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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 22.1924

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Heft 4
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Glaser, Curt: Ernst Ludwig Kirchner: zu der Ausstellung seiner Gemälde bei Paul Cassirer
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https://doi.org/10.11588/diglit.4654#0079

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des Bildganzen. Die rhythmisch bewegte Gruppe
zweier großer Gestalten vor lichter Schneeland-
schaft ist in zarte Töne von Hellblau und Rosa
zu durchsichtigem Gelb getaucht, das große Bild
dreier Badender zwischen Felsen ist ganz auf Gelb
und Orange aufgebaut, eine Waldlandschaft etwa
auf den Dreiklang von Violett zu Blau und Grün
gestimmt. Die Art solcher farbiger Harmonien
steht in enger Beziehung mit dem schwingenden
Rhythmus der in reichen Schiebungen einander
umgreifenden Formen. Und es zeigt sich die ent-
gegengerichtete Tendenz auf Vereinfachung und
Intensivierung, wenn ein im letzten Jahre entstan-
denes Bild italienischer Arbeiter auf die kompli-
zierten Formbewegungen ebenso wie auf die zarten
Farbnuancierungen verzichtet, wenn eine Gruppe
in einfachen Vertikalen gebaut, die Farben unge-
brochen und stark nebeneinandergesetzt werden,

wenn endlich die Stimmung aus jener Dumpfheit
befreit ist, in der des Künstlers Geschöpfe bislang
versponnen waren.

Es ist eine eigentümliche Größe in dem Bilde
erreicht, eine Größe, die nichts mit dem realen
Maßstab zu tun hat, die Gestalten haben Gewicht
und Volumen, obwohl nicht anders als in den
frühen, teppichhaften Gemälden der reinen Fläche
an keiner Stelle Gewalt angetan ist. Das Bild ist
das jüngste unter den Arbeiten, die in der großen
Ausstellung bei Paul Cassirer gezeigt wurden, und
es scheint einen Weg zu weisen, auf dem manches
wird preisgegeben werden müssen, was den Reiz der
Schöpfungen dieses reichen Jahrfünfts ausmachte^
das etwa die Jahre 1918 bis 1922 umspannte. Aber
wie alles Leben Vernichtung ist, so will Kunst
stete Verjüngung, und es ist das Los des Schaffenden,
zugleich ein Zerstörender zu sein.

ERNST LUDWIG KIRCHNER, BAUERNMITTAG

AUSGESTELLT BEI PAUL CASSIRER, BERLIN

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