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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 75-100 (1. April 1902 - 30. April 1902)
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im Durchschnitt auf 1 Kilometer Betriebslüuge 15 910 Kilo-
meter, in Preutzcn Iti 622 Kilomerer zurückgelegr wurden,
stieg bei uns dic Zahl auf 19 76Ü. Die Zahl der Berriebs-
krlometer betrug im Durchschnitt 27,9, in Preutzen 28,L, bei
uns aber 35,9; die Zahl der Zugskilometer 42 661 bezw.
45 603 bezw. 49 744. Die Ausgaben für den Zugskilometer
sind bei uns mit 38 658 M. wesentlich höhcr, als in Preutzen
(26 911 M.) und im Durchschnitt (27 078). Neben dem
Mehraufwand für den Betrieb komme auch die reichere Aus-
statrung der Züge mit Abfertigungs- rmd Begleitpersonal
in Betracht, sowie der grötzere Aufwand für das Personal,
der sich pro Kopf im Durchschnitl auf annühernd 200 M.,
im Gesamten aber auf 4 Mill. Mark berechne.

Staatsminister von Brauer ersucht das Haus, dem
Antrag Frühauf u. Gen. nicht stattzugeben, weil dcrselbe die
Regierung in ihrer freien Bewcgung hindern würde. Mit
Recht würden uus dann die anderen Verwaltungen die Schuld
beimessen, wenn keine Verständigung mehr zustande kommt.
Würdeu wir den anderen Sraaten den 2 F-Tarif aufdrängen,
dann brauchten wir uns nicht zu wundern, wenn sie sagten:
Wir thun nicht mehr mitl Er sci indessen überzeugt, datz
die andern Slaatcn dcn 2 Z - Tarif zunächst gar nicht an-
nehmen würden. Jn der Stuttgarter Konferenz giug die all-
gemeine Ansicht dahin, datz man zuuächst auf den Satz der
Rückfahrkarten zurückgehen sollte oder auf den Satz der Kilo-
meterheftc. Das wäre ein bedeutender Fortschritt. Wenn
wir ernstlich bemüht sind, eine Verständigung zu erlangen,
so könncn wir unmöglich auf einem bestimmten Satz bestehen.
Es wäre schon viel erreicht, wen eine Vereinheitlichnng der
Tarife erzielt würde, weil dann spüter eine weitere Herab-
setzung der Tarife leichrer zu errcichen wäre.

Präsident Gönner teilt mit, datz cin Schluha n-
t r a g, unterzeichnet vou den Abg. Zehnter, Wilckens, Drees-
bach, eingelaufen ist. Es sind auf dcr Rednerliste noch vorgc-
merkt: Kirsner, Wittun, Hanser, Müller (natl.), Goldschmit,
Dreitner, Geppert, Wacker (Zentr.), Frühauf (freis.) Eder
(dem.), Eichhorn (Soz.).

Abg. Zehnter (Zentr.) bcgründet den Schluhantrag
damit, datz alle Fragen zur Genüge erörtert wurden.

Der Antrag ivird mit grotzer Mehrheir angenomme n.

Ein Antrag der Abg. Eichhorn u. Gen., die Regierung
möge einen Gesetzentwurf borlegen, durch welchen der Eisen-
bahnrat auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und der Kam-
mer eine von ihr zu wählende Vertretung zugesichert wird,
soll durch Druck vervielfültigt und später beraten werden.

Jn einem Schluhwort befürwortet sodann Frühauf
(freis.) nochmals den Antrag auf Einführung dcs 2 F-
Tarifs.

Berichterstattcr Wilckens (natl.) konrmt in seinem
Schlutzwort auf die verschiedenen Anregungen und Wünsche
Zurück, die im Laufe der Generaldebatte geäutzert wurden.
Den Fall Weipert sollte man endlich einmal ruhen lassenl
Die Versuche, diesen Beamten zum Märtyrer zu stempeln,
seien durchaus mihlungen. Mit Befriedigung habe er ver-
nommen, dah die Regiernng bestrebt sei, die Entschädigungs-
ansprüche in nobler und knlanter Wcise zn regulieren. Datz
die Ausgabcn für Erncncrung des Obcrbaus und für Er-
gänzung des rollenden Materials auf das Betriebskonto ge-
bucht werden, sei ein feststehender, ganz vernünftiger Verwal-
tungsgrundsatz. Redner anerkennt, dah Frühauf sachlich ge-
sprochen habe. Die Anregungsn des Abg. Geppert bezüglich
der Obstsendungen verdienen die gröhte Beachtung. Die Kon-
kurrenz der Pfalzbahnen scheine sehr wenig loyal zu sein und
die Volksvertretung habe alle Veranlassung, dagegen zu pro-
testieren. Für die Regierung empfehle es sich, den Prozetz-
weg einzuschlagen, wenn anders keine Hilfe möglich ist. Eine
Verstärknng des technischen Personals sei im Jnteresse der
Beschleunigung unserer Bahnbauten dringend zu wünschen.
Jn der Frage der prenhisch-hessischen Gemeinschaft stehe Gold-
schmit mit seiner Ansicht in der Fraktion allein da; was Ober-
bürgermeister Schnetzler und der Korrespondent des „Schw.
Merkur" darüber denke, sei der Fraktion völlig gleichgiltig.
Wir haüen keinen Anlah, uns mit der Goldschmit'schen An-
schauung zu befreunden. Der Antrag Frühauf decke sich keines-
wegs mit der im Kommissionsbericht niedergelegten Ansicht
der Budgetkommission. Eine Fühlung mit den benachbarten
Verwaltungen sollte stets beibehalten werden, es sei denn,
Lah diese jencn Gedanken an eine Tarifverbilligung ab-
lehnen. Die nationalliberale Fraktion stehe vollständig auf
Lem Boden des Kommissionsberichts und werde daher gegen
Len Antrag stimmen.

Der Antrag -Frühauf wird sodann mit allen gegen
11 Stimmen (der Sozialdemokraten und Demokraten) ab-
g e l e h n t.

Jn der S p e z i a l b e r a t u n g giebt Abg. D r e c s b ach
l(Soz.) der Befriedigung Ausdruck, dah seinen Wünschen bez.
der Mannheimer Betriebsdirektion entsprochen worden sei:
Die Amtsführung des jetzigen Betriebsdirektors finde allge-
meine Anerkennung.

Abg. Hug (Zentr.) bringt die Wünsche der Praktikanten
2. Klasse um Versetzung in die 1. Klasse zur Kenntnis der
Regierung.

Abg. Hergt (Zentr.) wünscht für die technischen Beam-
ten gleiches Aufrücken, wie für die Betriebsbeamten.

Abg. Eichhorn (Soz.) beklagt die Entlassung von

«iner Kassette in dem Sarge ihrer Mutter Beatrix ge-
borgen.

— Warum dic Lchrer in Bayern kcine Gehalts-
aufbcssernng branchcn! Die „M. N. N." stellen fol-
gende hübsche, aber schon bekannte Scherzrechnung zu-
sammen: Die Lehrer haben nichts zu thun, wie aus
Folgendem klar hervorgeht:

Das Jahr hat.

363 Tage

Davon sind die Hälfte Nacht ....

182




183


32 Tage sind Sonntage.

52



131


14 Tage sind Feiertage.

14


Jede Woche ist Mittwoch und Samstag

117

"

nachmittags frei, macht.

52




65

r

9 Wochen sind Ferien.

63


Bkelven also. 2 Tage

sür die Arbeit übrig, aber auf diese fallen der Geburts-
tag des Prinz-Regenten nnd der Mai-Spaziergang.

—- Studenten-Philosophic. „Jch möcht' doch wissen, welcher
Esel von Philosoph den Satz aufgestellt hat: Nichts ist be-
ständiger als der Wechsel! Mein Wechsel hat noch nie länger
als ein paar Tage gehaltenl"

Wie hoch eines Menschen Tugenden rageu,
Danach mutzt du seiue Clteru fragen;

Und, um zu erfahren seine Schwächen,

Muht du mit seinen Kindern sprechen.

A. Roderich.

Eisenbähuarbeitcrn in Mauüheim, die mit dem Versprechen des
Staatsministers bei der Norstandsdcbarre im Widerspruch stehe.

Generaldirekror Eisenloh r erklärt, datz die Entlassung
auf die Verminderung des Berkehrs zurückzuführen sei.
Früher brauchte man auf dem Mannheimer Gürerbaw.
täglich 14—1600, heute nur 7—800 Wageu.

Aüg. Greiff (natl.) bittet um eiue Fahrdicnstzulage
für die Stationskontrolleure, Abg. Frühauf (freis.) um
eine Äassenzulage für die Schaltergehilfinnen.

Abg. Eichhorn (Soz.) ersucht die Generaldirektiou,
das Krankengeld statt am Ende jeden Monars halbmonatig
auszuzahlen.

Abg. Hofmann (Dem.) wünfcht freie Aerztewahl für
die Mitglieder der Betriebskrankenkassen.

Abg. Wilckeus (natl.) unterstützt deu Wunsch Eich-
horüs, dessen Erfüllung Staatsminister von Brauer in Aus-
sicht stellt.

Es wurden noch einige Spezialwünsche vorgebracht.

Abg. Greiff (natl.) tritt für den Neubau eines Bahn-
hofs in Wiesloch nnd für die Errichtung einer Schirmhalle
in Kirchheim ein, Abg. Mamp e l für Schirnrhallen iu Kirchl-
heim uud Wieblingeu.

Vizepräfident Lauck hatte anscheineud die Absicht, die
Spezialberatung zu Eude zu führeu, wurde aber gegeu 2 Nhr
durch stürmische Schlutzrufe gezwungen, die Sitzuug
a b z u b r e ch e u. Forifetzung: morgen 9 Uhr.

L. X. Karlsruhe, 17. April. Der Bericht der
Sonderkommisslon für den Gesetzentwurf über die Land-
wirtschaftskammer, erstattet vom Abg. Zehnter, ist erschie-
nen. Der Antrag geht auf Genehmigung des Entwurfs
mit unwesentlichen Abänderungen.

Prentze».

— Jm preuß. Abgeordnetenhaus ist eine Fordcrung
von 5 Millionen zum Umbau des Bahnhofs Homburg
von der aus Konservativen und Klerikalen bestehenden Mehr-
heit abgelehnt worden, nachdem Graf Limburg-Stirum,
der Führer der Konservativen, kurz bemerkt hatte, der Um»
bau sel nicht dringend. Den letzteren hatte, wie bckannt
war, der Kaiser, der ja häufig nach Homburg kommt,
dringend gewünscht. Man könnte als Grund der Demon-
stration vielleicht Mißstimmung über handelspolitische An-
schauungen annehmen._

Aus der Karlsruher Zeitung.

Karlsruhe, 17. April.

— Der Großherzog hörte heute Vormittag den
Vortrag des Generalleutnants und Generaladjutanten von
Müller und empfing dann den Präsidenten des Mini-
steriums des Junern, Geheimrat Dr. Schenkel, zur Vor-
tragserstattung, sowie den Vice - Oberceremonienmeister
Grafen von Berckheim. An der Frühstückstafel nahmen
die Prinzessin Wilhelm und die Erbprinzesstn von Anhalt
teil. Nachmittags empfing der Großherzog den Prälaten
Dr. Helbing und hörte später die Vorträge des Geheimen
Legationsrats Dr. Freiherrn von Babo und des Legations-
rats Dr. Seyb. — Die Kronprinzesstn von Schweden
und Norwegen wird vorausfichtlich morgen, Freitag, den
18., abends, aus Venedig hier eintrcffen.

— Betriebsassistent Gustav Li ed e. in Weingarten wnrde zum
StationSverwalter ernannt.

— Juristische Staatsprüf ung. Auf GrunL dcr
im Frühjahr 1902 abgchaltenen ersten juriftischen Staats-
prüfnng wurden folgende Rechtskändidaten zu Rechtsprakti-
kanten ernannt: Bachert, Gustav, ans Mannheim, Barck,
Lothar, aus Danzig, Bauer, Rudolf, aus Karlsruhe, Bittler,
Eduard, aus Kreuzlmgen, Bräuninger, Friedrich, aus Drcris,
Deyhle, Emil, aus Gmünd, Eberle, Karl, aus 'Neustadt,
Ertz, Kärl, aus Maunheim, Esau, Otto, aus Heidelberg,
Fecht, Hermann aus Bretteu, Fleuchhaus, giichard, aus Adels-
heim, Gönner, Richard, aus Tauberbischofsheim, lGuggen-
bühler, Franz, aus Freiburg, Güudert, Erwm, aus Dürr-
heim, Herbstrith, Otto, aus Pforzheim, Hollerbach, Josef, aus
Offeriburg, Jacobi, Friedrich, aus Mannheim, Jordan, Karl,
aus Mannheim, Kirchenbauer, 5iärl, aus Söllingen, Klingel,
Adolf, aus Heidelberg, Kohler, Alfred, aus Breisach, Krall,
Wilhelm, aus Heidelberg, Kraus, Emil, aus Neckarbischofs-
heim, Ltremp, Alfred, aus Rastatt, Kriechle, Max, aus Bonn-
dorf, Kunkel, Hermann, aus Rastatt, Küustle, Franz, aus
Schutierwald, Marx, Jakob, aus Heidelsheim, Mayer, Karl,
aus Pfullendorf, Meier, Wilhelm, aus Karlsruhe, Mock, Fritz,
aus Rheinfelden, Motz, Franz, aus Schönau i. W., Müller,
Edwin, aus Batierbach, Münzer, Karl, aus Rastatt, Pfister,
Manfred, aus Ueberlmgen, Pudel, Fritz, aus Mannheim,
Rödlingshöfcr, Heinrich, aus Heidelberg, Rosenfeld, Fritz cms
Mcmnheim, Ruoff, Robert, aus Karlsruhe, Schindele, Wil-
helm, aus Mannheim, Schlesinger, Robert, aus Mannheim,
Schweiher, Hcrmann, aus Freiburg, Spitz, Friedrich, aus
Heidelberg, Stehberger, Karl, cms Mannhcim, Stötzer, Wil-
helm, aus Eutingen, Weis Otto, aus Wolfach, Weis, Wil-
helm, aus Neuenbürg, Welte, Hermann, aus Mundelfingen,
Wipfler, Ludwig, aus Heidelberg, Ziegler, Bruno, aus Karls-
ruhe, J-ucker, Samuel, aus Külsheim.

Ausland.

Frankreich.

Paris, 17. April. König Franz von Assisi,
Gemahl der Königin Jsabelle von Spanien, ist in der ver-
gangenen Nacht in Epinay gestorben. Der Verstorbene
hat ein Alter von nahezn 80 Jahren erreicht. Seine
Rolle in diesem Leben war eine recht klägliche. Er war
der Mann seiner Frau und auch das gilt nur mit Ein-
schränkungen. Aeltere Zeitungsleser werden sich noch der
Marfori-Affäre und anderer erinnern, die sein eheliches
Glück als sehr zweifelhaft erscheinen ließen.

Engkand.

— Die englischen Blätter, welche als Vertreter des
Jmperialismus anzusehen sind, haben schon seit Mo-
naten zur Unterdrückung der Vereinigten Jrischen Liga
in Irland aufgefordert, weil diese in vielen Gebieten
ein förmliches Schreckensregiment ausübe. Das Mni-
sterium Sa-lisbury sträubte sich bisher dagegen, die
alten Zwangsmatzregeln wieder cmzuwendeu, allein
nun haben auch in Bezug auf Jrland die Gewaltpolitiker
im Kabinet die Oberhand erhalten und gestern hat der
Lordleutnant von Jrland eine P r o kla ma-tio n er-
lassen, welche die bekannten Bestimmungen des klei-
nen B e I a g e r u n g s z ust a n d e s für einen gro-
ßen Teil von Jrlcmd wieder in Kraft setzt.

— „Daily Expreß" in Dubliu schreibt bezüglich
der Proklamatiou des Lord-Leutnants: Die

Landliga wäre schon früher lahmgelegt worden, wemr
sich die Regierung nicht immer noch in der Illusion ge-
wiegt hätte, datz eiu Verrat durch Güte geheilt werdeu
könne. Tas Dubliner „Freemans Iournal" schreibt:
Die englische Regierung geht in Irlaud deu alteu Weg-
König Edwards Kröuung wird in Irland gerade so ge-
feiert werdeu, wie das Iubiläum der Königin Viktoria.
Richard Pigott ist zu ueuem Leben erweckt auf Besehl
von Pigotts Zahlnieisteru. Tie Bcinister des Köuigs
stempeln die Krönung, indem sie die gesetzestreuen Bür-
ger iu Verbrecher verwaudeln zum Nutzen der Blut-
sauger und der voruehmen Gesellschaft. „Irish Daily
Jndependeut" schreibt: Die Regierung hat eineu schweren
Fehlgriff gethan. Wir zweifelu, ob der König Ieuen
daukbar sein wird, die versucheu, den Icläudern als
Krönuugsgeschenk Ketten zu geben. „Irish People"
fchreibt: Wir sind zufrieden, datz die Leute vom vize-
köuiglicheu Schlotz uusereu Kämpferu deu Krieg crklürt
haben. Latzt uns Krieg habeu.

Rußland.

P e ter s b u r g, 10. April. Ter Mörder des Mi-
nisters des Jnuern ist bekanntlich eiu Student der Uui-
versität in Kiew, welcher bei deu letzteu Nnruheu rele-
giert wordeu war, uud sodanu strafweise iu das Heec
eingestellt, bald darauf aber vom Kaiser beguadigt
worden war. Der dritte der von dem Mörder abge-
gebeueu Schüsse verwundete den Drener des Bcüüsters,
welcher auf den Augreifer zusprang und ihm die Waffe
eutwinden wollte. Der vierte Schutz ging in die Waud.
Die letzten Worte des Miuisters wareu: „W a r u m
e r m ordet ni a u mi ch?" Ich biu mir nicht bewutzt,
Jemaudemr Böses zugefügt zu haben." Eiu Schutz
hatte deu Minister iu den Uuterleib getroffen, eiu an-
derer die Leber durchbohrl.

Jtalicu.

R o m, 16. April. Wie die „Capitale" meldet, ist'
der König gesteru auf der Iagd a u s g e g l i t t e u
und hat sich eine leichte Verletzung am Fuße zugezogeu.
Der König hat heute scine Gemächer nicht verlassen.

Aus Stadt und Land.

Hcivelberg, 18. Ävril.

8 Ortskrankenkasse. Zu erner Vorbesprechung über die
Iceuwahl von 14 Delegierien aus dem Kreise der Verficherren
zur Generalvcrsammlung der hiesigen Orlskraukenkafse hatte
sich gestern Abend im Restaurant „Prinz Max" eine kleine
Anzahl von Mitgliedern dieser Äasse eingefunden. Der der-
zeirige stellverrretende Vorsitzcnde begrüßre die Erschieiienen
und gab seinem Bedauern darüber Ausdrnck, dah sich die
Mitglieder so wenig um die Angelegenheiten dcr Kassc küm-
mern. Anstatt dasz fie sich rege an der Mitarbcit beteiligen,
schlagen sie deu weit leichteren Weg ein, sich lieber an den
Biertisch zu setzen und über dic Kasse zu räsonnicren. Nach-
dem ein Vorsitzender dcr Vcrsammlung gewählt war, wurde
in Punkt 1 der Tagesordnung: „Bericht übcr den Stand der
Kasse" eingetrcten. Anschlietzeiid hicran wurde mitgetcilt,
datz jetzt die Wasserheilanstalr eine rege Frequenz aufzuweifen
habe. Es sei wohl als feststehend anzunehmen, daß durch die
Abgabe von Büdern manche Krankheit berhindert worden sei
imd datz die Ilnstalt auch wesentlich zur Verminderung der
Arzneikosten beigetragen habe. Fcrner wnrdc vom Referentcn
noch mitgeteilt, datz die Kasse wohl in allernächster Zeit daran
denken müsse, ein eigenes Verwaltungsgebäude zu erwerben,
oder doch wenigsteris andere Räume für die Unterbringung
des Kassenlokals zu mieten. Jn diesem Betreffe hätten auch
schon verschiedene Projekte geschwebt. Der VorstanL habe
jedoch wegen der Unannehmbarkeit derselben wieder davon
abkommen müssen. Hierauf fand noch eine kurze Diskussion
über die ärztliche Behandlung der Versicherten statt. Sodann
wurde in Punkt 2 der Tägesordnurrg: „Aufstellung von 11
Delegierten" eingetreten. Da gegen die vom hiesigen Ge-
werkschaftskartell eingereichte Liste keine Vorfchläge gemacht
wurden, konnte ohne weitere Debatte auf den Punkt 3 dec
Tagesordnung: „Verschiedenes" übergegangen werden. Hicc
ivurde die Frage an den Vorstand gerichiet, wie sich die Kasse
zu dem Naturheilverfahren, bezw. Behandlung durch nicht
approbierte Ncrturheilknndige stelle. Der Vorsitzende wies da-
rauf hin, dah ja das Natnrheilverfahren bei der hiesigcn
Kasse schon längst zur Anwendung gclange. Man könne nicht
gut Alles über einen Leisten spannen, und aus diesem Grunde
kämen eben beide Methoden je nach Lagc des Falles zur An-
wendung. Auch über die Krcmkenkontrolle entspann sich eine
längere Debattc. Jm letzten Jahre mntzte die Kasseiwerwal-
tung vielfach Ordnungsstrafen wegen Uebertretung der Kran-
kenvorschriften aussprechen. Zwei Versicherte mußten sogcir
wegen Betrugs zur Anzeige gebracht wcrden, weil sie Kran-
kengeld erhoben hatten, und nebenbci ihrcm Verdicnste nackl-
gegangen waren. Die Versainmelten empfanden es als ei»
dringendes Bedürfnis, datz für dic Kasse ein Berufskontrollcur
angestellt werde. Bci dem jctzigen Kontrollshstem könnc deu
Kassenausbeutern nicht scharf genug entgegengetreten werdcu-
Zum Schlusse wurde noch darauf hingewiesen, datz in Heidest
berg bei Unglücksfällen die Einrichtnngen zur Fürsorge fiü'
Verunglücktc nicht rasch und prompt gcnug funktionicrcu-
Für diese Behauptung wurden auch Fälle, namcntlich solche
von der lehten Zeit, angcführt. Nll diescn Winken nud Wüu-
schen wurde seitens der anwesendcn Vorftandsmitgliedcr Prü-
fung und woinoglich auch Abhilfc zugesagt.

i. Oeffentlicher Vortrag im Vcrein dcutschcr Kauflcutc-
Wer als Unbeteiligter den gestern Abend in der „Harmonief
hier vom Verein Dentscher Kaufleute, Ortsverein Hef^
delberg, veranstalteten Vortrag anhörtc, wird geüüv
von dcm Verlauf des Mends, gelinde gesagt, nicht cr-
baut worden sein. Der Redner, Redakteur Paul Tröger «11^
Berlin, sprach über das Thema „Die H-andlungsgehilfen u>id
die Gewerbegerichte". Er behandclte die Materie der Gc-
werbegerichte in ihrer Bedeutung für den Käufmann von dcN
verschiedensten Gefichtspunkten. Die Vorteile, die diese Gerickstc
mit sich bringen sschnellere Rechffprechung, geringere Kosten als
bei den Amtsgerichten) fallcn sofort ins Auge. Die Haupt"
sache, schnelle Rechffprechung, findct hier die denkbar bestc
Lösung, Nachteile, wie sie sich infolge der langwierigen Pea^
zesse vor den Amtsgerichten herausstellen, üble Nachrede,
hässigkeiten usw. kommen gänzlich in Fortfall und die Ver-
zichtleistung der Gehilfcn auf Forderungen im Hinblick aUl
jene Umstände braucht nicht mehr einzutreten. Bei den
werbegerichten kommt dann noch als nicht zu unterschätzendec
Punkt in Betracht, datz hier nicht wie vor den Amtsgerichtcä
lediglich eine Rechtsentscheidung, als viclmehr gar oft eu
Vergleich herbeigeführt wird. Redncr verbreitete sich über ayr
diese Punkte in eingehender Weisc, sührt manch' krasse BK-
spiele in betreff der alten Rechtsprechung an und befürworte)
wiederholt die Einrichtnng kaufmännischer Schiedsgerichte ^
Angliederung an die Gewerbegerichte. Wie Redner in dst
später eröffneten Diskussion mehrfach betonte, handle es sta'
darum, zunächst diese Einrichtung im Prinzip zu erftrebew
später erst möge man auf die Ausgestaltung dieser Gerick»
bebacht sein. Gegen diese Auslassimg ricküete sich in lebhaste
 
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