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Die Gartenkunst — 2.1900

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Wieck, Hans: Gartenkunst als Kunstgattung?
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https://doi.org/10.11588/diglit.22267#0088

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11, 4 DIE GARTENKUNST 77

Eindruck, ganz Subjekt, ist sie von der Gewalt der Materie
bis zur erreichbaren Vollkommenheit befreit. Der Pol zur
Natur ist erreicht, der Kreis knüpft sich hierwiederzusammen. —
Wir sehen, das Plastische, das Malerische, das Musikalisehe,
das Dichterische, ist jedes eine Welt für sich, in der sich nicht
das eine durch das andere ersetzen, oder gar eins das andere
übertreffen kann. In Bezug auf die Freiheit der Persönlichkeit
aber giebt es Unterschiede. Die Stufenfolgen sind klar erkennbar.
Die Freiheit ist am meisten beschränkt in der Gartenkunst, am
wenigsten in der Dichtkunst. Die Gartenkunst stellt sich also
in diesem Sinne fast als reine Zweckkunst oder als die unterste
Stufe der individuellen Kunst dar, die Poesie dagegen fast
als reine Persönlichkeitskunst, als die höchste Stufe der indi-
viduellen Kunst.

Wenn im vorhergehenden gesagt ist, dal's die Kunst in
ihrer Entwickelung das Streben zeigt, starke Persönlichkeiten
zu erziehen, so mul's sich im Sinhe eines ästhetischen Ideals
noch ein zweiter gleichwertiger Faktor anreihen, der des Intu-
itionsvermögens. Höchste Persönlichkeit ohne entsprechendes
Intuitionsvermögen, höchste Intuition ohne persönliche Aus-
reifung sind vom ästhetischen Ideal gleich weit entfernt. Das
Intuitionsvermögen, die Gröfse der individuellen Auffassung
kann sich, je nach der Veranlagung des Individiums nach der
formalen oder nach der charakteristischen Seite hin ausbilden.
Der eine wird bei der Betrachtung eines ästhetischen Stoffes
seinen inneren Sinn mehr auf die Art der Gesetze und Kräfte,
durch welche der Stoff in die Erscheinung tritt, lenken, der
andere mehr auf den im Stoff ruhenden Inhalt. Aufbau, Rhythmus
Typus, Formkunst auf der einen, das rein Inhaltliche, der blofse
Gefühlswert, Charakterkunst auf der andern Seite. Keiner
dieser beiden Faktoren fällt, einzeln genommen, aus dem
ästhetischen Stoff heraus, das Formale hat jedoch nicht dieselbe
Entwickelungsfähigkeit, wie das Charakteristische. Ich übergehe
die höchst interessanten Ausführungen Bies in Bezug auf
Malerei, Skulptur und Musik und nehme mir die Beweisführung
an der Gartenkunst heraus. Es handelt sich also darum, klar-
zulegen, dal's das rein Formale das ästhetische Ideal nicht, das
Charakteristische es, bis zu einem gewissen Grade, wohl er-
reichen kann.

„Wenn der Natur durch die Fülle der einander entgegen-
arbeitenden Kräfte versagt ist, die mathematischen Gesetze,
nach denen jede ungestörte Kraft wirken würde, rein in die
Erscheinung zu bringen, so hat der Mensch ihr gegenüber den
Vorteil, dieselben reiner heraus zu bringen, weil er eine Kraft
von der anderen ablösen kann. Es gab auch in der Gartenkunst
ein solches Verfahren, das Abziehen des Typus von der Be-
sonderheit, ein Verfahren, welches der Natur gleichsam den
Beweis gab: So hättest du es machen sollen! Die Gartenkunst
begann mit mathematisch genauer Tektonik, erst allmählich
besinnt sich die Pflanze auf ihre individuelle Seele, Waldmotiv,
Wiesenmotiv werden selbständiger ausgebildet, die Zustutzun-
gen und Terrassierungen werden fallen gelassen, endlich wird
die reine Landschaft proklamiert. Was that man in der tek-
tonischen Periode des Gartenbaus anderes, als dal's man so-
zusagen die harmonischen Formen des Naturwerdens mathema-
tisch reinigte und dorthin regelmäl'sige Verhältnisse brachte,
wo die Natur selbst immer über den Strang schlug? Die
Apfelsinenbäumchen müfsten ja kugelrund wachsen, wären die
Triebkräfte gänzlich gleich verteilt, und die Cypressen müfsten
ja die genaue Kegelform erhalten, wäre ihr Wachstum nach
allen Seiten gleich und ungestört, und die Hecken müfsten
ebenso zu Mauern werden. Aber zu diesen innerlich allenfalls
berechtigten formalen Bildungen kamen noch äul'sere, die von
der benachbarten Architektur einfach aufgedrängt wurden.

Wenn man aus Bäumen Figuren schneidet und aus Blumen
Ornamente herstellt, so legt man von aufsen dem Garten einen
formalen Zwang auf, zu dem er sich garnicht berufen fühlt.
In den Zeiten des ärgsten Gartenformalismus verbanden sich
solche innerliche und äufserliche formale Bildungen zu einer
völligen Verhunzung des Gartencharakters. Da die Entwickelung
der Gartenkunst ziemlich regelmäfsig verlief, bietet es im ein-
zelnen ein grofses Interesse, zu verfolgen, wie der Charakter
dort allmählich sein Recht gegen die Form geltend macht
und erringt. Im Pücklerschen Garten ist, aufser in der engsten
Nähe der Baulichkeit, alles Formale überwunden, hier spricht
nur der Charakter — in Vegetabilien, wie im Terrain, wie in
Perspektiven."

Nach diesen Auseinandersetzungen hätte sich also die
Gartenkunst parallel mit den anderen reinen. Künsten immer
weiter von der formalen Seite, weg, nach der persönlichen,
charakteristischen Seite hin entwickelt. Sie würde ihr Ziel
finden: In der Überwindung des Formalen, in dem Ausschlufs
derRegelmäfsigkeit und architektonischen Form, zu der die Natur
sich nicht berufen fühlt, in dem alleinigen Nachempfinden der
Natur, gleichzeitig aber auch in der Betonung der Persön-
lichkeit. Ich glaube jedoch, dal's Bie zu einer anderen Sehlufs-
folgerung hätte kommen müssen, dal's nämlich die Gartenkunst
nicht in die Reihe der Künste aufzunehmen ist, welche die
Erkennungsmögiichkeit einer Persönlichkeit anstreben. Bie
sagt: „Hat doch sogar der Gartenbau (richtiger wohl: die
Gartenkunst. Red.), der allerunpersönlichste, von seinen ersten
Anfängen über die formale italienische französische Zeit bis
zum Puritanismus der Engläuder Kent, Repton, Brown und
schliefslich bis zum ausgesprochenen Individualismus
des Fürsten Pucklers, den Fortgang ins Persönliche gemacht.
Vom formalen Garten Italiens und Frankreichs kam man erst
zum pittoresken Garten Englands, worauf man von dessen Na-
türlichkeit im einzelnen zur Natürlichkeit im ganzen fortschritt.
Noch immer waren die technischen Kenntnisse und Exerzitien
die Hauptbeschäftigung des Gartenkünstlers, aber ein kleiner
intuitiver Hauch durchwehte diese Kunst doch schon und gab
ihr auch wachsende ästhetische Bedeutung." Wesentlich ver-
schieden urteilt Bie an einer anderen Stelle, die, wie ich glaube,
das Wesen der Gartenkunst richtiger differenziert. Es heilst
dort: „Die Gartenbaukunst ist zunächst ganz Technik und
wird in ihren ersten Zeiten vom Menschen formal behandelt.
Erst später keimt so etwas wie Intuition in ihr auf, wenn
im landschaftlichen Garten der Künstler sich gleichsam in die
Seele des Terrains versetzt und aus dem Boden heraus, mit
der Unbefangenheit der schaffenden Natur den G arten empfindet.
Er zwingt dann den Abhang nicht mehr in Terrassen, die
Ebene nicht mehr ins Gebirghafte, die Bäume nicht mehr ins
Architektonische, er fühlt mit dem vegetabilischen Teil, mit
dem specifischen Wesen des Terrains, mit dem eigenartigen
Charakter des Klimas — er versenkt sich in eine gewisse
innere Anschauung, um in voller Reinheit und Naivetät die
Landschaft aus dem Boden emporwachsen zu lassen, welche
die Natur in ihrer besten Stunde dort selbst nach ihren eigenen
Gesetzen hervorgeholt hätte. Repton dürfte der erste gewesen
sein, der gegen die Uniformität sowohl des architektonischen
wie des englischen Gartens diesen Individualismus des
vegetabilischen Lebens richtig empfand, und die deutsche
Landschaftsgärtnerei hat ihn weiter ausgebildet." Es ist darauf
aufmerksam zu machen, dal's sich in diesen Ausführungen der
Ausdruck: „ausgesprochener Individualismus" durch ver-
schiedene Stufen hindurch sehr wesentlich umgewandelt hat.
Es wurde daraus: „kleiner intuitiver Hauch", später „etwas
wie Intuition" und schliefslich die Fähigkeit, den Individualis-
 
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