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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 22.1924

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Heft 9
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Kuhn, Alfred: Corinth als Graphiker
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https://doi.org/10.11588/diglit.4654#0265

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Damit schließt der Reigen der
„großen Werke" ab. Im „Reineke
Fuchs" (Gurlitt) hat der Maler auf
sechzehn farbigen Lithos und vierzehn
selbstgeschriebenen Textseiten die in-
timste Verbindung von Text und Bild
zuwege gebracht und durch die innere
Gelöstheit des Ganzen, dem Mangel
an Konvention und dem wohligen
Humor, der das Ganze durchzieht,
die beste Illustration des Gedichtes
geschaffen, gegen die jene Wilhelm
von Kaulbachs weit zurücktritt. In den
acht Walchensee-Radierungen (Gurlitt
1920) kann man all das auf die Tech-
nik der Radierung angewandt finden,
was wir von der Lithographie des spä-
ten Stiles gesagt haben. Das Eigen-
leben der Linie ist auf das geringste
Maß reduziert. Diese ist nur im Zu-
sammenhang mit einer Summe anderer
überhaupt faßbar, immer Teil einer
Fläche bildend. Ist sie als Begrenzung
einfach nicht vermeidbar, wie etwa bei
dem Porträt des Fritz Proeis, so wird
sie aufgehoben durch andere sie zer-
reißende, die sie überschneidend, kreuz
und quer über und neben ihr herlau-
fend, ihr den Wert als Kontur neh-
men. Was mit der kalten Nadel an
Nuancierung von Tönen, an „Valeurs" hervorge-
bracht werden kann, mag man an den Blättern der
genannten Mappe feststellen, die immer wieder wie
ein wundersames Geheimnis dem Beschauer an-
muten.

In den letzten Jahren sind noch eine Reihe
graphischer Zyklen von der Hand Corinths ent-
standen, „Die Königin von Golkonde", zwölf
farbige Lithos bei Gurlitt, eine groß angelegte
Illustration des Goetheschen Goetz in Radiertechnik
bei Erich Steinthal, „Die Frau Connetable" von
Balzac, Lithographien im Text, bei Bruno Cassirer
(1922), „Gullivers Reise in das Land der Riesen",
Propyläen-Verlag (1922), Das Buch Samuels, „Die
Nachtwachen des Bonaventure", Lithographien

LOVIS CORINTH, „ANNA BOLEYN". KREIDELITHOGRAPHIE

VERLAG FRITZ GURLITT, BERLIN

ebenda, und „Die Räuber", Avalun-Verlag. Sie alle
haben gemeinsam die steigende Vorliebe Corinths
für unwirkliche Motive, für geisterhafte Szenen.
Das Zeichnerische, dessen allmähliches Schwinden
wir verfolgen konnten, ist nun völlig zurückgetreten.
Nur schwarze und weiße Massen kämpfen mitein-
ander und aus ihrem Ringen entsteht dann gleich-
sam in Rauch und Dampf die Form. Sie, in un-
erhörter Sicherheit geschaffen, ist das reinste Produkt
eines langen Dienstes an der Kunst einer tiefen
Lebenserfahrung und eines Genies, das vielleicht
nicht durch einzelne Leistungen, aber in seiner
Gesamterscheinung sich den großen tragenden Per-
sönlichkeiten des neunzehnten Jahrhunderts würdig
anreihen darf.

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