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Die Gartenkunst — 2.1900

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Luedtke, Hermann: Ein Jahr nach dem Feste
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https://doi.org/10.11588/diglit.22267#0160

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148

DIE GARTENKUNST

Das sind nun sehr verschiedenartige Fächer; besonders be-
merkenswert erscheint, dafs in bewegter Zeit einer der Führer
eines bewaffneten Studentenkorps aus unseren .Reihen hervor-
ging und dafs laut Verzeichnis die Anstalt der Welt u. a. auch
einen Missionar, der Stadt Berlin aber einen Oberfeuerwehrmann
geschenkt hat.

Haben wir so die Vergangenheit betrachtet, so richtet sich
unsere Betrachtung ganz natürlich auf die Zukunft, also auf
Dahlem; mit Dahlem soll nun eigentlich eine ganz neue Aera
beginnen ;wir werden uns kaum täuschen in der Annahme,
dafs es in der Hauptsache den Landschaftern gehören wird.

Fangen wir mit dem Eintretenden an, so hat derselbe
seine Lehrzeit hinter sich, einige Jahre als Gehilfe gearbeitet
und wird nach beendetem Studium etwa 26 Jahre alt sein. Hat er
in dieser Zeit auch noch sein Jahr abgedient, so wird man zu-
gestehen müssen, dal's derselbe seine Zeit gut angewandt hat.
Inzwischen hat der Vater zu Hause pünktlich Buch geführt
und findet heraus, dafs sein Sohn — selbst nach Abzug
dessen, was er als Gehilfe verdient — doch bedenklich viel
Geld gekostet hat; natürlich richten sich nun auch seine Er-
wartungen bezüglich der Zukunft des Sohnes nach diesem
ßechenexempel.

Sehen wir uns nun diese Zukunft etwas näher an. Der
Sohn nimmt voraussichtlich eine Stellung als Gehilfe an, wird
irgendwo hingeschickt, eine kleinere oder gröfsere Garten-
anlage auszuführen, wird meist gut aufgenommen und beendet,
wenn seine Arbeit nicht etwa im Herbst durch Frostwetter,
im Frühjahr durch die fortschreitende Vegetation unterbrochen
wird, welche gebieterisch eine andere Verwendung der zur
Verfügung stehenden Arbeitskräfte verlangt, seine Aufgabe zur
Zufriedenheit des Besitzers. Er macht seine Liquidation, hat
Geld in der Tasche und kann, wenn das Glück ihm wohl will,
auch in die alte Stellung wieder eintreten. Dies ist aber ein
verhältnismäfsig seltener Fall, da der Prinzipal vorzieht, mit
ihm immer sicheren Arbeitskräften zu wirtschaften. Unser
junger Freund wird sich schon glücklich schätzen können,
wenn er in solchen Zeiten irgendwo vorübergehend mit auf
der Tagelöhnerliste geführt werden kann, bis er eine neue Be-
schäftigung findet; zur Not hat er ja auch noch Angehörige
und Freunde, auf die er rechnen kann und aufserdem den
herrlichen Jugendmut! Das geht so eine Weile und ist
höchst interessant. Unglücklicherweise aber wird der Mensch
alle 12 Monate um ein Jahr älter, Schwierigkeiten, die früher
nur zur Erhöhung der Heiterkeit beitrugen, stimmen ernster,
der Körper verliert an Elastizität, man nimmt auch Gewohn-
heiten an — kurz und gut, die Sache wird ungemütlich und
der Galgenhumor stellt sich ein. Dann kann leicht geschehen,
was wir nur von wenigen mit Bestimmtheit wissen; wir
fürchten, dafs so mancher mit eigener Hand seinem Leben ein
Ziel gesetzt hat, der eine im wüsten Sinnestaumel, der andere
nach kühler Erwägung aller Chancen; wohl denen, die bei
Zeiten das Bedenkliche der Lage erkannt und ihr Leben etwa
einrichteten nach dem sicherlich besten Rezept, welches der
weiland Sanitätsrat Dr. Salomon in seinem ganzen Leben je
niedergeschrieben in den Worten:

„Sie lachten dazu und sangen und waren froh und frei,

Des Weltlaufs Elend und Sorgen — sie gingen an ihnen vorbei!"

Wir sprechen hier von vergangenen Zeiten und wollen
gleich hinzufügen, dafs mittlerweile die Verhältnisse sich ge-
bessert haben; auch an unserem Fache ist der Aufschwung,
welcher seit dem grofsen Jahre ] 870 eingetreten, nicht spurlos
vorübergegangen, wenn wir uns trotzdem auch nicht verhehlen
dürfen, dafs von unsern Diensten nur Gebrauch machen kann,
wer den unerläfslichen Bedürfnissen des Lebens bereits genügt

hat; unsere Dienste liegen jenseits der Grenze des Notwendigen.
Zum Glück hat aber die gröfsere Wohlhabenheit den Freunden
des Gartens gestattet, ihrer Liebhaberei mehr Opfer zu bringen;
gröfsere staatliche Bauten werden mit entsprechenden Garten-
anlagen ausgestattet, viel geschieht zur Verschönerung der
Bäder, bedeutender Etablissements etc. Vor allem aber sind
es die Kommunen und unter ihnen besonders die gröfseren,
welche bestrebt sind, für das leibliche und geistige Wohl ihrer
Bewohner zu sorgen, indem sie sich mit einem Gürtel von
Pflanzungen umgeben, die Plätze mit Bäumen und Blumen-
schmuck ausstatten und die liebe Jugend nach besten Kräften
mit Spielplätzen beglücken.

Durch diese Arbeiten werden natürlich viel Hände und
Köpfe beschäftigt, sodafs trotz des gröfseren Andrangs die
Aussichten im Fache augenblicklich günstiger sind als bisher.
Dennoch dürfen wir uns nicht verhehlen, dafs jede Arbeit
einmal beendet wird und dafs zur Erhaltung solcher Schöpfungen
lange nicht so viel Kräfte erforderlich sind, als zu ihrer Her-
stellung; aufserdem bleiben die höheren Stellungen in festen
Händen, solange die Inhaber derselben leistungsfähig sind; eine
Altersgrenze giebt es da nicht. Soviel nun auch jetzt ge-
arbeitet und geschaffen, soviel Kräfte augenblicklich und wohl
auch noch für längere Zeit in Anspruch genommen werden,
so wird trotzdem die Zeit wieder kommen, wo — kaufmännisch
ausgedrückt — das Angebot gröfser ist als die Nachfrage-
Wohl dann den jungen Leuten, die das Glück hatten, festen
Anschlufs an ein bestehendes Geschäft zu finden, wo sie vor
längerem oder kürzerem Müfsiggang geschützt sind! Das ge-
eignetste hierzu ist die Baumschule.

Mittlerweile ist der überaus reiche Lehrplan für Dahlem
erschienen, über welchen wir auf Wunsch uns schon an anderer
Stelle ausgesprochen haben. Wir geben lebhaft dem Bedauern
Ausdruck, dals zum Eintritt nicht das Abiturienten-Examen
verlangt wird und raten dringend jedem, der sich der sog.
schönen Gartenkunst widmen will, dies Examen zu machen.
Es soll denen, welche die Hoffnung aufgeben müssen, im Fache
ein gesichertes Fortkommen zu finden, die Brücke zu einer
besseren Zukunft schlagen und unter allen Umständen ihnen
einen angemessenen Platz in der menschlichen Gesellschaft
sichern. „Wie konnten Sie Gärtner werden?" Diese Frage
haben wir nach näherer Bekanntschaft oft genug gehört.
Ferner raten wir unsern jungen Kameraden auf der Anstalt,
alles mit dem gröfsten Ernst zu betreiben und ihr Leben so
zu regeln, dafs sie an Geist und Körper frisch bleiben bis zu
den älteren Tagen; sie brauchen deswegen keine Duckmäuser
zu werden. Wir lenken die Aufmerksamkeit namentlich noch
auf Nivellementsarbeiten hin, deren es in nächster Zukunft,
wenn nicht alle Zeichen trügen, in grofsem Mafsstab die Hülle
und die Fülle geben wird, vielleicht in noch viel gröfserem,
als man augenblicklich annimmt, welche auch vielfach Kennt-
nisse unseres Faches beanspruchen, sodafs tüchtige Kräfte
hierbei vollauf Beschäftigung finden werden.

Sollte man auf Grund unserer Auslassungen uns derSchwarz-
seherei beschuldigen wollen, so geben wir zum Schlufs die
Erklärung ab, dafs wir, jetzt am Abend unseres Lebens stehend,
nichts dagegen einzuwenden hätten, diesen ganzen Lebenslauf,
in kürzeren Strecken zurückgelegt mit den Herren, in viel
längeren aber mit den Habenichtsen dieser Welt, mit seinem
Entsagen, seinem Hangen und Bangen in schwebender Pein
und seiner goldenen Unabhängigkeit noch einmal von vorn
anzufangen. Hermann Lüdtke, Breslau.
 
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