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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 23.1907-1908

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Corinth, Lovis: Erinnerungen an den Münchener Allotria-Kreis, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12504#0085

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ERINNERUNGEN AN DEN MÜNCHENER ALLOTRIA-KREIS -<

Dann hielt er über „seinen väterlichen Freund Kaum daß er die Gesellschaft verlassen
und Erzieher", so nannte er nämlich seinen hatte, drängte sich alles wie ein Mann zu
Vater, eine Rede, die von Lenbach erwidert seinem Bierglas, um die Lippen an die Stelle
wurde, der blaß, mit tränenerstickter Stimme legen zu können, wo er getrunken hatte, wo-
das Lob des Alten sang. Ein schlechtes Subjekt möglich noch ein Tröpfchen zu erhaschen,
verglich diese Tränen mit Danziger Gold- Darin waren die Frauen die Rasendsten,
wasser. Hatte sie vorher der Respekt vor der Sitte

Und nun der Ehrentag der Allotria. Als des Hauses in ihrer haremsartigen Abge-
der große Bismarck selbst — den alten Säbel- schlossenheit ruhig zu verharren gezwungen,
Schleifer nannte ihn das „Bayerische Vater- so stürzten sie sich jetzt wie Furien herunter,
land" — in ihren Räumen geweilt hatte. drängten alles beiseite und nur dieses einzige

„Der Zug bewegt sich nach dem Palais Bierglas war das Ziel der Wünsche von un-
des Kunstmalers von Lenbach, wo Seine zähligen Armen und Händen.
Durchlaucht auch wohnen wird." So stand Gustav Schwabenmaier aber griff in die
es an den Anschlagsäulen. Es war dieses Saiten und sang:
seine Reise über München nach Wien zur

Hochzeitsfeier seines Sohnes Herbert, nach- »Ein Jubehuf durchbraust das Reich

dem er schon seine Abdankung erhalten hatte. g£ IÄSIscI^eÄ

Lenbach und Schwabenmaier erwarteten ihn Dem Rächer deutscher Ehre,

an der schmiedeeisernen
Pforte, die zu dem Pallazzo
führte. Schwabenmaierhatte
das eiserne Kreuz an die
Brust geheftet und rühmte
noch viele Jahre später, daß
der alte Titan sich beim Ver-
lassen des Wagens auf seine
Hand gestützt hätte.

Dann ging es abends zur
Allotria. Das Lokal war na-
türlich überfüllt und an die-
sem Abend ist es das ein-
zige Mal gewesen, daß auch
Damen, meistensden Frauen
und Verwandten der Mit-
glieder, der Eintritt erlaubt
wurde. Sie wurden auf der
Galerie gewissermaßen in-
terniert.

Unter brausendem Hoch
wurde Er empfangen. Alle
Augen hingen an seiner Rie-
sengestalt, an seinem ver-
hältnismäßig kleinen Kopf
und dem hellrosigen Teint
seines Gesichtes.

Die „Tante" schleppte
einen Humpen heran, der
wohl ein ganzes Faß Flüssig-
keit enthielt und Bismarck
hob ihn federleicht mit ei-
nem Arm empor, führte ihn
zum Munde und trank auf
das Wohl und Gedeihen der
berühmten Allotria.

Vom Erhabenen zum
Lächerlichen ist nur ein

Schritt. W. VON DIEZ GUTE BEUTE

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