Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Gartenkunst — 32.1919

DOI Artikel:
Heilig, Wilhelm; Völckers, Otto: Vom sparsamen Bauen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22269#0015

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Gemeinschaftliche Einrichtungen sind im Sied-
lungswesen sehr erwünscht, sowohl aus Erspar-
nis- als aus Geselligkeitsgründen, nur dürfen sie
keine Eingriffe in das Familienleben bedeuten.
Eine Einrichtung, die einen besonders ausge-
prägten Genossenschaftscharakter haben würde,
wäre die Meierei. Ihre Verwirklichung bedeutete
den Wegfall des dem Einzelhause angegliederten
Stalles und seiner Ausdünstungen. Eine Möglich-
keit wäre gegeben, in einwandfreier,hygienischer
Weise den Mitgliedern die Erzeugnisse zu liefern.

Neben diesen grundsätzlichen Erwägungen
dürfte eine andere Frage wichtig erscheinen:
Die Bedeutung des Gartens an sich im
Gesamtrahmen der Siedlung.

Ihm fällt m. E. ein wesentlicher Teil der Kul-
turaufgabe zu. Es ist nicht damit abgetan, daß
jedem Hause irgendein Stück Land zugeteilt wird,
das 200 qm umfaßt und bei näherer Betrachtung
kaum als Garten angesprochen werden kann.
Ganz abgesehen von unten näher besprochenen
Mängeln technischer Art, die den Verzicht auf
die Mitarbeit eines Fadimannes beweisen, ist
jedes Raumgefühl bei einem Grundstück erdrückt,
dessen Länge sich zur Breite wie 6:1 verhält.
Je bescheidener die Wohnung aus wirtschaftlichen
Gründen ist, um so mehr muß das Bestreben vor-
herrschen, aus demGarten grundstück das äußerste
herauszuholen, was an Wohnlichkeit und Behag-
lichkeit unter beschränkten Verhältnissen ge-
schaffen werden kann, um in der wärmeren
Jahreszeit den Garten als erweiterte Wohnung
benützen zu können. Hierin liegt doch ein we-
sentlicher Bestandteil der Vorteile, die der Sied-
lungsgedanke birgt. Die Aufstellung einer Norm,
wieviel Ertrag vom Quadratmeter herausgewirt-
schaftet werden muß, gehört selbstverständlich in
die derzeitige Übergangsperiode äußerster Wirt-
schaftsnot. Aber es würde bei vielen Siedlern eine
Erlahmung des Interesses am Gartenleben be-
deuten, sollte der Nützlichkeitsstandpunkt allein
für die Dauer ausschlaggebend werden. Die Größe
des Gartenanteils ist für die Zukunft weniger von
Bedeutung als die Hingebung zur Pflege und das
Verständnis für die Natur und Pflanze, für die
Blume, vielleicht den Bienenstock. Es wird in
normalen kommenden Zeiten wohl keinem Men-
schen, der seinen Achtstundentag hinter sich hat,
einfallen, unter allen Umständen Sklave seiner
Quadratmeteranteile zu sein und sich einen Kraut-
kopf zu ziehen, den er dank einer vernünftigen
Verkehrspolitik und des Güteraustausches inner-
halb der Länder um einen Spottpreis kaufen
kann. Oder soll der Erfolg des Krieges inSelbst-
genügsamkeit und wirtschaftlicher Abgeschlossen-
heit, dem gefährlichsten Feinde großzügiger
Volkswirtschaft enden? Verlangen wir nicht
selbst dringend nach Ausfuhr unserer Erzeug-

nisse, und wird nicht auch möglichst bald wieder
die Zeit kommen, in der Verbrauch der zum
Lebensunterhalt und zur Kultur notwendigen
Materialien und Lebensmittel, der rege freund-
nachbarliche Austausch zwischen den Völkern
Fortschritt bedeutet? Wenn Länder mit un-
gleidi günstigeren klimatischen Voraussetzungen
uns Gemüse liefern zu einem Preise, der weit
unter unsern Selbsterzeugungskosten steht, soll
der Siedler trotzdem Kohl bauen?

Unter Berücksichtigung dieses Standpunk-
tes meine Forderung: Die Gestaltung des
Gartenstückes heute schon möglichst
so, daß nicht Raumwirkung zur Un-
möglichkeit wird, daß auch in einem Gar-
ten von 200 qm ein Apfel-, Birn- oder Kirsch-
baum sich recken kann, ohne daß der Besitzer
pflanzt und der Nachbar erntet, daß für einen
'Liebhaber von Blumen die Möglichkeit besteht,
sich sein Gärtchen behaglich einzurichten und
er nicht wie im Zwinger nur die lange Wege-
zeile auf- und abzugehen vermag. Daß jeg-
liche Nutzpflanzung nach den Übergangsjahren
ausgeschaltet sein soll, ist nicht gesagt. Wir
haben Früchte, die sich schlechterdings nicht ein-
führen lassen, ohne bei weiterem Versand zu
leiden (Erdbeeren), es gibt Gemüsearten, deren
Rentabilität sich nicht zahlenmäßig errechnen
läßt (Spargel u. a.), auf sie müßte der Siedler
deswegen verzichten, weil unter Umständen da-
durch die Herauswirtschaflung von x Mark auf
das Quadratmeter in Frage gestellt wäre.

Wenn der Arbeiter nach einer gewissen Zeit,
nach Jahren, den Wunsch hegt, sich ein solides
Gartenhäuschen zu bauen, das ihm mehr sein
soll, als die bekannte Schrebergartenlaube, viel-
leicht unter dem Baum, den er selbst gepflanzt
hat, wenn auch ihn nach der Köstlichkeit ver-
langt, nach der Arbeit mit den Seinen dort zu
essen oder im Kreise der Familie den Abend
lesend zu verbringen, ist es „Sentimentalität“,
die aus solchem Wunsche spricht, oder sind es
echte Lebenswerte? Und wo gibt es einen Raum
in den fast unwahrscheinlichlangen Behrensschen
Geländestreifen, wo eine solche Laube Platz fände,
ohne daß die Insassen in störender Weise die
allzu große Nähe des Nachbars empfänden? —

Glückliche Menschheit, der jedes Maß irdischer
Glückseligkeit nach Rentabilitätstabellen vor-
errechnet würde, wenn der Siedlungsgedanke
sich in alle Zeiten mit jener Intensität verwirk-
lichte, die man für die Reihe der uns bevor-
stehenden schlimmen Wirtschaftsjahre als hof-
fentlich recht kurzfristige Übergangsperiode be-
zeichnen möchte! —

Bei der im Lageplan Seite 15 oben gezeigten
Anordnung der Häuser hätte mit wenig Mühe eine
obigen Ausführungen mehr entsprechende Auf-
teilung der Gartengrundstücke erfolgen können
durch Einschieben eines Längsverbindungsweges

11
 
Annotationen