Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
Nr. 75-100 (1. April 1902 - 30. April 1902)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.23860#0727

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zu den Wnruhen in Mekgien

DlL A uffa s s u n g üer liberalen Wrrgerschaft über
die Ereignisse der vorigen Woche und die Lage überhaupt
ergiebt sich ans solgendem Beschluß, den der Gememderat
der Brüsseler Vorstadt Schaerbeek einstimmig ge-
faßt hat:

Itur der Widerstand, den ein salschen Eingebungen
folgendes Ministerium einer von allen Klassen der Na-
tion vcrlangten Reform entgegensetzt, rrift Vernnrrung
im öffentlichen Leben hervor und droht bei tängerer
Dauer das Land in das Unglück des Bürgerckrie-
ges zu stürzen. Dis gemäßigten und die sortschritt-
lichen Liberaten haben sich in ihrer gleichmäßigen A b-
neigung gegen das RegimentderBevor-
zugnng und der Fäls ch u n g en, welche das Mehr-
stimmensystem ergiebt, dahin verstündigt, datz dnrch ein
ehrliches und gerechtes Gesetz die Achtnng der Rechte
aller Bürger gewährleistet wird. Als überzeugte An-
hänger desglei ch e n St i m m recht s mit der V e r-
hä l t n i s v e r t r e t u n g beharren wir dabei, daß
dessen Einführung den Sieg der Gerechtigkeit bedeuten
und eine sichere Bürgschaft sür eine Aera des Friedens
und des Fortschritts bieten würde. Allein wenn wir
auch der Regierung lebhast vorwerfen, durch ihre
ungeschickteHaltnng und durch ih re Willfährig-
keit gegenüber Sektierern, die sie zu einem verbrecherischen
Widerstande d r ä n g e n, den Aufstand hervorzurufen,
so können und wollen wir uns doch nicht den Gewalt-
thateir anschließen, durch welche die sozialistische Beweg-
ung im Lande eingeleitet worden ist. Es ist anf schaer-
beeker Gebiet Blut geflossen, und dis daran schuld sind,
können sich nicht darauf berufen, daß sie im Verteidig-
nungszustande waren, denn es waren ihrer 2000 gegen
einen. DerartigeHandluntzen fordern die einstimuiigeVev-
urteilung aller Gutgesinnten heraus. Jm Namen der
liberalen und fortschrittlichen Linken brandmarken ivir
die Feiglinge, die dnrch einen Mord die edle Sache, die
wir vertreten, beschmutzt haben. Wir bleiben entschlossen,
die gesetzlichen und friedlichen Bahnen nicht zu verlassen,
um ein Recht zu erobern, dessen wir uns durch unsere
Haltnng stets würdig erweisen wollen.

Der Bürgermeister von Schaerbeek hat ferner den
einzig richtigen Schritt gethan und seine Polizeibefugnisse,
in die Hände des Gouverneurs abgegeben, worauf die be-
drohten Punkte, u. a. das kürzlich angegriffene Nonnen-
-ensionat, militärisch besetzt wurden. In den letzten
Tagen sind denn auch in der Gemeinde keine weiteren
Ruhestörungen versncht worden.

Aie russtsch-englischen Kandelsöeziehungen.

Die von gewisser r u s s i s ch e r S e i t e ansgehenden
B e st r e b u n g e n, mit England freundschaftlichere
Verhältnisse anzubahnen, und die k o m m e r z i e l l e n
Beziehungen zu heben, werden auf den britischen
Znseln ziemlich tühl aufgenommen. Die Höflichkeit, die
Len gut erzogenen Engländer auszeichnet und die er be-
sonders gegen Fremde nicht außer Acht lätzt, wird selbst-
verständlich auch den russischen Abgesandten zu teil, die
in letzter Zeit auffallend oft den Weg nach London
nehmen, um nach der Begrüßung, einigen Händedrücken
und dem Austaufch von Komplimenten ivieder nach dem
Reiche des Zaren zurückkehren. Rnssisches Fleisch, Ge-
slügel, Eier, Butter und sonstige landwirtschaftliche Pro-
dukte sowie Hölzer finden bereits in England guten Ab-
satz, aber seine Höhe scheint den russischen Großkanfleuten
nicht befriedigend genug. Solange als die Billigkeit in
Frage kommt, wird es den Herren nicht schwer fallen, in
England willige Käufer zu finden, aber an den langen
Weg und den Transportspesen scheint es noch vielfach
Zu hapern. Andererseits finden die britischen Geschäfts-
leute in Rußtand wenig Gelegenheit, gegen den dentschen
und belgischen Mitbewerber zu konkurriecen. Der russische
Bauer und Landmann ist ziemlich anspruchslos und seine
tvenigen Bedürfnisse werden zumeist von deutschen Fir-
men befriedigt. Er nimmt es mit dem Prinzip, biltig zu
kaufen und das zu kaufen, was ihm zusagt, ebenso ge-
nau, wie der Engländer sich bestrebt, ihni Waren und
Geräte anzubieten, die entweder zn teuer sind, oder aber
ihm nicht konvenieren, einmal Iveil er sie nicht braucht
und das anderemal, weil sie für ihn zu kompliziert sind.
Das letztere trifft besonders auf landwirtschaftliche Ge-
räte zu, die billig und einfach (zwei ausschlaggebende

überreden. War sie erst einmal seine Frau, darm fand sich
wohl irgend ein Vorwand, Deutschland nicht zu betreten, wo
er cine Erinnerung an seine Vergangenheit fürchten mutzte.
Aber die junge Dame bestand darauf, erst im Beisein ihrer
Tante Wildenau ihre Entscheidung zu treffen. Stzezanek
wutzte, wie wenig Gutes er bon dem Rate dieser Dame für
seine Absichten zu hoffen hatte. Ein wilder Zorn erfatzte
ihn, das^ halb schon gewonnene Spiel an dieser einen Frau,
um derenwillen er schon einmal den Boden unter den Fützen
verloren hatte, scheitern zu sehen. Wcnn Frau Wildenau nicht
lebte, dann war ihm die Hand Ediths so gut wie gewitz.
Wenn sie nicht mehr lebte, dann ward obendrein das Bermögen
seiner Frau um das Fünffache vermehrt. Er wutzte Bescheid
über diesen Besitz. So entstand der Plan in ihm, Frau
Wildenau aus der Welt zu schaffen, ehe die Nichte bei ihr
anlangte. Er reiste dem Mädchen voraus, er umlauerte das
Haus, er folgte den Dienstmädchen unbemerkt auf ihren Gän-
gen, denn noch war ihm das „wie?" seiner That vollständig
dunkel. Jn der Apotheke zum Schwan hörte er das Dienst-
mädchen „die gewohnten Pulver" für die gnädige Frau bestellen.
Er merkte sich die Schachtel, er hörte zufällig, datz die Pulver
in Rotwein aufgelöst eingenommen wurden. Er wutzte sich von
einem Photographen, dem er sich als Dilettant vorstellte, das
uötige Kaliumcyanid zu verschaffen, und nun galt es nur
noch, sich in die Wohnung einzuschleichen, um das Gift, das
er mit Zucker zerrieben hatte, damit es sich im Papier nicht
verflüchtige, in die Pulverschvchtel zu bringen.

Dieser fchwierigste Teil seines düsteren Unternehmens war
ihm wieder alles Erwarten geglückt. Die That war geschehen.
Frau Wildenaus Lippen waren versturnmt. Jhre Michte
trat ihr Erbe an. Jn ihrer Bestürzung, in ihrer Vereinsamung
im fremden Lande schloh sich die junge Amerikanerin nur
um so wärmer an den leidenschaftlichen Verehrer an, der sie auf
ihrer Reife nach ihren GLtern in Steiermark begleitete, der
alle Kunst, alle Leidenschaftlichkeit, die einem Manne zu
Gebote stehen, aufwendete, um das Mädchen zu einer sofortigen
Heirat zu bewegen. Aber Edith gefiel sich darin, seinen un-
geduldigen Bitten, die sie für einen Ausdruck von Liebe hielt,
die ihrer Eiielkeit schmeichelte, koketten Widerstand zu leisten.

Faktoren für den russischen Bauern) von deutschen Ma-
schinenfabriken geliefert werden. Das ioeiß und sühlt
man in England wohl, nnd daraus, sowie aus der Anti-
Pathie gegen den rnssischen Nachbarn an der Schwelle
Indiens, ist die kühle Haltung erklärlich, deren man sich
befleißigt, besonders da, wo russischerseits versucht wird,
den leeren Beutel dnrch die llnterbringung von Anleihen
nnd Konsols in London wisder auszuhelfen. Praktisch
wie der Engländer ist, durchschaut er die russischen Pländ,
oder besser diejenigen des Finanznünisters de Witte; es
bleibt wie gesagt, beim Austausche von Höflichkeiten nnd
die Delegierten kehren meist so klug und thatenlos nach
Rutzland zurück, wie sie ausgezogen waren. Man führt
in London gute Rechnungsbücher und sie zeigen, daß ein
Drittel der russischen Ausfuhr nach England geht, das
im Austausche der Güter nm die Hälfte des Wertes zn
knrz kommt.

Ausland.

Türkci.

K o n st a n t i n o P e I, 13. April. Der deutsche Bot-
schafter war am Samstag Abend in den Jildispalast
geladen. Der Sultan teilte dem Botschafter in der
Audienz mit, daß ein Jrade erlassen worden sei für die
strafrechtliche Werfolgung der orthodoxen Mönche, die
katholische Mönche deutscher Staatsangehörigkeit bei der
PrügeI ei in der Ierusalenier Grabe s-
kirche verletzt hatten. Der dortige deutsche Konsnl
nimmt die Jnteressen der Deutschen wahr und assistiert
bei der Vernehrnung und der Verhandlung.

Aus Stadt und Land.

Das Kaiser-Panorama bietet seinen Besuchern zum
Schlusse der Saison noch Gelegenheit, die Pyrenäen kennen
zu lernen. Jn 60 verschiedenen Nufnahmen, die sich sämtlich
durch Klarheit uud Schürfe auszeichnerr, werden uns die
grotzartigen Naturschönheiten dieser Gebirgswelt vorgeführt,
die mit Recht die Bezeichnung „Alpen Frankreichs" vcrdicnen.
Keiner, der sich Naturfreund nennt, sollte versüumeu, iu dieser
Woche das Panorama zu besuchen.

Starke Bcwerbung. Eine Dame, welche iu einem hiefi-
gen Hotel wohnte und durch Jnserate eine Gesellschafterin
suchte, erhielt durch die Vermittelung einer Armoncenexpedition
fage und schreibe vier Postpackete zu 5 Kilo, zusammen zwan-
zig Kilo Ofserten. Hier dürfte in der That dic Wahl eine
Qual sein. Man sieht aber aus diesem Vorkommuis, welchen
Wert und welche Wirkung Jnserate habenl

— Viehhandel betreffend. Das Grotzherzoglichc Ministe-
rium des Jnnern ermächtigt jetzt die Grotzherzoglichen Bezirks-
ümter, von dem durch die ministeriellen Erlasse vom 28. Juli
1896 und 11. November 1900 bezüglich der Verkaufsbereit-
stellung des Viehes vcm Viehhändlern eingeforderten Nachweis
der geschehenen fünftägigen polizeilichen Beobachtung Nachsicht
zu erteilen, wenn es sich um solche Tiere handelt, die bei
Landwirten gekauft sind, mindestens vier Wochen lang im Stalle
des Vorbesitzers gestanden haben, ohne datz während dieser Zeit
fremde Tiere in demselben eingestellt wurden und entweder dort
oder anf Märkten, wohin sie unmittelbar aus dem Stalle des
Vorbesitzers und ohne Einstellung in cmderen Stallungen zu
verbringen sind, feilgeboten werden. Jm letzteren Falle ist
eine befondere Bescheinigung des' Fleischbeschauers des Her-
kunftsortes eventuell auf dem zu erbringenden Gesundheits-
zeugnis des Jnhalts erforderlich, datz die Tiere mindestens
vier Wochen lang im Stallc des namentlich zu bezeichnenden
Vorbesitzers gestanden haben, und während dieser Zeit fremde
Tiere in dem Stalle nicht eingcstellt waren. Dieser Bescheini-
gung kommt nur eine zweitägige Giltigkeit zu. Ist die
Giltigkeit abgelaufen oder fehlt die Bescheinigung, so können
die Tiere vom Markte zurückgewiescn werden.

Das Aufstellcn von Stercofkop-Automatcn, sogenannten
Kalloskopen — das sind Bilderautomaten, in welchen der Be-
schauer nach Einwurf eines Geldftückes eine Serie von
Bildern beliebig lange vor seinem Auge passieren lassen kann
— in Wirtschaften ist eine öffentliche Schaustellung, von welcher
der Unternehmer bor der Beranstaltung gemäh Paragraph 63
des Polizeistrafgesetzbuchs Anzeige bei der zuständigen Polizei-
behörde zu erstatten hat. Ms Unternehmer gelten nicht nur
die Besitzer der Automaten, beziehungsweise die die Auf-
stellung besorgenden Agenten, sondern auch die Wirte, wenn
fie an der aus den in ihren Wirtschaften aufgestellten Auto-
maten erzielten Einnahme cinen bestimmten Gewinnanteil
haben. Abgesehen dabon, datz in den Fällen, wo es sich nm
anstötzige oder unzüchtige Bilder handelt, die Entziehung der
Wirtschaftskonzefsion in Crwägung gezogen werden kann, ist
auch durcb die der Polizeibehörde in Paragraph 63 des
Polizeistrafgesetzbuches eingeräumte Befugms, äffentliche Schau-
stellungen ganz zu verbieten oder an die Einhaltung bestimm-

und erst nach Wochen des Harrens kam der Tag, an dem
er endlich Besitzender werden, endlich seinen Durst stillen
sollte an dem Gelde, das er seit Jahren und Jahren begehrte.
Der Boden Deutschlcmds branntc ihm freilich unter den Fützen,
aber der Umstand, datz er manchem früheren Bekannten begegnet
wcrr, ohne -datz sich nur einer auf sein Gesicht besonnen hätte,
wiegte ihn in eine gewisse Sicherheit. Seine letzte, schlimmste
That aber schien in tiefes Dunkel gehüllt, kein Verdacht streifte
seine Person. Das Mitztrauen war ja mit voller Wucht auf
eine andere gefallen.

Fiebernd bor Aufregung harrte er auf den Wagen, der
ihn zum Standesamt führen sollte, nur eine Bicrtelstun.de
trennte ihn von jenem ersehnten „Ja" der Braut, die schon
im Myrthenkrcmze vor ihm stand — als seine Beute mit
ihren Millionen — da erreichte ihn das Schicksal.

Cr wurde zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt. Edith
war erst dem Wahnsinn nahe, als sie erfuhr, dah sie haarscharf
dem furchtbarsten Lose eutgcmgen war: der Ehe mit einem
Verbrecher.

Aber nach kurzer Frist ward das Hochzeitsgewand, das
sie mit einem solchen Entsetzen von sich geschleudert hatte, mit
neuen Myrthen geschmückt, und sie reichte mit neu auflebender
Daseinsfreude dem hübschen, jungen Ärzte, der sie während
ihrer nervösen Verstimmung behcmdelt hatte, ihre freigewor-
dene Hand.

Unbeklagt, unbeweint versank Jcm Stzezanek in dte tiefe
Vergessenheit der Verlorenen, der moralisch Toten hinter Ge-
fängnismauern.

Er hörte wohl noch das Lärmen der Grotzstadt, das Häm-
mern der Maschinen, das Rollen der Bahnzüge. Aber er
vernahm nicht den ernsten, heiligen Klang der Arbeit in diesen
nimmer rastenden Geräuschen. Jhm war das unermüdliche
Hasten der Maschinen, der Lokomotiven nur der Ausdruck der
groheu, heihen Mer nach Geld, nach Besitz, die durch die
moderne Menschheit fiebert — jener Gier, die ihn zum Ver-
brecher gemacht. Und in ohnmächtigem Hatz ballte er die
Fäuste.

Er selbst war zur Nummer geworden.

Cnde.

ter Bedingungen zu knüpfen, dem Bezirksamte eine wirk-
same Handhabe gegeben, die Aufstellung derartiger Vilder in
Automaten zu verhindern.

U. Strafkammersitznng vom 11. ds. (Schluh.) 6. Der 18^
jährige Bäckerbursche Jakob Kobold bon Eppingen, ein heim--
tückischer und schadenfroher Mensch, zündete im Oktobcr v. I-
seinem Dienstherrn in Eppingen ohne allen erkennbaren Grund
das Haus an, so dah der Dachstuhl abbrannte nnd beträcht--
liche Mehlvorräte zu Grunde gingen. Nachdem das Haus
wiederaufgebaut war, versuchte der Angek'lagte am 2. Mäcö
auf die gleiche Weise auf dcm Speicher nochmals einen Brand
zu legen: das Feuer wurde jedoch rechtzeitig bemerkt und gc^
löscht. Ueber den gefährlichen Brandstifter wird eine Gefäng^
nisstrafe bon drei Jahren verkängt. 6. Der 19 Jahre alte Kausi
mann Jakob Rudolph von Neuenheim nnterschlug seinew
Dienstherrn mehrere beträchtliche Geldbcträge, die er der Posi
cinzahlen sollre und fälschte, um scine That zu verdecken, das
Postquirtnngsbuch. Das Geld verpratzte er mit gleich leictM
fertigen Zcchknmpanen. Bei Ausmessung der Strafe, die avf
6 Monate Olefängnis abzüglich 1 Monat Untersuchungshast
lautete, mutzte berücksichtigt werden, datz er seine BeruntrcM
ungen beging im vorigen Herbst, kurz nachdem er erst eine Ge-
fängnisstrafe verbützt hatte. 7. Jakob Benzinge r, 80 Jahce
alter nnd bereits vorbestrafter Hausbursche von Neukirch, fcbä-
digte einen hiesigen Apotheter, dem er eine SchuhmachcM
rechnung bezahlen sollte', dadurch, dah er das Geld behielt
und die Quittung fälschte. Das Gerichr erkannte anf eine Ge^
fängnich'trafe von 1 Monat abzüglich 3 Wochen Untersuchungs^
hafr.

Mamcheim, 14. April. (S ch w u r g e r i ch r.) Herue
nahm die Schwurgerichtssession für das zweite Quartal ihreU
Anfang. Den Vorsitz führte Hcrr Landgerichtsdirektor Weng^
ler. Vertreter der Grohherzoglichen Staatsbehörde Ivar irä
ersten Fall Herr Staatsanwalt Sebold-Heidclbcrg.

Erfter Fall. Wegen Unterschlagung im Amtc hatte sich dcc
19 Jahre alte Postgehilfe Wilhem Kreutzer aus BadeN-
Baden zu veranrworten. Kreuzer war am 31. Dezeinbcc
vorigen Jahres dem Postvcrwalter Honold in Malsch als Ge^
hilfe zugewiesen worden. Er bczog den Gchalt von 30 Mar'l
monatlich und hatte von daheim einen Zuschuh von 20 Mark-
Rechnet man, dah er für Pension 40 Mark zu bezaylen hafte'
so ist ohne weiteres zuzugeben, datz er keine grohen Sprüngc
machen konme. Kreuzer hatte aber kein Talent fiir ein einge^
schrünktes Leben. Neben anderen unnötigen Dingen schassi^
er sich einen Phonographen und einen Hund an. Die Mittft
zu diesen Extravaganzen verschaffre sich^ der junge Mann duräl
unberechtigte Entnahme aus dcr Postkasse. Zunächst naM
er 50 Mark iveg, welche für eine Postcmweifung eingezahlt wor"
den waren. Das Geld schickte er einen Tag später weg, nachdciä
er es unter Aufreihung eines neuen LockM crsetzt hatte. Uud
so ging es weiter. Er ließ Postanweisungen emen oder zwe)
Tage später abgehen, als sic einbezahlt worden waren, ver"
wendete das Geld für sich und deckte das Defizit durch eineu
neuen Griff in die Kasse. Ende Februar wurdcn in Malsäi
160 Mark für eine Frau in Heidelberg aufgegeben, die dicseä
Geldes dringend bedurfte. Als die Summc nicht zu dem Zeit'
punkte, mit dem sie rechnen konnte, eintraf, bcgab sie sich naäl
Malsch, wo man in der Lage ivar, ihr nachzuweisen, daß da^
Geld bei der Post einbezahlt war, forschte weiter nach usid
die Sache blieb an dem Postgehilfcn Krentzcr hängen.
Familie des jungen Nlannes hatte vollen Crfatz geleistek-
Unter Zubilligung mildernder Umstände lvnrdc der Angeklagte
zu 6 Monaten Gefängnis vernteilt.

2. Ein Buüenstreich ä la Max und Morrtz führte dcn
Jahre alten Steinhauer Richard Eitel und den 36 Jahse
alten Bierbrauer Hugo Will aus Freudenberg vor die
Schranken des' Schwurgerichts. Noch erfüllt von dcr Freude aw
Knallm, der er sich am Neujahrstagc hingegeben, lud aw ä-
Januar dieses Jahres der Angeklagtc Eitel eine gutzeiscrue
Wagenüüchse mit Sprengpulver, das cr sich von Will hatte
geben lasicn, legte die oben mit Erde, unten mit Holz ver^
schloffene Büchse, einer Anregung Wills folgend, abends gegcN
halb 10 Uhr unter das Hofthor des Viehhändlers Jsaak Soist^
mer und brachte sie durch eine Zündschnur zur Explosion.
Wirkung war eine recht verheerende, Das Thor ging
Teil in Trümmer, verschiedene Fensterscheiben wurden einge^
drückt und der gerade vorübergehende Steinhauer Aloys KeeU
erlitt durcki sprengstücke berschiedene Verletzungen am rechte'
Futz, am rechten Unterschenkel und am rechten kleinen Fingei-'
Jndirekt wurde Kcrn weit schwerer in Mitleidenschaft gezoge'U
er bekam einen Rückfall von Gelenkrheumatismus, der ciuft'
schweren Herzdefekt verursachte. Man vermutete zunächst (U
antisemitisches Attentat, doch gehen die Aufklärungen, welwf
die heutige Beweisaufnahme brachte, nicht über die Verruw
tung hinaus, datz etwas Gehässigkeit gcgen die Juden mito/'i
stimmend war. Eitel wurde als ein ziemlich haririlvst^
Mensch geschildert, der nur durch rcichlichen Alkoholgenutz
er hatte an jenem Sonntag Nachmittag mit noch einem Audff
ein Fätzchen Bier von 12 Liter getrunken — auf die Mf,
geriet, zu „schietzen". Er wutzte, datz Will, bei dem er uf
bcitete, Sprengpulver besatz, da er gerade einen Felsenkcu^
sprengte. Will wies ihn cmfangs zurück, als Eitel ihn u>
Pulver anging: „Latz mir mei' Ruh', ich will nix von st.,
Sach' wiffe." Später gab er ihm doch das Pulver, oder vu' (
mehr, er hatte nichts dagegen, datz Eitel, der im Haus L
scheid wutzte, es sich holte. Sommcr, dem der Streich gw/
und der z. Zt. der That schon schlicf, hörte den Krach
allein er glaubte nicht, datz es an seinem Hause sei, legtc i ,
auf's andere Ohr und schli-ef weiter. Die in der Will'säsi^
Wirtschaft ausgesprochene Abficht, dcn „Juden zu erschrcckc>^,
war also nicht geglückt. Uebrigens haben Will nnd Eitcl ,
ihren Flegeljahren ebenfalls einen etwas nach AntiscmitisiU y
riechenden Streich begangen. Sie erbrachen die Shnagogc U
warfen einige Schulbänke ins Wasser. Damals wurden ^
wegen Sachbeschädigung bestraft. Eitel erklärte Heute, n>e ,
er nicht betrunken gewesen wäre, hättc er die Sache nichk V,
macht. Er habe nicht geglaubt, datz die Büchse plahen iner
da man in Freudenberg viel mit Sprengpulver schietzc
er mit der Büchse auch schon^geschossen habe. Will bel^.^s

seinen Mitangeklagten zu der That bestimmt zu haben.

Seite geschoffen-
dah in seincr Wirtschaft^

hätte auch ohne jedes Zuthun von seiner Seite geschoffen-
bezeichnete er es als unwahr, datz in seincr ^Wirtschaft ^c»

hässigkeit gegen die Juden kultiviert werde. Gegen Sou" §
habe er nicht das Allergeringste. Der als Zeuge vernorM ^
Sommer konnte anch nicht behaupten, dah Will rhm lePjqct
gesinnt sei. Eitel kennt er nur vom Sehen. Der Verte
des Angeklagten Eitel vermitzt den Vorsatz, das Sprengm
seinem Zwecke gemätz zu verwendcn. Eitel habe nicht Ipr s
sondern schietze'n wollen. Weiter vcrwies der Verteid'gef ^jt
die schweren Strafen, die das Gesetz über den Verkeyr z,
Sprengstoffen androhe, das Minimum sei ein Jahr Zncme^t.
und das sei doch für einen dummen Jungenstreich viel
Der Verteidiger Will's meinte, nachdem er ausgefuYN'Edc
von einer Anstiftung durch seinen Klienten gar nicht Vi- - ^
sein könne, der Streich entferne sich nicht weit von (>-
aorie gewisser Studentenftücke und brauche nicht ande^vc^z,-,
zu werden. Will habe schon genug ausgestanden. Er e^-,n
die Schuldfrage zu verneinen. Die Geschworenen v e r ' § l

ten die Schuldfrage, worauf beide Angeklagten i
gesprochen wurden.

f- Mannheim, 15. April. (Lungenheil st
Kreisumlaqe.) Von einem jsiimitee hiesiger ho 1^,1
fthener Herren mid Damen wird die Gründung em-r E
 
Annotationen