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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 22.1924

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Heft 7
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Scheffler, Karl: George Grosz
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https://doi.org/10.11588/diglit.4654#0200

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vom Einzelfall auf das Ganze weist. Anstelle des
Raisonnements tritt das Erlebnis der Erscheinung.
Damit verschwindet der peinliche Beigeschmack,
es verschwindet das Provozierende, das immer
wieder den Staatsanwalt auf den Plan ruft. Es
gibt Hintergründe in den neuen Aquarellen, die
fast opernhaft romantisch anmuten, es spielt die
Farbe hier und da ins Bengalische hinein •— ein
Beweis, wie viel Weichheit diese starren Ankläger
der Gesellschaft zu verbergen trachten —, die Er-
scheinung wird zum Raumornament und beginnt
in dieser Form erst wahrhaft naturalistisch zu leben.

Das gilt freilich vorläufig nur für einige Aquarelle
und tendenzfreie Zeichnungen. Für die Ölbilder
gilt es nicht. Der Maler Grosz interessiert nicht.
Wie man früher schnell an seinen figurenreichen
Bildtafeln vorüberging, von denen man den Sinn
in Teilen ablesen mußte, so fesseln auch die

mechanischen Konstruktionen der letzten Jahre
nicht. Diese Art Malerei ist Spleen, ist obendrein
langweilig akademisch Wer nur sie kennt, wird
die Behauptung, Grosz sei einer der begabtesten
Deutschen innerhalb seiner Altersklasse, ja vielleicht
der Begabteste, nicht verstehen. Und doch ist es
so. Hier ist ein Talent, das ungewöhnlich wirkt,
wo es sich unbefangen dem Eindruck hingibt, in
dem eine seltene Mischung von Beobachtungsgabe
und Romantik ist, das sich aber künstlich arm
macht, weil es die moralische Empörung nicht
überwinden kann. Frei wird Grosz erst an dem
Tage sein, wo er fühlt, daß das Talent nicht
bürgerlich, aristokratisch oder proletarisch ist, daß
die Kunst nicht soll und muß, und daß künst-
lerischer Charakter nicht in parteipolitischer Dienst-
barkeit besteht, sondern in der Autonomie des
Talents.

GEORGE GROSZ, GROTESKER TANZ. LITHOGRAPHIE

MIT ERLAUBNIS DER GALERIE A. FLECHTHEIM, BERLIN

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