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setzcn des Denkens, der geschichtlichen Vorur-
sachen u. s. w. unterworsen, können also, als
an sie gedunden, nicht srei seiu. Eben so ist
die christlicheKuust an dieGesetzedesChri-
stenthums gebunden. Die Herren Künstler
sind keine Herrn, wenu sie ihren Namen ver-
dienen, soudern eben Knechte, und werden
dieses Namens wie der Weltapostel mit Freude
sich rühmen. Wollen sie ihre Herrin, das
Christenthum, und seine feststehende Gottcs-
gelehrsainkeit nicht anerkenuen, nun so nennen
unsere Tage auch solche Leute Künstler, wie
man Bettler und sonstige Nichtherren ja auch
Herren nennt.
Ehe ich weiter fortfahre, Verehrtcste! Le-
merke ich, daß ich meine kühnen, nein, schlich-
ten Behauptungen mit biindigen Velegen be-
weisen müßte, und diese sollen auch später an
passendem Orte solgen. Für eiustweilen bitte
ich darum nur um ein wenig Glauben, nm so
viel, als jede Zeitung zu beanspruchen sich alle
Tage das Recht nimmt. Mit der gelehrten
Beweisführung werde ich späterhin iin zwei-
ten Bande über den Kircheubau und seine
Bildnerei aufwarten.
Vekanntlich strebt unsere neuere Kunst nach
dem Ruhme des Klassischen. Schlimm ge-
nug; denn das Klassische ist eben das Heid-
nische und nicht das Christliche. Da meinen
nun unsere gelehrten Ungelehrten, verleitet
von meist unverstandenen Marmorbildern odcr
Bilderstücken: die altcn Griechen und Rönrer,
als Vertreter der höchsten Schönheit in der
Kunst, seien große Liebhaber des Nackten
gewesen, und also müßten wir es auch sein.
Nm wieder mit der Wahrheit herauszuplatzen,
so erlaube ich mir die Behauptung, daß dieser
Satz die vollkommenste Lüge ist und zwar
eine Lüge der gröbsten Unwissenheit gerade
in klassischen Dingen. Es ist überhaupt eine
seltsame Erscheinung der Zeit, daß unsere
Kunst so gewaltig mit Griechisch uud Römisch
dick thut, und geht man auf die Sache ein, so
kommt sehr bald das Geständniß heraus, daß
die Kunstprediger gewöhnlich nicht einmat die
Sprache des Tertes kennen, an dem sie ihre
Beredtsamkeit üben. Es geht in der Kunst,
wie in der Politik und Religion. Jeder dieser
drei Stoffe greift ans Menschenherz, und Je-
der hält sich auch gewöhnlich für fähig, an
Staat, Kirche und Kunst mit Baumeister sein
zu könncn. Doch weg hievon.
Jch sagte: es ist eine Lüge, wenn man be-
hauptet, die Griechen hätten das Nackte ge-
liebt. Jedem Menschen ist das Gefühl der
Scham angcboren, oder er müßte denn der
rasende Besessene aus dem Evangelium sein
der aber, sobald er geheilt war, sich gleich be-
kleidetc. Die Griechen machten auch keiue
Ausnahme von andern gesittcten Völkern.
Veweisen wir dieses! Der DichterfürstHomer
ist ein Grieche, vor welchem alle Profefforen
aller Länder sich verkriechen müssen. Was sagt
er zum Nackten'^ Jm achten Gesange seiner
Odyffee bringt er eine unsaubere Geschichte
vom Kriegsgotte und der Liebesgöttin vor;
aber die Göttinnen schämen sich des nackten
Handels, und blciben hübsch in ihren Gemä-
chern. — An einer andern Stelle kommt der
Unglücksheld vor, der aus dem Meere nichts
gerettet hat, als den nackten Leib. JmDickicht
verborgen hört er das Geschrei der Mägdlein,
w agt aber nicht hervorzntreten vor Nausikaa
und ihre Gespielinnen, bevor er anständig be-
kleidet ist. Der gute Odyffeus, gewiß ein gu-
ter Grieche, scheint also eben so Ivenig cin
Liebhaber des Nackten gewesen zu sein, als er
diese Liebhaberei bei andern wohlerzogenen
Leuten voraussetzt. Es bestand sogar bei den
Frauen einc Sittenstreuge, die manchem Chri-
stenthume zu wünschen wärc. Penelope macht
es, wie Rebekka vor ihrem Bräutigam Jsaak,
und im eigenen Hause erscheint sie vor dcn
Freiern mit dem Schleier vor dem Gesichte.
Nackt.heit und Fluch sind bei dem Hebräer
gleichbedeutend, bei den Griechen sast eben so.
Nur der tödtlichste Haß konnte den Achill ver-
leiten, seinen edeln Feind Hektor den Hunden
nackt vorzuwersen; aber die Götter selbst ver-
abscheuen diesen Anblick, verhüllen die Leiche,
und der erzürnte Held geht bald in sich und
liefert dem Vater den Sohn aus. Jch könnte
setzcn des Denkens, der geschichtlichen Vorur-
sachen u. s. w. unterworsen, können also, als
an sie gedunden, nicht srei seiu. Eben so ist
die christlicheKuust an dieGesetzedesChri-
stenthums gebunden. Die Herren Künstler
sind keine Herrn, wenu sie ihren Namen ver-
dienen, soudern eben Knechte, und werden
dieses Namens wie der Weltapostel mit Freude
sich rühmen. Wollen sie ihre Herrin, das
Christenthum, und seine feststehende Gottcs-
gelehrsainkeit nicht anerkenuen, nun so nennen
unsere Tage auch solche Leute Künstler, wie
man Bettler und sonstige Nichtherren ja auch
Herren nennt.
Ehe ich weiter fortfahre, Verehrtcste! Le-
merke ich, daß ich meine kühnen, nein, schlich-
ten Behauptungen mit biindigen Velegen be-
weisen müßte, und diese sollen auch später an
passendem Orte solgen. Für eiustweilen bitte
ich darum nur um ein wenig Glauben, nm so
viel, als jede Zeitung zu beanspruchen sich alle
Tage das Recht nimmt. Mit der gelehrten
Beweisführung werde ich späterhin iin zwei-
ten Bande über den Kircheubau und seine
Bildnerei aufwarten.
Vekanntlich strebt unsere neuere Kunst nach
dem Ruhme des Klassischen. Schlimm ge-
nug; denn das Klassische ist eben das Heid-
nische und nicht das Christliche. Da meinen
nun unsere gelehrten Ungelehrten, verleitet
von meist unverstandenen Marmorbildern odcr
Bilderstücken: die altcn Griechen und Rönrer,
als Vertreter der höchsten Schönheit in der
Kunst, seien große Liebhaber des Nackten
gewesen, und also müßten wir es auch sein.
Nm wieder mit der Wahrheit herauszuplatzen,
so erlaube ich mir die Behauptung, daß dieser
Satz die vollkommenste Lüge ist und zwar
eine Lüge der gröbsten Unwissenheit gerade
in klassischen Dingen. Es ist überhaupt eine
seltsame Erscheinung der Zeit, daß unsere
Kunst so gewaltig mit Griechisch uud Römisch
dick thut, und geht man auf die Sache ein, so
kommt sehr bald das Geständniß heraus, daß
die Kunstprediger gewöhnlich nicht einmat die
Sprache des Tertes kennen, an dem sie ihre
Beredtsamkeit üben. Es geht in der Kunst,
wie in der Politik und Religion. Jeder dieser
drei Stoffe greift ans Menschenherz, und Je-
der hält sich auch gewöhnlich für fähig, an
Staat, Kirche und Kunst mit Baumeister sein
zu könncn. Doch weg hievon.
Jch sagte: es ist eine Lüge, wenn man be-
hauptet, die Griechen hätten das Nackte ge-
liebt. Jedem Menschen ist das Gefühl der
Scham angcboren, oder er müßte denn der
rasende Besessene aus dem Evangelium sein
der aber, sobald er geheilt war, sich gleich be-
kleidetc. Die Griechen machten auch keiue
Ausnahme von andern gesittcten Völkern.
Veweisen wir dieses! Der DichterfürstHomer
ist ein Grieche, vor welchem alle Profefforen
aller Länder sich verkriechen müssen. Was sagt
er zum Nackten'^ Jm achten Gesange seiner
Odyffee bringt er eine unsaubere Geschichte
vom Kriegsgotte und der Liebesgöttin vor;
aber die Göttinnen schämen sich des nackten
Handels, und blciben hübsch in ihren Gemä-
chern. — An einer andern Stelle kommt der
Unglücksheld vor, der aus dem Meere nichts
gerettet hat, als den nackten Leib. JmDickicht
verborgen hört er das Geschrei der Mägdlein,
w agt aber nicht hervorzntreten vor Nausikaa
und ihre Gespielinnen, bevor er anständig be-
kleidet ist. Der gute Odyffeus, gewiß ein gu-
ter Grieche, scheint also eben so Ivenig cin
Liebhaber des Nackten gewesen zu sein, als er
diese Liebhaberei bei andern wohlerzogenen
Leuten voraussetzt. Es bestand sogar bei den
Frauen einc Sittenstreuge, die manchem Chri-
stenthume zu wünschen wärc. Penelope macht
es, wie Rebekka vor ihrem Bräutigam Jsaak,
und im eigenen Hause erscheint sie vor dcn
Freiern mit dem Schleier vor dem Gesichte.
Nackt.heit und Fluch sind bei dem Hebräer
gleichbedeutend, bei den Griechen sast eben so.
Nur der tödtlichste Haß konnte den Achill ver-
leiten, seinen edeln Feind Hektor den Hunden
nackt vorzuwersen; aber die Götter selbst ver-
abscheuen diesen Anblick, verhüllen die Leiche,
und der erzürnte Held geht bald in sich und
liefert dem Vater den Sohn aus. Jch könnte