-^^> AUS DER WERKSTATT EINES KÜNSTLERS <^^~
griff, ohne vorher wenigstens die Hauptver-
hältnisse der Anordnung ins reine gebracht
zu haben. Was den stofflichen Vorwurf an-
langt, so befindet sich unter den Arbeiten
aus der späteren Schaffenszeit Marees' weder
ein Landschafts- noch ein Genrebild. „Wo
er biblische oder historische Stoffe zum Gegen-
stand seiner Darstellung machte, waren ihm
diese, wie bei vielen Künstlern guter Zeiten,
ein bloßer Vorwand für bildnerische Gestal-
tungsvorgänge. In der letzten Zeit hat er auch
seinen Stoff so frei entwickelt, daß jede Le-
gende überflüssig wurde."
Das Verhältnis Marees' zur Natur beruhte
im wesentlichen auf freier Beobachtung. „Das
beobachtende Schauen war bei ihm nicht eine
besondere, auf gewisse Stunden des Tages be-
schränkte, auf gewisse Reize reagierende Tätig-
keit, sondern einfach alles, sein Leben. —
„Sehen lernen ist alles, pflegte er zu sagen."
Doch betonte er stets, daß das beobachtende
Verhalten des Künstlers einer gewissen Dis-
ziplin nicht entbehren könne. Selbst in der
liebevollsten Hingabe an die Natur, meinte
er, dürfe niemals die Herrschaft der Vernunft
über die Empfindung verloren gehen.
Durch das Zeichnen nach der Natur suchte
Marees ausschließlich das Studium der Form
zu fördern, daher wählte er zu solchen Studien
niemals die Hilfsmittel der Malerei, sondern
stets Papier und Stift. Leider sind die meisten
dieser Studienblätier nicht mehr vorhanden.
Marees verbrannte sie von Zeit zu Zeit ohne
weiteres. Dabei pflegte er zu sagen, Zeich-
nungen seien nur für den Künstler selbst da
und allenfalls für diejenigen, die er an seinem
inneren Prozeß Anteil nehmen lassen wolle,
sonst aber für niemanden. Was Marees zeich-
nete, das war „empfunden", d. h. mit Gefühl
gezeichnet, es war aber auch eminent „ver-
standen" und „groß gesehen". — Als Lehrer
verlangte Marees auch von seinen Schülern
das „große Sehen". „So eine Figur ist außer-
ordentlich einfach," sagte er öfters, „man
braucht nur nichts Ueberflüssiges oder Un-
verstandenes zu machen." Auf gewisse aka-
demische Regeln von Proportion und Statik
hielt er wenig, das Schwergewicht legte er —
sowohl bei eigenen als bei Schülerarbeiten —
auf die präzise Darstellung der Massenverhält-
nisse und der Hauptgliederung des Körpers.
Nächst den Zeichnungen nach der Natur hat
Marees eine große Zahl von Skizzen zu Bildern
angefertigt. Dabei war die Figur der Ausgangs-
punkt aller seiner Entwürfe. In allen Fällen
ist er mit der Erfindung von einer Figur aus-
gegangen, und dieser Umstand weist darauf hin,
daß ihn ausschließlich das plastische Bildungs-
prinzip leitete. Für ihn bestand auch der Unter-
schied zwischen Skulptur und Malerei lediglich
in den Mitteln, Endzweck beider war ihm form-
vollendete Darstellung.
^War die Figurenanordnung erledigt, so schritt
Marees zur Gestaltung des Raumes, welcher
die Figuren in der Darstellung umgibt, und
den er schlechtweg Hintergrund hieß. Dieser
Hintergrund besteht bei Marees fast nur aus
freier Landschaft in ihren einfachsten Ele-
menten.
Das Aeußerliche dieses Schaffens, das immer
noch ein vorbereitendes war, schildert Pidoll
folgendermaßen: „Geschah es, daß er sich in
der Werkstatt schweigend ans Entwerfen gab,
so war es wohl eine Lust, zu sehen, wie sein
Geist den Stift regierte. Seine zu seltener
Klarheit gesteigerte, umfassende Kenntnis der
menschlichen Figur gab ihm eine ausgebrei-
tete Herrschaft im Reiche der Vorstellung und
es war ihm ein leichtes, Figuren aller Art in
jeder denkbaren Bewegung oder Stellung auf
dem Zeichenblatte zu fixieren. Er warf in der
kürzesten Frist Umrisse auf das Papier, in
welchen von der ersten Entstehung an die
sprechendsten und ausschlaggebenden Massen-
und Volumenverhältnisse sichtbar wurden und
welche die bildnerische Vorstellung spielend
dem Ausbau der Gestaltung zuleiteten . . ."
Die Arbeit an der Bildtafel selbst sah Marees
nur als Surrogat für die Wandmalerei an, zu
der ihm selbst nur einmal Gelegenheit ge-
boten wurde: im Jahre 1873, als er die Biblio-
thek des Aquariums in Neapel mit Fresken
zu schmücken hatte. Das Hauptgebrechen der
Tafelmalerei fand Marees darin, daß man die
transportablen Bilder in Umgebungen ver-
setzen kann, für die der Künstler sie nicht
erdachte. Die grundfeste Mauer erschien ihm
überdies als die „einzige, der Würde des Gegen-
stands angemessene Malertafel". Nur in
ihrer Ermanglung malte er auf Holztafeln.
„Die Arbeit an der Tafel begann damit," sagt
Pidoll, „daß man die Aufzeichnung von dem
Blatte, welches als Grundlage diente, mittels
proportionierter Netze von Quadraten oder
Rechtecken auf die Tafel übertrug." Das ge-
schah mit Kohle und wurde zumeist von den
Schülern besorgt. Hierauf machte sich Marees
selbst ans Werk, er tuschte die Bilder auf.
Da der Grund der Tafel zumeist aus Gips
bestand, also die Tusche leicht aufgesaugt
wurde, mußte die Arbeit mit großer Geistes-
gegenwart geschehen. Marees wählte sich dazu
stets einen guten Tag. Aber war die Arbeit
gelungen, so war das Beste am Bild getan. Es
begann nun das Kolorit. Darüber spricht
Pidoll sehr ausführlich, namentlich über Zu-
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griff, ohne vorher wenigstens die Hauptver-
hältnisse der Anordnung ins reine gebracht
zu haben. Was den stofflichen Vorwurf an-
langt, so befindet sich unter den Arbeiten
aus der späteren Schaffenszeit Marees' weder
ein Landschafts- noch ein Genrebild. „Wo
er biblische oder historische Stoffe zum Gegen-
stand seiner Darstellung machte, waren ihm
diese, wie bei vielen Künstlern guter Zeiten,
ein bloßer Vorwand für bildnerische Gestal-
tungsvorgänge. In der letzten Zeit hat er auch
seinen Stoff so frei entwickelt, daß jede Le-
gende überflüssig wurde."
Das Verhältnis Marees' zur Natur beruhte
im wesentlichen auf freier Beobachtung. „Das
beobachtende Schauen war bei ihm nicht eine
besondere, auf gewisse Stunden des Tages be-
schränkte, auf gewisse Reize reagierende Tätig-
keit, sondern einfach alles, sein Leben. —
„Sehen lernen ist alles, pflegte er zu sagen."
Doch betonte er stets, daß das beobachtende
Verhalten des Künstlers einer gewissen Dis-
ziplin nicht entbehren könne. Selbst in der
liebevollsten Hingabe an die Natur, meinte
er, dürfe niemals die Herrschaft der Vernunft
über die Empfindung verloren gehen.
Durch das Zeichnen nach der Natur suchte
Marees ausschließlich das Studium der Form
zu fördern, daher wählte er zu solchen Studien
niemals die Hilfsmittel der Malerei, sondern
stets Papier und Stift. Leider sind die meisten
dieser Studienblätier nicht mehr vorhanden.
Marees verbrannte sie von Zeit zu Zeit ohne
weiteres. Dabei pflegte er zu sagen, Zeich-
nungen seien nur für den Künstler selbst da
und allenfalls für diejenigen, die er an seinem
inneren Prozeß Anteil nehmen lassen wolle,
sonst aber für niemanden. Was Marees zeich-
nete, das war „empfunden", d. h. mit Gefühl
gezeichnet, es war aber auch eminent „ver-
standen" und „groß gesehen". — Als Lehrer
verlangte Marees auch von seinen Schülern
das „große Sehen". „So eine Figur ist außer-
ordentlich einfach," sagte er öfters, „man
braucht nur nichts Ueberflüssiges oder Un-
verstandenes zu machen." Auf gewisse aka-
demische Regeln von Proportion und Statik
hielt er wenig, das Schwergewicht legte er —
sowohl bei eigenen als bei Schülerarbeiten —
auf die präzise Darstellung der Massenverhält-
nisse und der Hauptgliederung des Körpers.
Nächst den Zeichnungen nach der Natur hat
Marees eine große Zahl von Skizzen zu Bildern
angefertigt. Dabei war die Figur der Ausgangs-
punkt aller seiner Entwürfe. In allen Fällen
ist er mit der Erfindung von einer Figur aus-
gegangen, und dieser Umstand weist darauf hin,
daß ihn ausschließlich das plastische Bildungs-
prinzip leitete. Für ihn bestand auch der Unter-
schied zwischen Skulptur und Malerei lediglich
in den Mitteln, Endzweck beider war ihm form-
vollendete Darstellung.
^War die Figurenanordnung erledigt, so schritt
Marees zur Gestaltung des Raumes, welcher
die Figuren in der Darstellung umgibt, und
den er schlechtweg Hintergrund hieß. Dieser
Hintergrund besteht bei Marees fast nur aus
freier Landschaft in ihren einfachsten Ele-
menten.
Das Aeußerliche dieses Schaffens, das immer
noch ein vorbereitendes war, schildert Pidoll
folgendermaßen: „Geschah es, daß er sich in
der Werkstatt schweigend ans Entwerfen gab,
so war es wohl eine Lust, zu sehen, wie sein
Geist den Stift regierte. Seine zu seltener
Klarheit gesteigerte, umfassende Kenntnis der
menschlichen Figur gab ihm eine ausgebrei-
tete Herrschaft im Reiche der Vorstellung und
es war ihm ein leichtes, Figuren aller Art in
jeder denkbaren Bewegung oder Stellung auf
dem Zeichenblatte zu fixieren. Er warf in der
kürzesten Frist Umrisse auf das Papier, in
welchen von der ersten Entstehung an die
sprechendsten und ausschlaggebenden Massen-
und Volumenverhältnisse sichtbar wurden und
welche die bildnerische Vorstellung spielend
dem Ausbau der Gestaltung zuleiteten . . ."
Die Arbeit an der Bildtafel selbst sah Marees
nur als Surrogat für die Wandmalerei an, zu
der ihm selbst nur einmal Gelegenheit ge-
boten wurde: im Jahre 1873, als er die Biblio-
thek des Aquariums in Neapel mit Fresken
zu schmücken hatte. Das Hauptgebrechen der
Tafelmalerei fand Marees darin, daß man die
transportablen Bilder in Umgebungen ver-
setzen kann, für die der Künstler sie nicht
erdachte. Die grundfeste Mauer erschien ihm
überdies als die „einzige, der Würde des Gegen-
stands angemessene Malertafel". Nur in
ihrer Ermanglung malte er auf Holztafeln.
„Die Arbeit an der Tafel begann damit," sagt
Pidoll, „daß man die Aufzeichnung von dem
Blatte, welches als Grundlage diente, mittels
proportionierter Netze von Quadraten oder
Rechtecken auf die Tafel übertrug." Das ge-
schah mit Kohle und wurde zumeist von den
Schülern besorgt. Hierauf machte sich Marees
selbst ans Werk, er tuschte die Bilder auf.
Da der Grund der Tafel zumeist aus Gips
bestand, also die Tusche leicht aufgesaugt
wurde, mußte die Arbeit mit großer Geistes-
gegenwart geschehen. Marees wählte sich dazu
stets einen guten Tag. Aber war die Arbeit
gelungen, so war das Beste am Bild getan. Es
begann nun das Kolorit. Darüber spricht
Pidoll sehr ausführlich, namentlich über Zu-
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