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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 27-50 (2. Februar 1902 - 28. Februar 1902)
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https://doi.org/10.11588/diglit.23860#0271

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ganisaiion wi'msche, möge er öie nötigen Anträge stellen) Er
verspreche dem Vorredner, da, wo es gemätz der Verfassung
möglich sei,, eine Jntervention eintreten zu lassen,

Daranf vertagt sich das Haus auf morgen 1 Nhr,

Bade».

— Es bestäkigt sich, daß Bebel zu dem Offenburger
Parteitag der badischen Sozialdemokiatcn kommr, um den
Opporiunisten, die sogar das Budget bewilligen wollcn,
die Köpfe zurecht zu setzcu. Da wird cs lebtzafte Aus-
einandeisetzungen geben oder richt-ger viel Geschrei nin
nichts. Auch wcnn Bebel die Mehrheit der Anwefenden
auf se ne Seite bringt, darf man keine großen Ereigmsse
erwanen. Hinlerher werdcn die badischeu Genossen lhun,
was ihneu gcsällt, gerade wie jetzt auch!

K arls r uhe , 8. Februar. Dem „Schwäbischen
Merkur" wrrd geschrieben: Allgemein rühmt man die
interessanteu Verhandlungen der E r ste n K amnrer,
in der Freuude und Gegner des Zolltarifs zum Worte
kamen. Die inhaltsreichen und meist auch gut dispo-
nierten Reden ermüdeten nicht, denn hier sprachen Män-
ner, die wissenschaftliche Bildung mit reicher Lebenser-
fahrung verbinden. Es war in der That ein „Genuß",
ihnen zuzuhören. Dies ist doppelt bemerkenswert in
einem Augenblick, in dem die gesamte Presse über die
entsetzliche Breite gewisser Verhandlungen der Zweiten
Kammer klagt und der „Volksfrennd" sich zu dem Ans'-
spruch versteigt: „Das Niveau, auf dem sich die Debatten
bewegen, steht nachgerade so tief wie kaum je zuvor."
Allerdings wissen wir uns auch noch zu erinnern, daß in
der Zweiten Kämmer eine größere Zahl von herborragen-
den Persönlichkeiten saß, Männer, die heute gar nicht
mehr durchkämeu, weil sie es verschmähen würden, den
Wählern um den Bart zu gehen, die aber eine für das
badische Volk sehr nützliche Thätigkeit in der Kammer ent-
falteten. Der „Volksfreund" merkt nur nicht, daß das
Sinken des Niveaus mit der in Schwang gekommenen
Uebung zusammenfällt, daß nicht mehr die Wahlmänner
öen Abgeordneten erkiesen, sondern die Parteien ihn schon
vor den llrwahlen „aufstellen". Die Einführung der
direkten Wahl ist eine politische. Notwendigkeit gewor
den, aber daß sie eine „Hebung des Niveaus" nüt sich
bringen werde, hat noch niemand zu hoffen gewagt. Sie
findet ihr Gegengewicht darin, daß die rein sachlichen
und kurzen Reden in der t. Kammer wenigstens in
Baden desto mehr Beachtung finden und mit um so
größerer Würdigung gelesen werden. Vielleicht ist in
Baden ein bischen Konkurrenzneid dabei, wenn die
Soz.Dem. so sehr gegen die t. Kammer eifern und es
nicht haben wollen, daß derselben noch mehr Kapazitäten
Zugesellt werden. Jn der Welt haben aber neben den
Massen auch die gescheidten Leute ihre Berechtigung und
diese können dem Staat durch ihre Ratschläge am meisten
nützen.

L.6. Karlsruhe, 10. Febrnar. Bei der General-
debatte über das Budget des Justizmimstcriums in der
Zweiten Kammer der Landstände hat der Abgeordnete
Frühauf angekündigt, er werde in dcr Spezialdebatte zur
Sprache bringen, ob nicht nur an die Staatsanwaltschastcn,
sondern auch an die Gerichte ein M in i ste r ia le rl a ß des
Jnhalts ergangen sei, das künftighiii bei Bchandlung der
bezirksamtlichcn Sirafverfüaungeii, sobald dieselbcn infol.e
Antrags auf gerichtliche Entscheldung an die Gerichte ge
langtcn, möglichst der Auffassnng des Bezirksamtes Rcchnung
getragen werdcn solle. Der Abgeordncte Frühaus hat
seine Abstcht in der Spczialdebalte jcdoch nicht ausgcführt,
vermullich, weil er inzwischcn erfahien hatte, daß ein Er
laß des bezcichnelen Jnhalts an die Gerichte nicht er-
gangen ist. Dagegen ist lt. „K.irlsr. Ztg." eine An-
weisung an die St a ats an w a l t s ch a f t en eifolgt, bei
der llebcrnahme der Verfolgnng einer Uebertretnng oder
bei dem infolge dcs Antrags auf gerichtliche Eatscheiduilg
gegen eine polizeiltche Strafvcrfüguug eintretenden gericht
lichen Strafverfahren sich thnnlichst der Auffassung der
Polizcibehörde auzuschlicßen.

Preußc».

Berlin, 8. Februar. Jn der heutigen Laud-
tagssitzuug entspaun sich bei der Erledigung des
Etats des Staatsministeriums eine lebhafte Buren
debatte. Es handelt sich um die bisher ausgebliebene
Antwort der engtischen Regierung auf das Ersucheu de
Ausschusses des Burenhülfsbundes, für die gesamten
Liebesgaben zu den Mmzentrationslageru stcheres Geleit
zu gewähren. Der freikonservative Abgeordnete Lüll
hoff hatte dem Reichskänzler seine Absicht, die Sache zur
Sprache zu bringen, mitgeteilt. Gleichwohl war heute
kein Minister erschienen. Darüber käm es zu lebhaften
Erklärungen aller Parteien, die zugleich einmütig für
dis freieste Bethätigung der Menschenliebe eintraten und
es aks Pflicht einer zivilisierten Nation erachteten, daß
England keinerlei Schwierigkeiten mache. Der Aus
schutz des Burenhülfsbundes hatte dem Reichskanzler
schon vor fünf Wochen eine Eingabe überwiesen, und die
Abgeordneten Lückhoff und Dr. Rewoldt von den Frei
konservativen erklärten, daß man doch wenigstens eine
Antwort Englands erwarten könne. Daß die deutsche
Regierung der englischen das Gesuch nicht übermittelt
habe, daran sei doch nicht zu denken, Englaud müsse
sich nun äußern; eine Antwort wenigstens wolle man
haben, sei sie bejahend oder verneinend, man werde
dann die Konsequenzen ziehen. Jm Namen der Parteien
äußerten sich übereinstimmend für die Nationalliberalen
der Abgeordnete von Eynern, fiir das Zentrum Doktor
Porsch, für die beiden freisinnigen Pärteien Dr. Crüger
und Gothein, ferner der konservative Graf Limburg
Stirum. Eineu kleinen Zwischenfall verursachte das Ein-
greifen eines Regierungskommissars, des vortragenden
Rats im Staatsministerium v. Rheinbaben. Er bemerkte
zu einer Erklärung nicht ermächtigt zu sein, deutete aber
persönlich an, daß die Sache vor den Reichstag gehöre.
Von verschiedenen Seiten erhielt er gereizte Antworten,
öaß das Sache des Präsidenten und des Hauses selbst sei,
ob eine Angekegenheit besprochen werden könne oder
nicht. Dr. Arendt nannte das Auftreten dss Kommissars
ungesDckt, worauf dieser esgtgegnete, er nehms 'sich
solche Kritik auch Herrn Arendt gegenüber nicht heraus,
nnd bitte, derartiges auch einem Vertreter der Regie

rung gegenüber zu unterlassen. Die schließliche Feststek-
lung eines Redners, daß in dieser Sache das ganze
Haus einig sei, wurde mit stürmischem Beifall bestätigt.

Aus der Karlsruher Zeitung.

— Expeditionsassistent (Eisenbahnpraktikant) Lndwig Kirsch
wurde zum Betriebsassistenten ernannt. Expeditionsasststent
Heinrich Feld in Appentveier wnrde nach Basel versetzt.

Karlsruhe, 10. Febr. Gestern Bormittag nahmen
der Großherzog nnd die Großhnzogin mit der Krovprin-
zessin Victoria an dem Gottesdienst in der Schloßkirche
teil, wobei Hofdiakonus Dr. Frommel die Predigt hicli.
Darnach ea pfing der Großherzog den Archivdirektor
Geheimerat Dr. von Weech zu längcrem Vortrag. H erauf
folgtcn die höchsten Herrschaften einer Einladung des Prinzen
Karl und der Gräfin Rhena zur FrühstückStafel Heute
Vormiitag 10 Uhr empfing der Großherzog den Staatsrat
Freihtrcn von Dusch und um 11 Uhr dcn Prästdenten
des Evangelischcn Oberkirchenrats Geheimerat Dr. WielanSt
zur Vorlragserstattung. Heute Nachmittag besuchten die
höchften Herrschaften die Professorcn Dill, Ritter und
Weishaupt in ihrcn Ateliers und statteten sodann dein
GencraUeutnant von Broesigke und Gcmahlin einen Besuch
ab. Später hörte der Großherzog die Lortcäge des
Gehnmcn Legationsrats Dr. Freiherrn von Babo und
des LeaationSrats Dr. Seyb.

Ausland.

Oesterreich-Ungarn.

P e st, 9. Febr. Jn Ungarn erregte es unliebsames
Aufsehen, daß Erzherzog Franz Ferdina-nd
auf seiner Petersburger Reise nicht, wie anfangs ver-
sprochen worden war, auch von einem ungarischen Kava-
lier begleitet wurde. Nun schreibt „Budapesti Hirlap",
daß der Erzherzog den Präsidenten der klerikalen Volks-
partei, Graf Johann Zichi, thatsächlich aufgefordert hätte,
ihn nach Petersburg zu begleiten; die ungarrsche Regie-
rnng hätte jedoch gleich nach Bekanntwerden der Nach-
richt gegen die Berufnng einer Persönlichkeit von so aus-
gesprochener klerikaler Parteifärbung Einspruch erhoben.
Der Erzherzog verzichtete hierauf ganz aus die Mitnahme
eines nngarischen Begleiters.

Afrika.

— Wie ans den weiteren Berichten hervorgeht, hat
das englische Kesseltreiben gegen Dewet sich
über ein Gelände erstreckt, das 100 engl. Meilen lang
und etwa 70 Meilen breit war. Die Zahl der darin
befindlichen Buren soll an 2000 betragen haben. Dewet's
Schar hat sich, wie gestern gemeldet, in kleine Haufen
geteilt nnd ist den Engländern entwischt. Auch Dewet
selbst ist entkommen. Die große Mühe war also vergeblich,
wenigstens entspricht die Gefangennahme einiger Bnren
nicht den großen Aufwendnngen.

Aus Stadt und Land.

Heldelberg, 1t. Februar.

X Aus dem Stadtrat. Jn der aestrigen Stadtrats-
sitzung wurden u. a. fotgende Gegenstände zur Kenninis bezw-
Erledigung gebrackit:

1) Nach dem Geschästsansweis der Verreckmung der städtischen
Sparkasse winden bei dieser tm Januar 37S2 Einlagen mit zu-
sammen Mk. 667 384 43 gemacht, dagegen in 2063 Einzelbeträ-
gcn zusammen Mk. 526 234.28 an die betreffenden Einleger zu-
rückb zahlt und hat die Gcsamtzahl der lktzteren um 139 zu-
genommcn.

2) Auf den 1. ds. Mts. zähtte die Ortskrankenkasse 5518
männlichc nnd 1610 weidliLe Mitglieder.

3) Jm städtischsn chemischeii Laboratorium wurden im vorigen
Monate 1 Brobc von Bier, 3 Proben von Brod, 24 von Bulter,

4 von Hackfleisch, 1 vou Margarins. 35 von Kuhwüch, 6 von
Petroleum, 5 von Pfeffer, 25 von Trinkwasser, 1 von Trauben-
wein und 24 von Wurst imtersucht und hierbet 5 Butter-,

1 Hackfleisch-, 1 Margariue- und 6 Milckprobeu beanstandet.
Von Len 129 Untersuchungen erfolgten 126 im Auftrage von
Behörden und 3 auf Antrag von Prioaten Die Untersuckmng
einer Probe Kindermilch aus der Milchkuranstalt des I. Baur
liefcrie ein günstiges Ergebnis.

4) Die Lieferung des städtischcn Porphyrschotterbedarfs wurde

den Firmen Gebrnder Leferenz, Verwaltung der Gemeinde--Por-
phyrwerke Dossenheim und Porphyrwerk Edelstein in Schriesheim
übertragen. ^

5) Die Arbeiten znr Herstellnng des Straßenbahndepots wnr-
den nach den Anträgen der Kommission fnr städtische Bauten ver-
geben.

6) Das Ergebnis der Holzversteigerung vom 4. ds. Mts. mit
einem Erlös von 13953 Mk. 65 Pfg. wurde genehmigt.

Die Heidelberger Schloßbaufrage vor dem Landtag. Wte
in Landtagskreisen verlautet, wird am künftigen Donnerstag
gelegentlich der Beratnng des Domänenbudgets anch die Heidel-
berger Schloßfrage znr Sprache kommen.

* Albert Klein f. Jn dem am Frettag verstorbenen Privat-
mann, früheren Apotheker Albert Klein hat die national-
liberale Partei ein eifriges, treues Mitglied verloren, das lange
Jahre im Sinne und im Jnteresse der badischen nationalliberalen
Partei sowohl bei sich daheim wie anch von 1887 bis 1894 als
Abgeordneter in der Zweiten Kammer in ersprießlicher Weise
thätig gewesen ist. Albert Klein, geboren am 16. November 1836
zu Weinheim, empfina in der Jngend lebhafte politische Ein-
drücke dnrch die Kämpfe der Revolution im Jahre 1848, die sich
in der Umgebung seiner Heimatstadt abspielten. Er beteiligte sich
an den nationalen Festtagen in Bremen, Wien und Frankfurt
nnd war ein begeisterter Anhänger der Einigkeit Deutschlands.
Setnen Lebensabend verbrachte Klein hier in Heidelberg, wo er
fortgesetzt allen öffentlichen Jnteressen seine Aufmerksamkeit
schenkte. Dem hiesigen Bürgerausschnß gehörte er bis zu seinem
Hinscheiden an. Der wackere tüchtige Mann und gute, national-
gesinnte Deutsche wird bei seinen Parteifreunden nnvergessen
bleiben. Die Beerdigung Klein's fand am Sonntag auf dem
htesigen Friedhof statt. Verwandte nnd Freunde, die Landtags-
abgeordneten Oberbürgermeister Dr. Wilckens nnd Professor Rohr-
hurst ans Heidelberg, Müller aus Weinheim, Greiff ans Wiesloch
und Neuwirth aus Neckarbischofsheim, sowie Vertreter seiner
einstigen Wählerschaft gaben dem Dahingeschiedenen das letzte
Gclett. Die kirchlichen Funktionen verrichtete Stadtpfarrer
Schwarz. Jm Namen der nationallibcralen Partei Badens legte
Oberbürgermeister Dr. Wilckcns mit einem warmen Abschieds-
gruße an den Verstorbenen einen Kranz an der Bahre nieder-
Weitere Kränze spendeten Möbelfabrikant Friedrich-Weinheim im
Namen des nationalliberalen Vereins Weinheim nnd Dr. Glaßner
hier im Namen des badischen ApothekeransschusseS, dessen Mitglied
der Verstorbene w:r.

** Zm Uebermut versetzte vor einigen Tagen in Rohrbach
ein 14jäbriger Volksschüler einem 13jährigen Schulkameraden
einen Fußtritt in dte Hüftengegend. Etne Entzündung rc. trat

ein uod nun liegt der Getretene io shwer k-ank in der hiesigev
Luisenheilanstalt, daß es fcagltch ist, od er mit dsm Leben dovov
kommt

— Polizeibericht Wegen Betielns wuiden 3 Personen v er»
haftet. Zur Anzeige wegen UniugS kamen 13 Peisonen.

Sinsheim 8. Fsbr. (P e t r o l e u m t a n k.) Der .Landb."
berichiet: An dem hier zur Aufstcllang gclang-nden PetrolcuM'
tank der dentsch-amerikanisckien Pstrol.ilm-Geseitschaft wciden jctz'
schon die Nrbeiten in Angriff aenomaien. Glcichzeiliz beabsicd"
tigt auch die diutsckurnssischc Naphta-Jmport G scllschaft in lsto'
sig r Gegend eme ähniiche Anlazc zu errtchlen. um dadurch
ihrem russtschen Oel etnen g-ößeren Absatz z i verschaffen.

Mannheim, 10. Febrnar. (Der KarnevalszUg
des Feuerio.) Ein starker Frcmdenstrom ergoß sich
gcstern nach Mannheim. Aus allen Richtungen der Windroso
brachten die Eisenbahnzüge Tausende von Schaulustigew
welchc bald die hiesigen Wirtschaften füllten, sodaß diese eiv
schr gures Geschäft machten. Der gestrige Karnevalszug
hat zweifellos wieder ein schönes Stiick Geld nach MannheiM
gebracht. Schon gegen 1 Uhr begann, dcm „Generalanzeiger
znfolge" auf dem Metzplatz die Aufstellung des Karncvals^
zuges, drr sich kurz nach 3 llhr in Bewegung setzte. Es laö
Witz nnd Humor in den einzelnen Gruppen; namentlich dir
Lokalsatyre zeitigte köstliche Blütcn- Auch der Schönheits^
sinn kam voll zu seinem Rechte. Alle Kostüme zeichnetev
sich dnrch Eleganz und Sauberkeit aus, soweit dies bei deM
infolge des regnerischen Wetters in den Stratzen liegendeU
Schmutze' überhaupt möglich war. Die Vorbeifahrt des
Znges dauerte ca. eine Viertelstunde. Zunächst erschienen die
üblichen Eröffnungsnummern: Feueriowagen, Till Eulenspicgcl
mit zwei Schalksnarren, vier Fanfarenbläser, Zugsmarschall
mit zwei Begleitern, Herold dcs Feuerio, drei Herolde mit det
neuen Feueriofahne, Handwerkerkapelle (Petermann) uiw
anschlietzcnd hieran eine Handwerkcrgruppe, in der sich be-
kannre Typen ans der hiesigen Handwcrkerwelt befandcn. Als
erster Festwagen rollte ein Porträt der vielbesprochenen Fest^
hallc, genannt das MMonengrab, heran. Die Kopie dieses
städtischen Baues, der schon jetzt vielfach als Schmerzcnsf
kind bezeichnet wird, war äutzerst naturgetreu. Oben avi
dem Dach satz ein grüner Frosch, in dessen Schlund unge^
zählte Gelder verschwanden. Diese Anspielung auf die vielev
Millionen, welche uns die Festhalle kostet, war ein glücklichet
Gedanke. Grotze Heiterkeit fanden die interessanten Sprüche>
mit dcnen der Festwagen versehen ivar. Die folgende GruPP^
bildete cine vorznglich erdachte Anspiclung auf den BesuÄ
des Sühneprinzen in Deutschland, ein sehr dankbares Thema-
welches in den diesjährigen Fastnachtszügen der rheinischev
Städtc und Orte in allen möglichen Variationen behandel»
wird. Eine Chinesenkapelle eröffnete diese Gruppe, danv
kam ein Käseträger, der die Lieblingsspeise des Sühneprinzev-
einen mächtigen Schweizerkäse, trng. Chinesenvolk, jung und
alt, folgte, und dann kam der Sühneprinz in einem Gala"
wagen sitzcnd, eskortiert von Angehörigen der deutschen TruP^
pcn. Diese Grüppe zeichncte sich ebenso dnrch Jdeenreichtulv
tvie dnrch Farbenpracht aus. Hinter und neben dem Wagci'
liefcn Kellner und Hoteliers geschäftig hin und her, sodauU
fvlgtcn dem Galawagen der Hausdrachen, der Kotau uiu
Fricdensbringer, ein Esel mit Begleitnng, eine chinesisths
Dschunke. Die nächstc Grnppe ivar dem Burenkrieg geividmeti
ihr Mittepunkt bildete der „Friedenswagen", während sie voU
eincr Matrosenkapelle eröffnet wurde. Futzvolk aller Natio^
nen folgte. Die weitere Gruppe brachte die Göttin „Flora
in einem Blumenwagen, der durch seinen prächtigen Aufbait
enizückte. Hinter dem Wagen schritt eine schmucke Gärtiie^
gruppe. Sehr zeitgemätz war natnrlich auch die „ThräneW
trebertrocknungsgesellschaft". Der Wagen zeigte ein in alle"
Fugen krachendes Gebäude. vor dem wehklagend die de"
Knrszettel in der Hand haltenden Akticmäre standen. Stellei"
lose Bnchhalter, welche durch den Krach ihr Brot verlore"-
liefen wehmütig hinter dem Wagen drein, während in eirre>"
„grüncn August" dic Direktoren rmd die Äufsichtsräte del
Gesellschaft saßen. Ein Kindertambourkorps eroffnete dst
Gruppe „Wie Fürst Rentz als Volkserzieher germanisiert'-
Fürst Reutz war eben dabei, tvieder cinmal seine neuem
Volkserziehungsmethode praktisch auszuüben. Heulende Schu^
kinder umstaiiden ihn, im Hintergrimde der gestrenge HtZ
Dtagister. Sehr wirkungsvoll versinnbildlicht wurden in
fvlgenden Gruppe dic Kundgebungen gegen Chamberlain, d"
ir> den letzten Monaten ganz Deutschland durchbrairsten.
Festwagcn hatte eine reichhaltige nnd sinnreiche Ausschmückur«
erfahren, welche u. a. die grausame Kriegsführung der Eugj
länder sehr gut zum Ausdruck brachte. Grotze Heiterke"
ricf die Stempclimg vou englischen Gefangenen durch di»
Buren hervor. Zwei Störche, ein Tambourkvrps und ZigeUj
ner warcn die Einleitung der nächsten, recht humoristis^
durchgcführten Gruppe, in der auf einem Galawagen du"
serbische Königspaar vorübergeführt wurde. Eine grotze Wiegf'
in der ein Minister vergeblich nach dem Kinde suchte, sta""
vor dem Paar. Ein in „Jugcnd"-Kostüme gekleidete M",
truppe leitete die Gruppe „Befriedigungswagen am Parad^
platz" ein, eine gleichfalls sehr gelnngene Jdqe. Die folgem
Gruppe brachte cine Gegenüberstellnng der alkoholfreien Wstst
schaft „Blaues Kreuz", in der die Gäsie mit Kasfee, Mst?
nsw. bewirtet werden und des fenchtfröhlichen „Haberem'
in welchem die lustigen Zecher mächtige Bierkrüge schwangZ
und heitere Lieder sangen. Auf das hochherzige Gesche")
welches Herr Kommerzicnrat Reitz der Stadt mit der testa
mentarischen Ueberlassung der Fasaneninsel gcmacht hat, de"
tete der nächste, durch eine schmucke Jägergruppe eingeleit^
Festioagen hin. Jn Verbindung hierniit stand der mit großssi
Hnmor ausgestattete Festwagen, auf dcm sich die zukünftw,
Waldschenke im Neckarauer Walde in verkleinertem MatzstMi
befand. Aentzerst lustig char die Gruppe „Markthalle pst
der neuen Marktordnung" ausgedacht, die als Führer em
Bauernmusikkapelle hatte. Auf einem erhöhten Punkte dp,
Wagens saßen die „strcikenden Marktweiber" unter eiuch
mächtigen Schirm, der leider bald nach Beginn des Zuges z^
brach. Jm Vordergrunde des Wagens standen die leet>
Marktbänke, davor ein Marktmeister, der die streikcu^
Marktweiber vergeblich zum Platznehmen aufforderte.
Schlußabteilimg des Zugcs bildete die Prinzenmusik mit
Prinzengarde, der Wagen des Prinzen Karneval, die Prinz^',
artillerie, der Wagen des Iler-Rats, der Wagen des
komitees, die Harlequins-Tamboure, die Kleppergarde, x
Jungfcuerio-Wagen und die Schlutzreiter. Zirka 214 StundH
dauerte es, bis der Zug den vorgeschriebenen Weg zurückgel^
hatte und sich an der Neckarbrücke auflösen konnte.

M Baiersbronn (Murgthal), 10. Februar. lWindbru«:
Jm hiesigen Gemetndewald wurden durch starken NordoststE
am 1. und 2. d. M. nach bisheriger Berechmmg über 10000
meter Holz geworfen. , /

ö.6. Freiburg, 10. Febr. (Ein schweres Unalu"
ereignete sich Samstag Mittag. im Lichthof des chemiswst
Laboratoriums. Proftssor Dr. Kiliani zeigte dort d»,
Hofrat Profcssor Dr. Wiedersheim das Oeffnen eines KoE,
säure Ballons. Dabei vcrsagte ein Ventil, sodaß der Bet>ä>si
plötzlich explodierte und Dr. Kiliani infolge des Lnftdrucks
kleine Treppe, welche nach dem Erdgeschoß deS östlichen Flügtzj
des Laboratoriums fnhrt, hinabgeschleudert wurde. Ec stel
dem Hinterkopf auf den mit Asphalt belegten Boden und erw,
einen Schädelbruch. Kiliani, deffen Befinden Besorll'')
erregt, wurde vor mshreren Jihren als Nachfolger von PÄ
Dr. Baumann von der Münchener tcchnischen Hochschule hiei"!
berufen auf dea Lehrstull für Chemie. Nach späteren
richten soll das Bcfinden deS Verletzten verhältnismäßig
friedigend sein.
 
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