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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 22.1924

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Heft 9
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https://doi.org/10.11588/diglit.4654#0287

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•würfe (trotz einiger Abbildungen), nichts über die Holz-
schnitte und den sehr bezeichnenden geistigen Austausch
mit dem Tischler-Bruder in Greifswald. Der auf dem Schutz-
umschlag abgebildete Holzschnitt ist kein Selbstbildnis.
Friedrich schreibt an den Bruder, daß er für figürliche Dar-
stellungen Dresdener Kollegen bemüht habe, um Vorzeich-
nungen für den Holzschnitt zu bekommen. Kennt W. die
Zeichnung zu diesem angeblichen Selbstbildnis in der Ham-
burger Kunsthalle? Sie ist gewiß nicht von Friedrichs Hand.
Neue Quellen, obgleich in diesem Falle besonders leicht er-
schließbar, sind anscheinend überhaupt nicht zu benutzen ver-
sucht, alle im eigentlichen Sinne kunstwissenschaftlichen Pro-
bleme nur soweit angedeutet, als bereits Ansätze zu Lösungen
vorlagen. Die grundlegend wichtige und noch ganz ungelöste
Datierungsfrage wird nur in einem Einzelfall fruchtbar er-
örtert, im übrigen mit einer flüchtigen allgemeinen Wendung
und einer referierenden Anmerkung erledigt. Sollte es endlich
nicht gerade die Lösung der selbstgestellten Aufgabe einer
„Wesensbestimmung" gefährden, wenn auf eine Abgrenzung
gegen den Weggenossen Carus ausdrücklich verzichtet wird?
(Wie denkt W. über das in dieser Beziehung besonders
interessante Waldbild des Erfurter Museums?) Gewiß mag
es bei einem ersten Versuch nicht auf Vollständigkeit des
Oeuvres ankommen, aber gerade die rätselvollen Grenzfälle
sind wichtig, und eine so ausgesprochene Vedutenmalerei
wie die als Nr. 35 abgebildete Ansicht der Albrechtsburg
bei Meißen (wo befindet sich das Bild?) bedarf zum min-
desten einer stilkritischen Begründung, soll sie als Werk
Friedrichs einleuchtend gemacht werden. Ich will indessen
die Liste der Beanstandungen nicht fortsetzen, da sich der
Haupteinwand nicht gegen Einzelfälle richtet, sondern gegen
die unzulängliche Methode.

Zweifellos eine Stärke des Buches liegt in der umfassen-
den Benutzung zeitgenössischer literarischer Belege. Ältere
Landschaftstheoretiker, dann die Mitlebenden Tieck, Schel-
ling, Runge, Carus u. a. (weniger glücklich Goethes Lyrik)
werden herangezogen zur Interpretation und Eingrenzung
der spezifischen Stimmungswerte Friedrichscher Landschafts-
kunst, so daß an diesem Punkte die Darstellung einen wert-
vollen Beitrag liefert zum Naturgefühl der Romantik über-
haupt. Hier finden sich auch einige gute eigene Definitionen
des Verfassers. Wenn er die viel getadelte Monotonie Fried-
richscher Bildgestaltung deutet als „eine Schweigsamkeit zu-
gunsten des Weltgeistes", so ist das prägnant und aufschluß-
reich. Wenn nur nicht die endlosen Wiederholungen wären
(„die Gegend wächst in die Maße tellurischen Antlitzes")
— man weiß oft nicht mehr, in welchem Kapitel man
eigentlich dahintreibtl Und man stößt nicht gern auf „das
Getümmel entbundener Weltmusik", auf „gebethaft steile
Gesinnung", auf „Fingerspitzenlogik der räumlichen Abfolge"
oder gar auf „beschwichtigendes, die regen Süchte ein-
sargendes Grau". Wenn besonders nachdrücklich auf solche
peinlichen Wendungen hingewiesen wird, so geschieht das
deswegen, weil die ganze Darstellung bewußt mit der Wir-
kung gefallsüchtiger Wortmusik rechnet und ich auch darin
einen grundsätzlichen Einwand gegen die Arbeitsmethode
erblicke. Es mehren sich die Bücher, die, durchaus nicht
geistlos, aber im Grunde ohne Substanz, fast einzig leben
von einer Art gewitzter Formelfertigkeit, die selbst kahlen

Gedankengängen einen trügerischen geistigen Hochglanz zu
leihen versteht. Wolfradts Friedrich-Buch ist dafür ein
Musterbeispiel. Es ist schade um die vielen Ansätze zu
wissenschaftlicher Vertiefung — die Arbeit ist hervorge-
wachsen aus einer Doktor-Dissertation —, die in literaten-
hafter Uberwucherung ersticken.

Die Publikation ist vortrefflich ausgestattet. Die Abbil-
dungen durchzublättern ist eine wahre Freude.

Carl Georg Heise.

Wilhelm Worringer, Die Anfänge der Tafel-
malerei. Insel-Verlag in Leipzig.

Das Thema dieses Buches ist mehr als geistreich, es
birgt einen tiefen Sinn: einen Sinn, dem unsere Zeit die
besondere Bedeutung gibt. Denn es faßt jenen schicksal-
haften Moment, da das Bild aus seiner urtümlichen räum-
lichen Gebundenheit sich zu lösen beginnt, da es auf den
Weg einer Entwicklung in sich selber gesetzt wird, dessen
letzte Kurve wir heute zurückgelegt. Wie aber kraft der
geheimen Symmetrie allen organischen Geschehens Anfang
und Ende einander verwandt sind: so macht diese spüreri-
sche, tiefdringende Darlegung des keimhaften Beginns der
modernen Malerei — denn um diese handelt es sich zuletzt
— uns, die wir ihren Ablauf erleben, mittelbar manches Wesent-
liche bewußt. Nicht nur die innere Notwendigkeit dieses Endes
wird uns eindringlich, sondern auch der Blick wieder frei
dafür, daß die eigentlich darstellende, die Bildjtunst als die
weibliche, empfangende aus dem Grunde erst wieder er-
wachsen kann, den die männliche, die urschöpferische zu
bereiten hat: die Kunst, die den Bau schafft und das Gerät.
Die Art der Behandlung des bedeutungsvollen Themas aber
spricht so recht von der Betrachtung ins Große, die heute
wieder wach zu werden beginnt und zu deren gezählten
Erweckern gerade Worringer gehört. Es ist keine Zeile in
diesem schönen Buche, die seine Kraft des Zusammensehens
verleugnet, seine Fähigkeit durch die subtilste Einzelfor-
schung hindurch die großen geistesgeschichtlichen Hinter-
gründe und deren mannigfache Verkettung spürbar zu
machen: jene Resonanz, die wie dem konkreten Werk die
besondere Farbe, so dem konkreten Urteil den tieferen Sinn
gibt. Es kann nicht das Ziel sein einer knappen Besprechung,
den Inhalt des Buches kurz darzulegen: zumal die substan-
tielle Dichte dieses Inhalts in einem raren und wohltuen-
den Kontrast steht zu seinem bescheidenen Umfang. Noch
auch kann es ihr Ziel sein, einige der grundsätzlichen Thesen
und einzelnen Befunde herauszugreifen und sich kritisch
mit ihnen auseinanderzusetzen: obwohl hinsichts der ersteren
die gewagte Gleichung Griechisch-Gotisch ebenso dazu
herausfordert als der Begriff des Soziologischen, der eher
ein Geheimnis zu decken als es zu erklären scheint. Ziel
dieser Besprechung sei allein, mit allem Nachdruck auf dies
ungemein gedankenvolle und glänzend geschriebene Buch
zu verweisen, dem auch im Werke Worringers eine Sonder-
stellung gebührt. Denn er vollbringt es darin auf eine
vorbildmäßige Art — paradox gesagt —, objektive und sub-
jektive Betrachtung ineinander zu binden, eigentümliche
überspannende Gedanken in naher, sachlich gefesselter Ana-
lyse sinnfällig zu machen.

Emil Preetorius.

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