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Karo, Georg
Die Schachtgräber von Mykenai (Band 1): Text — München, 1930/​1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14445#0304

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296

III. Ergebnisse

XCIII f.), zum eben besprochenen Knauf den elfenbeinernen mit den vier Löwen
(295 b, LXXVIf.). Bei beiden sind nur dekorative Gesichtspunkte maßgebend.
Das Einpassen der drei Löwen in die Schmuckplatten der Klinge bot keine Schwie-
rigkeiten; sie werden nach der Spitze zu kleiner, behalten aber im übrigen alle
sechs die hier besonders konventionell wirkende, steif gestreckte Haltung mit steil
erhobenem Haupt und schräg in schönem, leichtem Schwung gehaltenem Schweif.
Die wolkenähnlichen, bunt eingelegten Muster des Grundes, Gelände oder Staub-
wolken (oben S. 97 mit Abb. 28 f.) bilden mit ihren unregelmäßigen Umrissen
einen überaus glücklichen Hintergrund für die straffe, sich dreimal wiederholende
Linienführung der vorüberrasenden Bestien. Diese betonen durch ihre Bewegung
nach der Spitze zu eindringlich den Zweck der Stoßwaffe, den Drang gegen den
Feind.

Beim Elfenbeinknauf 295 b war die Aufgabe eine entgegengesetzte: statt Be-
wegung sollte Ruhe, statt Streben zum Angriff geschlossene Festigkeit zum Aus-
druck kommen, zugleich die Kuppelwölbung des Knaufes, der alle anderen erhal-
tenen an Größe weit überragt, mit Ornament ganz gefüllt werden. Auch hier bringt
erst ein Drehen und Wenden von Gillierons Nachbildung (Geislinger Katalog 19,
21) den vollen künstlerischen Genuß. Meisterhaft kommt die Bewegung der vier
um den unteren Teil des Knaufes kreisenden Leiber zum Stillstand, indem die
gewaltigen, von oben gesehenen Köpfe im Scheitel der Wölbung zusammenstoßen
wie die Teile eines Musters. Es gibt nicht viele Werke auf der Welt, die diesem
ebenbürtig sind in der Verbindung lebensvoller Bewegtheit des einzelnen Tieres
mit seiner völligen Unterordnung unter den beherrschenden Zwang des Ornaments.

Auch hier ist ganz folgerichtig die scharfe, kantige Stilisierung des Löwen-
kopfes betont, und zwar noch stärker als in den vorhin besprochenen Fällen. Nicht
stärker freilich als an dem goldenen Rhyton 273, CXVII f., der großartig-
sten Schöpfung dieser Kunst. Die Beschreibung oben S. 78 und unsere Abbil-
dungen entheben mich eines näheren Eingehens auf Einzelheiten. Die Vorder-
ansicht wirkt jetzt etwas abgeschwächt, da das Blech zusammengedrückt ist, in
den Profilen kommt die Wucht und Kraft des herrlichen Kopfes ungeschmälert
zum Ausdruck, vor allem auch der Gegensatz zwischen den heraldisch strengen,
z. T. ganz ornamental umstilisierten Einzelformen des Gesichts (ösenspirale an
den Nüstern!), das den besten Schöpfungen mittelalterlicher Wappentiere nicht
nachsteht, und den naturgetreu wiedergegebenen Zotteln der Mähne und des
Kinnbartes. Letzterer erscheint auch auf einem Siegelabdruck, den Evans II 420
Abb. 242 b mit unserem Rhyton zusammengestellt hat. Er gehört wohl noch ins
MM., während die längst bekannte marmorne Löwin von Knossos und der erst
jetzt von Evans veröffentlichte Löwenkopf gleichen Fundorts aus Alabaster (II
827 ff. Abb. 542 ff. Taf. XXXI; Bossert Abb. 126) beide ein wenig jünger sein
mögen als unser Exemplar. Auch sie hängen offenbar von Vorbildern aus Edel-
metall ab, besonders die Löwin zeigt dieselbe rein dekorative Ausgestaltung des
 
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