ein Komponist der
Gegenwart in einem Musikdrama eine ge-
schlossene Form, ein Menuett, einen Kanon auf-
greift, weil er für die Situation kein besseres
Gefäß findet und weil die Form selbst dem be-
absichtigten Ausdruck entgegenkommt. Emanuel
von Seidl ist ein Meister der Situation und sieht
in einem kontrastreichen Farbenaufbau der
Innenräume ein Hauptmittel der Wirkung.
Grundsätzlich verwendet er entschiedene Töne
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