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Dörpfeld, Wilhelm; Reisch, Emil
Das griechische Theater: Beiträge zur Geschichte des Dionysos-Theaters in Athen und anderer griechischer Theater — Athen, 1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.5442#0401

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386

VIII. Abschnitt. Die Entwickelungsgeschichte des griechischen Theaters.

verläuft in gerader Linie. Für diese vielen und grossen Verschiedenheiten, deren
Zahl sich noch vermehren lässt, weiss man keine triftigen Gründe anzugeben.
Man ist zwar überzeugt, dass die Römer nicht nur das Theaterspiel, sondern
auch das Theatergebäude von den Griechen übernommen haben, aber warum
sie den Zuschauerraum und die Bühne so vollständig umgestaltet haben, ver-
mag man nicht anzugeben. Man stellt immer noch, wie schon Vitruv, zwei Thea-
tertypen auf, die ganz verschieden und fast unabhängig von einander sein sollen,
und bemerkt nicht, dass das römische Theater mit allen seinen Verschieden-
heiten mit Notwendigkeit aus dem griechischen entstehen musste, als nach dem
Fortfall des Chores die Orchestra in zwei Teile zerlegt wurde.

Es war nicht möglich, den engen Zusammenhang der beiden Theater zu
erkennen, solange man sich von dem griechischen Theater ein ganz falsches
Bild, machte, solange man der Ansicht war, dass die römische Bühne sich aus
dem griechischen Proskenion entwickelt habe. Erst wenn man sich überzeugt
hat, dass das griechische Proskenion in der Säulenwand des römischen Thea-
ters erhalten, und dass die römische Bühne ein Teil der griechischen Orchestra
ist, stellen sich die Abweichungen der beiden Theater als naturgemässe Weiter-
bildungen des griechischen Theaters heraus. In der Erkenntnis dieses Zusam-
menhanges liegt zugleich, wie wir im VII. Abschnitt andeuteten, der beste und
schon allein entscheidende Beweis für die Unrichtigkeit der alten Theaterlehre.

Die Gestalt des römischen Theaters haben wir im ersten Abschnitte bei
der Besprechung des römischen Umbaues des Dionysos-Theaters teilweise ken-
nen gelernt. In reinerer Form sehen wir sie am Herodes - Theater in Athen und
an der grossen Zahl erhaltener römischer Theater in Italien, Kleinasien und den
anderen römischen Provinzen. Auch Vitruv (V, 6, 3) giebt eine genaue Beschrei-
bung seines Grundrisses und seines Aufbaues. Damit wir bei der folgenden
Besprechung den Grundriss eines römischen Theaters vor Augen haben, ist ne-
benstehend in Figur 95 der Grundriss des Theaters von Aspendos abgebildet.
Einen anderen römischen Grundriss findet man noch weiter unten in der rechten
Hälfte von Figur 99, der nach den Theatern von Athen (Herodes) und Pompeji
gezeichnet ist. Ein dritter Grundriss ist der S. 87 in Figur 32 abgebildete Plan
des athenischen Dionysos-Theaters nach seinem Umbau unter Kaiser Nero. Der
Plan von Aspendos, welcher rechts die untere, links die obere Einrichtung der
Seitenbauten des Theaters zeigt, ist besonders lehrreich, weil das Proskenion sich
klar von der Skene und ihrer Vorderwand abhebt und für ein griechisches Pro-
skenion gehalten werden könnte. Dass der Orchestrakreis in diesem Theater, wenn
er ausgezeichnet wird, gerade vor dem Proskenion vorbei geht, ist aus dem Grund-
riss zu erkennen. Die Bühne hat in Aspendos eine verhältnismässig geringe Tiefe.

Trotz grösserer Verschiedenheit im Einzelnen stimmen fast alle römischen
Theater in den wesentlichen Punkten überein, vor Allem haben sie alle eine
geräumige Bühne, welche etwa das Doppelte des Orchestradurchmessers zur
Länge und rund ein Drittel desselben Durchmessers zur Breite hat. Ihre Höhe
 
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