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Die Gartenkunst — 32.1919

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Zahn, Fritz: An der Schwelle einer neuen Zeit, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22269#0036

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Südlicher Aufgang zur Orangerieterrasse.
Aus dem Körnerpark in Neukölln.

abhängig machen,“ geschehen muß, entspricht
den Forderungen der neuen Zeit.

„Freie Bahn dem Tüchtigen“ ist aber nicht
in dem Heickeschen Sinne zu verstehen, daß wir
den sicherlich in vielen Fällen Tüchtiges auf Ein-
zelgebieten unseres Berufs leistenden Auto-
didakten nun die Wege ebnen zu unserer „höch-
sten“ Fachprüfung. Die neue Zeit fordert diese
freie Bahn vielmehr in der Weise, daß der ganzen
männlichen und weiblichen Jugend ohne Unter-
schied die Möglichkeiten geboten werden, sich
aller unentgeltlich zur Verfügung stehenden Aus-
bildungsmöglichkeiten zu bedienen. Es wird nie-
mand mehr nötig haben, sich durch Selbststudium
die Kenntnisse zu erwerben, die neben einer guten
Veranlagung zur Ausfüllung einer Stelle erfor-
derlich sind. Unter gleichen Ausbildungs-
möglichkeiten und gleichenBedingungen
soll in Zukunft der Nachwuchs in Wettbewerb
treten. Das ist im Sinne der neuen demokrati-
schen Zeit. Ob und wann es kommen wird, muß
ab gewartet werden.

Eine „übertriebene Bewertung von Zeug-
nissen und Prüfungen“ findet, soviel ich bis
jetzt bei Stellenbesetzungen beobachten konnte,
auch heute nicht statt. Zeugnisse über Prü-
fungen und von Vorgesetzten werden wohl ein-
gefordert, sie finden aber nur Verwendung als
Unterlage zur allgemeinen Beurteilung der
Bewerber. Die weitergehende Auswahl findet
wohl in der Regel durch Einholung besonderer

Gutachten, meistens sogar am Tätigkeitsort der
Bewerber statt. Der Bewerber ohne Prüfungs-
zeugnisse ist dabei wohl im Nachteil; solange
es aber kein anderes Verfahren gibt, um über
Kenntnisse und Leistungen eines Menschen ein
Urteil fällen zu können, als Prüfungen, deren
Niederschlag die Zeugnisse sind, muß es wohl
dabei bleiben.

Ein ähnliches Verfahren, wie das Künstler-
Einjährige, auch zur Bewertung der Leistungen
in einem Beruf einzuführen, würde ich für einen
großen Fehler halten. Beim Künstler-Einjährigen
gibt oder gab das Bestehen der Prüfung nur die
Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Militär-
dienst, ohne daß damit ein besonderes Urteil
über die allgemeinen beruflichen Leistungen der
Prüflinge gegeben wurde; in dem Heickeschen
Sinne würde eine solche Prüfung aber eine über
den Wert einer kurzen Prüfung hinausgehende
Bewertung der ganzen Berufsleistungen des
Prüflings bedeuten. Darin sind sich doch alle
Schulmänner einig, daß für die Beurteilung eines
Schülers nicht das von vielen Zufälligkeiten ab-
hänqige Ergebnis einer verhältnismäßig kurzen
Prüfung maßgebend ist, sondern die Klassen-
leistungen des ganzen Jahres. Gerade für einen
Beamten ist es aber dringend erforderlich, daß
er eine durch Prüfungszeugnisse belegte mög-
lichst gute Ausbildung genossen hat, wenn er
nicht von seinen beamteten Kollegen anderer
Tätigkeitsgebiete über die Schulter angesehen

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