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Dengler, Georg [Hrsg.]
Kirchenschmuck: Sammlung von Vorlagen für kirchliche Stickereien, Holz- & Metallarbeiten & Glasmalereien — 8.1860

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12. Heft
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Kreuser: Briefe an eine edle Frau,[9]
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https://doi.org/10.11588/diglit.18472#0099

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Fall. Jch will darüber nur wenige Worte
machen.

Das Nackte isi im Christenthum unbedingt
v erboten, außer bei der Sünde undSchande;
denn wer das Gewand Christi ausgezogen
hat, ift wirklich nackt, wie der alte Kirchen-
lehrer sagt. Ueber unsere Kunst urtheilte am
richtigsten nach einem Reisenden ein Kirgisen-
Chan, der inPetersburg vor den meisten Bil-
dern die Augen — niederschlug. Dies Nieder-
schlagen der Augen ist ein Grad von Aesthe-
tik, die in unserem Europa noch geschrieben
werden muh. Jedoch, ich ftage den Künstler
des Nackten geradezu in seinAngestcht: Wenn
der Apostel Paulus gewisse Dinge, die gerade
auf's Nackte gehen, nicht einmal mit dem
flüchtigen Namen genannt wissen will, darf
man dann durch bleibende Darstellung das
christlicheAuge verletzen, wo es für das Ohr
nicht erlaubt ist? Unsere Kunst zeichnet uns
schärfer, als unsere Künftler merken. Nahum,
der Prophet, spricht von Ninive, das nackt
allen Völkern gezeigt werden soll. Kommt
ein kräftigeres Geschlecht, wird dem jetzigen
Ruhm die vollständige Verachtung folgen;
kommt's nicht, je nun, die Kunst wird dann
den Völkeruntergang nicht abwehren. Von
den Kirchenbeschlüssen, die von jeher gegen
alle Unzucht in Bildern durch Verbote ein-
schritten, mag ich nicht reden; denn was kennt
und kümmert flch ein Sohn der Akademie um
solche Dinge? Wie aber, wenn die Guten
(und ihre Zahl ist noch immer grofl) die Höf-
lichkeit erwiederten und ebenfalls um die Künst-
ler flch nicht kümmerten? Jedoch ich bin aus
der Rolle des Fragers herausgefallen. Also
ich frage von neuem, guter Künftler: möchtest
du wohl, wenn du noch etwas gläubig bist,
einen Schutzengel haben, wie du ihn darstellst?
Jch wenigstens liebe mehr einen Himmel voll
Engel, wie der Prophet Daniel fle sah, an-
ständig in lange Gewänder gehüllt. Ferner
mein guter Künstler, würdest du deine Tochter
oder ehrliche Frau als nackt auch nur in Ge-
danken ertragen oder als Susanna zwischen
den zwei Unholden? Da gefällt mir doch die

Darstellung in den Katakomben von dem
schüchternen Lamme bei zwei gierigen Wölfen
mit der Ueberschrift Susamm und 8eniore8
weit besser, und am Ende stimmtest du selber
mit mir überein, wenn nicht die Mode wäre
und die Akademie. Ferner stelle ich die Frage:
würdest du es wagen, deinen Freund, Vor-
gesetzten, Fürsten, den Thronerben, dessen
Muiter in der klasfl'schen akademischen Weise
aufzufassen? Nackt heißt entehren. Die Rö-
mer zogen dem Verbrecher vor der Hinrichtung,
wie auch dem Heilande, die Kleider aus. Jst
das Nackte Kunsthöhe, warum bildest du
dich, und was dir lieb ift, nicht in dieser hohen
Kunstvollendung, sondern ziehft einen unklas-
flschen Frack an oder sonst einen Lappen, um
das zu verhüllen, was alle Völker die Scham
nennen? Der Fragen könnte ich noch viele
thun, und jeder Wohlgeflttete wird auch, ohne
daß man flch auf die Kirchenbeschlüsse und die
Vorbilder der Heiligen beruft, eingeftehen,
dafl mit der Kunst des Nackten die menschliche
Gesellschaft unverträglich ist, ja diese unmög-
lich wird. Nun Glück zu mit einer Kunst,
deren Anwendung im Leben Zustände be-
gründen würde, die näher zu entwickeln wir
aus Scham uns versagen müssen. Allerdings
würde eine solche Kunst erhebend wirken,
aber für das Thier, weil es nicht so tief fln-
ken kann, als der Mensch.

Jch glaube, Verehrteste! ich habe nicht nö-
thig, noch mehr Worte zu machen. Das Nackte
ist noch gar jung, und seit es in die Welt ge-
treten ist, taugt es eben nicht viel mehr darin.
Mit der Kunst geht jetzt auch die Empörung,
Nntreue, Gottloflgkeit, der Verrath, Schwur-
bund splitternackt durch die Völker, und es
thut mehr als ein Daniel von Volterra noth,
der unsere Blöflen wieder bedecke, und wenn
er auch noch einmal den Namen Braghettone
(Hosenmacher) erhielte. Es gibt einen fürch-
terlichen Zusammenhang zwischen Kunstleben
und Volksleben. Unsere Zeit hat Augen, aber
fle fleht eben nicht. Wovon ich noch hoffe, ist
nicht von den Männern, sondern von den
Frauen, und gerade aus der höher gestellten
 
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