Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
Nr. 101-124 (1. Mai 1902 - 31. Mai 1902)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.23860#0918

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
mittag crplodierte im Saale zum Schwedenstein ein Gas-
motor, dcr mechanische Figuren: Ucbergcmg Napoleons dcs
Erstcn iiber dcn St. Bcrnhard, treibt. Der Saal lvar glück-
lichcrweise lccr, da kurz vorher eine Schülerborstellung beendcr
lvorden war. Dic Fenfter wurdcn gesprengt und dic Um-
fassungsmaucrn stark beschädigt. Ein Mann wurde berwundct.

Ans Badcii. Jm Wege der Zwangsversteigcrung wurde
das Badhotcl Rothenfcls, wclchcs ohne Jnbcntar zu
90 000 Mark gcschätzt ivar, samt Jnbentar um den Preis bon
06 000 Mark dcr Brauerci Aug. Hatz Söhne in Rastatt zuge-
schlagcn. — Der Bürgerausschutz in Oehningcn gcneh-
migte zum Ban dcr Elektrischen Automobil-Bähn Radolfzell-
Ochningen einstimmig 12 000 Mark.

Aie Affäre des Krafen Salviac.

Tie -Afsäre tzeS jungen Grafen Salviac, der cine
alle, reiche Witwc gchciratet hat, von Veren Söhnen erster
Eho aoer übel begrüßt wurde, scheint sich zu einem
gescüfchaftlicheu Skandal auswachsen zu wollen. Zu dcr
Angetegenheit licgt eine Darsteltung vor, die, von einer
Berliner Lokaltorrespondenz verbreitet, osfenbar von
dem Grafen auSgcht; serncr eiue Erklärung, die von
eiucm der iLöhue der J-rau Rentiere ttanter abgegeben
wurde.

Der Darstellung der dlorrespondenz cntnehmen wir
das Zolgende:

„Durch Papiere, dercn Znhalt der Kriminalpolizei
aus telegraphische Anfrage bestätigt wurde, hat der Graf
nachgcwiesen, daß er seinen Namen Eonte de Salviac
de Biüe-Costel, PNarqui^ de Boisse zu Recht führt. Er
wurde von einem Grasen dieseS Namens adoptiert. Ur-
sprünglich hcißt cr Georg Steffen und ist der Sohn eineS
Ncühlenbesitzers, dcr srüher in Berlin wohnte und vor
süns bis sechS Jahrcn iu die Proviuz zog. Seine Mutter
licß sich von ihrem Manue scheiden und heiratete nach
dem Tode ihres zweitcn Mannes, Dr. V„ zum drittcn-
male. So wurdc der Sohn des tNühlenbesitzers der
Stiessohn deS PolizeidirektorS von Pleerscheidt-Hüllessem
dcr sich mehrfach sür ihn verwendete. Die Witwe Rosa
Kanter Icrnte Graf Salviac vor drei Iahren in Berlin
kenuen. Von ihrem Vermögen, daS aus vier Millionen
gcschätzt wird, hatte der Graf keine Kenntnis (?). Der
Graf und die Witwe trafen sich wiederholt aus Rcisen,
zulctzt in Paris, wo der Graf Wagcn uud Pferde und
Dienerschaft hielt. Schließlich drang die Witwe auf
Heirat, die dann auch am 26. April in Dover stattfand.

. Ueberraschcnd kam dem Grafen nach der Hochzeitsreise
am 3. dieses Monats dcr Empfang in der Wohnuug
seiner Frau in der Potsdamerstraßc. Nach den Straf-
auzeigen, die der Graf erstattet hat, ging eS dabei mehr
als lebhaft zu. Ein junger Bkann, dcr sich gar nicht erst
vorstellrc, den er aber später als Dr. Haus Kanter ken-
nen lernte, trat ihm in Begleitung cineS uniformiertcu
SchutzmanneS mil dem Revolver in der Hand cntgegen
uud nanute ihn einen Schuft und Betrüger und fordcrte
ihn auf, sich sofort auf dic nächste Polizeiwache zu bcgeben.
Auf dem Wegc zur Wache stieß der Gras noch auf dem
Hofe des GrundstückeS auf eineu zweiten Blann, dem
sich Dr. Hans Kanter bald zugeselltc. Danu kamen noch
zwei Biänner dazu, die den Grafen thätlich angriffen.
Als er nun die Rechte seiner Frau wahrnehmen und
den Hof durch einen Schutzmann räumcn lasseu wollte,
erklärtcn Tr. Hans Kanter und sein Bruder, daß sie seit
dem 2. ös. Eigentümer deS Grundstückes seien. Auf der
Wache erfuhr der Graf, daß von dort Polizeiliche Hilfe
nicht verlangt worden sei. Auf Grund dieser Vorgänge
zeigte er nun Herrn Dr. HanS Kantcr wegen Bedrohung
mit einem Verbrechcn und betrügeritchen Vorgehens beim
Erwerb deS Gruudstückcs an. Dic Gegenpartei aber
erstattete gegen ihn Anzeige wegen Betrugs und unbc-
fugter Führung des Namens und TitelS des Grafen
de Salviac. Der Graf konnte indesscn die Grundlosig-
keit der Anzeige in beiden Punktcn binnen kurzer Zeit
nachweisen. Vom Polasthotel aus, in dem er wohnte,
bat er nun seine Frau durch dcn Fcrnsprecher um ihren
Besuch. Sie antwortete ihm jedoch, daß sie nicht kommen
konne, denn sic sei von ihrcn Söbnen eingeschlossen und
werde von ihncn uußhandelt. Auf Grund dieser Mit-
teilung zeigte Graf Salviac die Söhne wegcn Freiheits-
bcraubung und körperlicher SNißhandlung sciner Frau
an. Nun kanien die beiden Söhne nach dem Palast-
hotel, uni den Grafen S. in seinem eigenen Zimmer mit
vereinten Kräften dnrchzuprügeln. Der Uebermacht
gcgenüber sah sich der Graf gezwungcn, die Hilfe der
Hausdiener in Anspruch zu nehmen und dann folgte
ein Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs. Die Gegner
des Grafen ihrerseits zeigten ihn noch wegen angeblicher
Bigamie au. Durch einen Juslizrat, einen Schwager der

Gräfin, ist jetzt, wie der Graf bchauptet, ein Vergleich
angebotcn worden. Der junge Ehemann soll 600 000 M.
erhalten und dafür auf seine Frau verzichten. Graf Sal-
viac lehnt jeden Vergleich rundweg ab und verlangt
nur ftine ihm rechtmäßig augetraute Frau."

Soweit die Mitteilungen der Korrespondenz, die,
wie schon erwähnt, zweifellos vom Grafeu S. Leeinflußt
sirid. Ihnen stcht folgende Erklärung entgegen, die von
einem Sohne der Frau.Kanter abgegeben wurde:

Am 6. April dieses JahreS lernte Fran K. in Berlin
einen Herrn kennen, der sich ihr alS Graf Salviac,
Marguis de Boisse, ältester und einziger Solm des Her-
zogS Salviac aus Paris, vorstellte. Frau K„ die eine
Neigung zu dem Grascn L>. faßte, lcistete seiuer Auffor-
derung, mit ihm nach Paris zu reisen, um sich dort seine
Besitzungen anzusehen, am 17. dieseS Monats Folge.
Dort wurdeu ihr von dem Grafcn S. mehrere Herren
mit angcblich sehr vornehmen Namen vorgcstellt, so daß
Frau Ki den Glaubcn gewanu, es mit einem echten Gra
feu Salviac zu thun zu haben. Er sordcrte dann Frau
K. auf, mit ihm nach Dover zu fahreu, um sich dort mit
ihm zu verheiraten. Jn Dover machte Graf S. vor dem
Beamten des Standesamtes unrichtige Angaben, iiidem
er Frau K. als ledig und kinderlos erklärte und versich-
erte, sich bereits vierzehn Tage^ lang in Dover — die
für die Eheschließung daselüst ersorderliche Frist — auf-
gehalten zu haben. Nur auf Grund dieser unrichtigen
Angaben wurde die Trauung deS Paares ermöglicht.
Dann ging die Reise über Paris nach Berlin, wo Graf
Salviac einen iL>chmuck seiner nuninehrigen Frau für
12 000 Franken bei Wittmer versetzte. Die Frau ließ
er von nun an keine Stunde mehr ohne Aufsicht und trug
stets einen geladenen Revolver bei sich, weshalb die Frau
in stäudiger Angst vor ihm lebte. Jn dem Pariser
„Gil BlaS" hatte der Graf seine Vermählung augezeigt
und diesc durch Uebersendung der betreffenden Nümmer
des Blattetz auch den Söhnen der Frau K. in London,
Erlangen und Zürich zur Kenntnis gebracht. Beim Ein-
treffen des Paares in Berlin wurde der Graf aus der
Wohnung der Frau K. durch dereri inzwischeii hier an-
gekommene Söhne hinausgewiesen. Die Annullierung
der Ehe ist durch Frau K. bereits beantragt. Vergleichs-
vorschlägc siud von seiten der Familie K. nicht gemacht
worden.

Sodann ist noch mitzuteilen, daß dic Direktion des
Palasthotels mittcilt, im Hotel habe eine Prügelei zwi-
schen den beteiligten Parteien nicht stattgefunden. Die
Herren Kanter waren allerdings im Hotel, um von Herrn
Steffen die Herausgabe der ihrer Mutter gehörigen
Effckten zu verlangen, was sich indes in aller Ruhe und
Gelasscnheit vollzog."

Berlin, 13. Mai. Heute Vormittag versuchte Graf
Salviac mit zehn von ihm zu diesem Zwcck angeworbenen,
mit Knnppeln bewaffneten Männern gewaltsam in die
Wohnung der Frau K., Potsdamer Straße 123, einzu-
dringen. Um sich Zutritt zu verschaffsn, schickte er einen
seiner Leute vor, der sich an der Entraethür einem der
Söhne der Frau K. ols „Reporter" vorstellte und ihn mit
Redensarten hinhielt, damit die Gesellschaft dcS Grafen S.
im gnnstigen Moment herbeispringen und durch die Thür
in die Wohnung eindringen konnte. Während Herr Dr. K.
noch im Gespräch mit dem angeblichen Reporter vor der
Thür stand, wurde er plötzlich von mehreren Männern
umringt, und Graf Salviac drang mit seinen Helfers-
belfern in die gcöffnete Wohnung. Er beabsichtigte, die
ihm angetroute Frau K. gewaltsam zu entführen. Die
aufs höchste erschrockene Dame gab thm aber unzweideutig
zu verstehen, daß sie von dem Grafen nichts wissen wolle,
sich von ihm für betrogen halte und seine schleunige Ent-
fernung aus dem Hause wünsche, dessen Eigentümer ihre
Söhne sind. Jnzwischen waren mehrere Polizeibeamte
herbeigerufen worden, die sich ins Miitel legten und drei
Begleiter des Grafen sistierten, während dieser unverrich-
teter Sache von dannen ziehen mußte. Der Vorgang wird
cin gerichtliches Nachspiel finden.

Kleine Zeitung.

— Aus Westsalen, 12. Mai. Dem Ausschuß
Errichtung eines Kaiser Wilhelm-Denkmals avl
Hohensyburg war vor kurzem vom Oberhofmarschaw
amt mitgeteilt worden, es sei dem Kaiser nicht möglich'
an der Einweihungsfeier des Hohensyburg-Denkmals teW^
nehmen, vielmehr sei der Kronprinz mit der StellvertretuNS
beauftragt; an diesen habe stch der Ausschuß wegen der
Festsetzung des Tages der Weihe zu wenden. Der Aus'
schuß bot dann alles auf, um zu erreichen, daß diese M
ordnung rückgängig gemacht werde und der Kaiser an dec
Etnweihungsfeier teilnehme, aber alle Bemühungen ware»
vergeblich. Der Ansschuß hat sich auch entschlossen, ad
Stelle des Standbildes des Fürstcn Bismarck, das nichc
besonders gut ausgefallen war, ein anderes zu beschaffeN'
Das neue Standbild wurde cbenfalls von Prof. Donndoll
entworfen und verließ in diesen Tagen die Gladenbecksch^
Gießerei. Wie Ausschußmitglieder mitteilen, ist „diestc
Bismarck" durchaus gelungen. Die Aufstellung des neued
Bismarck wird bis zum 22. Juni beendet sein. Der
schuß wird dann dem Kronprinzen die Bitte vortrageU,
den Tag für die Feier anzuberaumen.

— Eine Million sür Kunstzwccke. Die Baronin OppeN^
heimer, die Tochter des früheren Hofbankiers, die schoN
dem Wiesbavener Hoftheater bedeutende ZuwendungeN
machte, hat dem Kaiser cine Million für Kunstzwecke
überwiesen.

— Die Durchlaucht. Auf dem Hallenscr Bahnhof faßteN
dieser Tage fünf Studenten im tadellosen Frack, weiße»
Handschuhen und Zylinder, geschniegelt und gebügelt, E^
wartung in den Mienen, einige Minuten vor EintrcffeN
eines ZugeS auf dem Bahnsteig Posto. Dem PublikulN
und auch den Bahnbeamten fiel die Gruppe auf; maN
stellte Betrachtungen an, welche hochgestellte Persönlichkest
jene so feierlich herausgeputzten Herren wohl erwarteteni
ein Fürst, eine Durchiaucht, mußte es mindestens sein-
Endlich naht der entscheideude Moment. Der Zug läust
ein, die Coupsethüren öffnen sich; eilig laufen die Fünl
auf einen jungen Herrn im Reiseanzug zu und der De-
votionsakt mit seinen Huldigungen und Verbeugungen be«
gann. Der Wortführer der Gruppe begrüßte Durchlaucht
mit einer in ergebungsvollem Tone gehaltenen Ansprach^
und überreichte zum Schluß auf einem blauseidenen Kisse»
eine rote Nelke, die Durchlaucht — das Publikum durch^
rieselte gleichfalls ehrfurchtsvoller Schauer — anzunehmeü
geruhte. Darnach schritt der also Gefeterte in Bcgleitung
der Fünf, die, den blanken Zylinder in der weißbeharid-
schuhten Hand, respektvoll folgten, hocherhobenen Hauptes
durch das Vestibul, an deffen Portal inzwischen ein Dienst^
mann, damit Durchlaucht hochgeborener Fuß nicht profane
Erde becührte, einen Teppich — richtiger Bsttvorleger
ausgebreitet hatte. Durchlaucht warfen sich in eine Droschke,
ein Begleiter durfte zu ihm steigen, die anderen okkupierteN
gleichfalls ein Vehikel, und fort ging es. Jetzt erst e>?
wachte das zahlreiche Publikum, das dem Schauspiel M>t
Spannung und Neugier gefolgt war, aus seinem StauneN
und erkannte, datz es sich bei der Zeremonie um einen
Studentenulk gehandelt hatte, um die Begrüßung eincs
aus der Ferne zugereisten Kommilitonen, der Geistes^
gegenwart gcnug hatte, sich sofort in die Situation
finden und „Durchlaucht" ä ia Alt-Heidelberg mit M
stand und Grazie zu spielen.

— Aus der Schweiz. 12. Mai. Jn Vouvry (Wallis)
sind von einer Geselljchast Anlagen für NutzbarmachuNö
der Wasserkräfte des Tanaysees fertiggestellt
worden, die deshalb von besonderem Jnteresse sein solleN,
weil dabei ein so bedeutendes Gesälle ausgenutzt werde,
wie es bisher noch nirgends versucht worden sei. D^
Druckieitung hat eine Länge von 2200 Meter und eid
Gefälle und daher auch einen Druck von 950 Meter; d)^
Geschwindigkeit in den Turbinen beträgt 135 Meter id
der Sekunde oder 189 Kilometer in der Stunde.

Wo die eigene Kraft dich verläßt und zur Neige ist, wo dd
nicht sassen, wtrken und schaffen kannst, da fügen sich die Hände
sttll inetnander, und dieses Smnbild spricht: Jch kann nicht mehk,
waltet ihr, ihr ewigen MLchte!

* » *

Bei Manchem ist Hopfen und Malz verloren, und zwar deshalb-
weil er beides zu viel liebt.

,Ia so — freilich — ich bin keincr mehr. Da hast du
ja rechr. Die Gläser sind leer."

„Na, da sollcn frische kommcn. He dal"

Der Kellnerjunge kam eilcnds herbei.

„Noch ein paar Gläser, aber schnelll"

Der Veit brachte schleunigst das Verlangte und nahm das
Geld dafür in Empfang. „Wenn die Herren sonst noch was
wünschen?"

„Ja, späterl Also aufgepatzt, sobald ich rufel"

„Meweile, Herr Reiner!"

Peier ergriff das Glas.

Plötzlich packte Jnst seinen Arm. „Sieh nurl"

„Was henn? Herr Gott, deine Fingcr drücken einem ja
blaue Fleckc. Was ist denn los?"

„Da tanzt sie an der Tribüne vorbeil"

„Deine Frau? Na, ja, das geht doch gar nicht anders."

„Aber wie sie ihn anblicktl"

„Wen?"

„Den jungen Baronl Das Feuer sprüht ihr ja förmlich aus
dcn Augen."

„Warum nicht garl Davon habc ich nichts bemcrkt.
Jrgcndwo mntz der Mensch doch hinschauen. Der Baron
Herbert spricht ja eifrig mit dcm blondcn Fräulein!"

„Ja, abcr sie — sie — ich sag' dir — der geht was im
Kopf herum."

„Unsinn. Jn deincm eigenen scheint's zu spulen. Kannst
vielleicht nicht so'n paar Gläser Bier mehr vertragen?"

„Wer sagt, datz ich nichts vertragen kann?"

Reiner schlug zornig auf den Tisch.

„Na, wenn du Streit anfangen willst, geh' ich lieber meiner
Wege. Deswegen bin ich nicht hergekommen, sondern um mir
einmal nach der Last und Arbeit ein rechtes Vergnügen zu
machen. Adieul! Morgen rcchnen wir ab, heute hab' ich
zu wenig Geld bei mirl"

„Blcib' da, bleib sitzenl" rief Rciner. „Es war nicht
bös gemeint. Aber ist's dir dcnn nicht selber schon einmal

so gegangen, dah du alles hättest nioderschlagen und nieder-
treten und zerreißen nwgen? Da kommt — man weitz nicht
wie unü da kann sich einer nicht helfen. Herr des Himmels,
am liebsten möcht' ich mir gleich den eigenen Kopf am näch-
sten Felsen einrennenl Was ich für einc Wut in mir habe,
das —"

„Na, na, so arg ivird's ja bei dir daheim noch nicht aus-
schauen. Und was dcincn harten Schädel anbelangt, mit
dcm hast du immer durch die Wand rennen wollen und dir viel-
leicht —- ich meine damals, wie du von der Oberförsterei
weg bist — eine tüchtige Beule geschlagen. Da dran läßt
sich jetzt nichts mehr ündern. Wäs du da faselst von der
Gertrud und von dem jungen Herrn, das ist eitel Einbildung.
Jch bin anch nicht blind, hab' aber nichts beobachtet. Sic hat
ihn angesehcn, wie jedcn anderen auch, und was das Tanzen
anbetrifft, so treibt's doch jede andere hier ebenso. Die
Hübschen natürlich. Die Hätzlichen bleiben sitzen!"

Reiner nahm den Hut ab, trocknete sich die feuchte Stirn
und sagte kurz: „Komm mit, ich will nach der Scheibe
schießen!"

Er that cs und traf dreimal nacheinander ins Zentrum.
Jetzt war's aber, als könne er die Flinte gar nicht mehr aus
den Händcn lassen. Alles, selbst Gertrud, schien vergessen.
Seine Finger tasteten beständig an der Waffe herum und
liebkosten sie heimlich, wie ein lebendes Wesen.

Verschiedene zielten nach dem hölzernen Vogel, verfehlten
ihn jedoch.

„Jch schietze ihn runterl" schrie Just, bor dem jetzt eine
Flasche Wein stand.

„Das ist auch kein Kunststück für dich!" rief der Förster
Reinhold vom nächsten Tisch herüber. „Das bunte Ding
trifft jeder genbte Jägerl"

„Ja, wenn er sich gleich hier unten hinstellt, aber nicht.
wenn er bis an den Rand der Wiese zurückgehtl"

„Das wär' schon etwas sehr weit."

„Jch will's aber versuchen."

„Da fehlst du auchl"

„Wetten wir, datz ich den Bogel runter hole?"

Thun wir's lieber nicht. Dazu gehört eine sichere Hav"
und du bist angesäuselt, mein Lieberl"

„Gerade jetzt will ich wettenl"

„Und ich Ivill nicht l"

„Weil du Angst hast, zu verlieren."

„Nein, wcil es dir das Geld aus der Tasche stehlel>
hieße."

„Was geht denn dich das an? Für mein Geld bist ov
nicht berantwortlich, getraust dich aber wohl nicht, dein eigen^
zu riskicren."

„Ja, weim du mich derartig packst — dcmn immerzu!"

„Was soll's gelten?"

„Sagen wir — sechs Flaschen Riersteiner."

„Gut, wer vcrliert, kezahltl"

Das Gespräch war in crregtem, überlautem Ton gefüh^
worden. Verschiedene Personen hatten sich um die beidev
Tische gruppiert und lauschten mit offenem Munde und durnv'
lächelnden Gesichtern.

„Jetzt fängt es an, da unten lebhast zu werdenl" sagt^
Oberst von Brachwitz.

„Ja," erwiderte der Obcrförster, „ich habe es dir l^
voraus gesagt."

„Scheint ein Bursche zu sein, der sich was zutraut, dieff^
—- wie nanntest du ihn?"

„Just Reiner. Einer der tüchtigsten Schützen."

„VieUeicht gew-innt er die Wette."

„Jch würde es ihm zutrauen, wenn er nüchtern wäre>
aber so — als Trinker habe ich ihn früher nicht gekanw-
Schade um den Menschen! Es geht bergab mit ihm. Da-
erwartete ich ja auch nicht anders. Nun, ich habe es für meiv^
gethan; was weiter geschieht, kümmert mich nicht."

„Es zieht hier. Möchtest du mir mein Tuch herüberg^
ben, Herbert?" sagte Fräulein bon Felsing.

(Fortsetzung folgt.)
 
Annotationen