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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 29.1911-1912

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Michel, Wilhelm: Das Neue "Odeon-Kasino" in München: von Architekt Ino A. Campbell
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https://doi.org/10.11588/diglit.7012#0326

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Das neue -»Odeon-Kasino^ in München.

die Treppe ein und rahmen zugleich den reiz-
vollen Durchblick vom Kabarettsaal zur Halle.
In diesen Durchblicken und in dem höchst
lebendigen Grundrisse der Halle liegt die Gunst
der Örtlichkeit. Fast jeder Tisch lehnt sich an
eine Wand oder ist in einer Nische geborgen;
auf diese Weise ist die so beliebte Geschützt-
heit des Sitzes erreicht. Und doch bleiben alle
Besuchergruppen durch das Auge in steter Be-
ziehung, und das gibt die nicht minder not-
wendige Empfindung der Geselltheit.

Der Architekt hat das System der pikanten
Durchblicke nur seinerseits noch sehr bereichert.
Er legte in eine Wand des Lichthofes zwei ge-
deckte Galerien, die eine ganze Reihe archi-
tektonischer Punkte für geschützte und aus-
blickreiche Vorzugssitze liefern; er hängte
außerdem rechts und links vom Eingang in die
Saalecken entzückende, leichtsinnige Lauben,
die wie Käfige in der Höhe schweben und deren
kokett geschmückte Bogenfensterchen weib-
lichem Toilettenreiz den schönsten Rahmen
geben. Da ist überall an diesen Plätzen ein
wenig polizeilich erlaubte Heimlichkeit, überall
die Gelegenheit, mit koketter Pose einen be-
handschuhten Arm auf die Brüstung zu stützen
und in gegenüberliegenden hohen Spiegeln die
Straußenfeder an eigenen und besonders an
fremden Hüten nicken zu sehen. Dazu gesellt
sich zwischen den besagten Käfigen über dem
Eingang noch eine besondere offene Loge, deren
Brüstungslinien so raffiniert auf Ergänzung durch
mondäne Toilettenlinien berechnet sind, daß
sie ohne elegante weibliche Besetzung leer und
fragmentarisch wirken. Man kann dem Ganzen
wohl nachsagen, daß selten ein architekto-
nisches Gefüge plauderhafter und mehr auf Ge-
selligkeit angelegt war als dieses. Campbell hat
mit überlegener künstlerischer Laune Kabarett-
Architektur getrieben; die Muse der Baukunst
hat sich von ihrer jüngstgeborenen Schwester,
der zehnten, den Griffel führen lassen.

Insbesondere auch bei der Dekoration des
Hauptsaales. Weiß ist die Hauptfarbe, Gold
begleitet die Linien der Stuckornamentik, Rot
glüht das Innere der Käfige, Schwarz kehrt,
paradox und pikant, an verschiedenen ebenen
und gerundeten Flächen wieder. Alle drei
Farben, Schwarz, Rot und Gold, finden sich in
der prächtigen englischen Tapete zusammen,
die, nach chinesischen Mustern hergestellt, die
Innenwände der Galerien deckt.

Und der „Stil" der Dekoration? China,
Barock, Campbell? Keines von dreien und alle
zusammen.

Es stand Kabarett - Architektur in Frage.
Dazu ist das moderne Kunstgewerbe zu tüchtig,

moralisch zu einwandfrei, zu gesinnungsvoll, zu
staatserhaltend. Irgend ein stilistischer Leicht-
sinn mußte geschehen, um einen heiteren,
lächelnden, übermütigen, subversiven Zierat
erstehen zu lassen. Campbell, der Ernste, fand
ihn, indem er Barock und China mischte, indem
er mongolische Jovialität und Bizarrerie sich
mit der eleganten, höfischen Heiterkeit des
18. Jahrhunderts verbinden hieß. Und die
Mischung ist gelungen. Man merkt die Ver-
schiedenartigkeit der Bestandteile erst bei ge-
nauerem Hinsehen, keineswegs an irgend einem
Unlustgefühl. Ich möchte betonen, daß das
ganze Arrangement in seinem Geiste doch durch-
aus Campbell und zwanzigstes Jahrhundert ist.
Es ist Campbell mit einer Dosis China, mit
einem Spritzer Barock, neuer Geist, der sich
alte Motive mit überlegener Laune dienstbar
gemacht hat.

Und mit welcher Laune ! Vergoldetes weißes
Fransenornament hängt rings an den Wänden
vom Plafond herab, der für das Barock charak-
teristische Tanz geschwungener Linien krönt
die hohen Spiegel in der Hauptwand des Saales.
Die Füllungen unter den Bogenfenstern der
hängenden Lauben tragen Goldbemalung, und
auf diese sind ausgeschnittene Figuren aus
schönen japanischen Holzschnitten aufgeklebt.
Die Lauben selbst haben ganz das Spielzeug-
mäßige chinesischer Architektur, an die sie be-
sonders auch durch den lackroten Innenanstrich
und die figurenreiche Innenbemalung der Kup-
peln erinnern. Ist schon der Gedanke, Holz-
schnittfiguren auf architektonische Flächen zu
kleben, außerordentlich chinesisch, so sind es
die Brüstungslinien der Loge über dem Eingang
noch mehr. Und gerade sie stoßen hart mit
einem ausgesprochenen Barockornament zu-
sammen, mit dem sie die beste Nachbarschaft
halten. Es ist eine ununterbrochene Reihe
architektonischer Bonmots — das Wort „Witze"
wäre viel zu stark —, geistreicher, blitzender
Wendungen und Gedanken.

Und doch geschieht das Wunder, daß die
Wirkung des Ganzen feudal und vornehm bleibt,
geschmackvoll bis in die letzte Schwingung des
Ornamentes hinein. Wenn etwas an Campbell
den Engländer verrät, so ist es diese ererbte
und jeder Anfechtung überlegene Sicherheit des
Geschmackes, die alles wagen kann, ohne zu
entgleisen. Er hat seine Aufgabe im Kern er-
faßt und gelöst: Mit Grazie leichtfertig, mit
Leichtfertigkeit künstlerisch zu wirken.

Die Halle blieb im ganzen, wie sie war;
Campbell hat sie selbst vor zehn Jahren ent-
worfen. Sie bekam nur einen gewaltigen gläser-
nen Lüster und an der Hinterwand eine Reihe

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