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Dengler, Georg [Hrsg.]
Kirchenschmuck: Sammlung von Vorlagen für kirchliche Stickereien, Holz- & Metallarbeiten & Glasmalereien — 8.1860

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12. Heft
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Kreuser, ...: Briefe an eine edle Frau,[9]
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https://doi.org/10.11588/diglit.18472#0095

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12. M.

1860. H i r rli e n sc!i m u c!i.

Driese an eine edle Frau.

IL.

Verehrteste! Sie werden nür erlauben,
wenn ich heute ein strenges Schreiben sende,
denn es gilt einen Grundsatz, und es ist eben
das Unglück unserer Zeit, daß ste keine Grnnd-
sätze hat noch ehrt, also auch nicht aus Grund-
sätzen handelt. Da haben Sie denSchlüssel
zur Ueberlegenheit gewisser Menschen, die,
iiber Gut und Schlecht mag ich nicht entschei-
den, eben darum gewaltig stnd, weil sie nicht
dem Rohr gleichen, das von jedem Windzuge
bewegt wird, sondern auf fester Grundlage
stehen, sei ste auch eine satanische. Jn dieser
Welt (Männerwelt schäme ich mich zu sa-
gen) scheinen mir die Frauen vorzüglich be-
rufen, an den ewigen Grundsätzen der Sitt-
lichkeit festzuhalten. Wo ste es nicht thun, stnd
sie verloren und mit ihnen die Zukunft, die
von den Frauen geboren und erzogen wird,
ehe unser Geschlecht einen Einflust beanspruchen
und gewinnen kann. Jhre Herrschaft können
aber die Edeln Jhres Geschlechtes, namentlich
Jhrer Stellung, am leichtesten gegen jetzige
Künstler behaupten, die gleich den jetzigen Ge-
lehrten und Wissenschaftlichen am Ende doch
nur gewöhnliche Brodlente sind. Nur befoh-
len: so, nicht anders oder Sie stnd entlassen,
und Sie werden sehen, wie fügsam Akademie
und Akademiker werden können. Dast das
Befehlen eine große Kunst ist, lehrt die jetzige
europäische Geschichte. Befiehlt ein Charak-
ter, d. h. ein Mensch von Grundsätzen, so wer-
den sogar Palmerston und Lord John ganz
gehorsanie Diener.

Jedoch um zur Sache zu kommen, so wollen
Sie Jhrer Kirche ein Vespertuch schenken. Der
Gedanke „Christus, von Engeln ins Grab
gelegt" ist auch ganz kirchlich; denn nicht nur
der Altar selbst, sondern sogar der Kelch wird

von der Kirche selbst als Grab des Herrn und
die Patene als Grabstein gefaßt. Unglück-
licher Weise aber haben Sie sich an einen
Zeichner gewandt, der im sogenannten Anti-
kensaal herangebildet ift und an pudelnackten
Engeln keinen Anstost nimmt. Sie wissen es,
das Zimperliche gehört nicht zu meinen Lieb-
habereien : aber um die Sache gleich am An-
fange rund herauszusagen, wollte Plato den
Homer bekränzt aus dem Lande jagen, so
würde ich, wenn ich die Gewalt hätte, alle
christlichen Maler des Nackten unbekränzt
aus dem Lande peitschen; denn ist das Nackte
Kunst, so haben wir ja lebendige Kunst-
häuser genug , nämlich die liederlichen, *
die dann die besten Akademieen wären, leider
oft stnd. Da stehen wir an dem Grundsatze,
für den einzustehen, christlichen Mannes Pflicht
ist, und der Grundsatz heistt: Nie und nur
in besondernFällen der Nich treizung
der Sinnlichkeit ist das Nackte dem
christlichen Künstler erlaubt, es ist immer
und bleibt verboten, trotz Raphael und wen
nian nennen mag. Jch sage noch mehr: der
chriftliche Maler hat das Nackte auch nie
nöthig, als wo er ein liederlicher Bursche
werden will. Das klingt ja gar wunderbar,
und unsere Akademiker werden Zeter schreien;
allein mir scheint es, daß es einmal an der
Zeit ist, den Herren die Wahrheit rundweg
und unverblümt herauszusagen.

Was unsereHerrender sogenannten sreien
Wissenschaft plaudern, ist eben nur dummes
Zeug von Leuten, die keine Wissenschaft ha-
ben; denn Wissen und Forschen stnd den Ge-

* Wir bittcn bei diesen nnd manch andern Nr-
tbeilen des Verfassers nicht zu vergessen, daß der
ehrwürdige Geiler von Kaisersberg selbst in Pre-
digten sich ähnlich vernehmen läßt. Vergl. Kirchen-
schmuck, 8. Band, S. 39 f.

Anm. d. Red.

Kirchenschmuck, 186V, Heft 12 oder Band Vlll.

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