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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 22.1924

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Heft 10
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Ludwig Baldaß, Der Künstlerkreis Kaiser Maxi-
milians. Kunstverlag Anton Schroll & Co., Wien 1923.
Mit 100 Bildertafeln nach Werken der Meister Albrecht
Dürer, Cranach, Altdorfer, Burgkmair, Peter Vischer u.a.

Recht hoffnungsvoll beginnt der durch große Publikationen
rühmlichst bekannte,Verlag hier eine Serie populärer dünner,
aber inhaltreicher Bändchen, indem er aus der Fülle des in
Wien zu Gebote stehenden Materials und durch einige frisch
gebliebene Vertreter der wohlfundierten Wiener Kunst-
forschung etwas der Allgemeinheit zukommen läßt.

Der Künstlerkreis Maximilians wird von dem durch seine
ikonographischen Studien über den Kaiser vorbereiteten Autor
in Wort und Bild wohlgewählt vorgeführt. So gruppiert
sich also eine Summe von Kunstwerken wertvollster Art
um den Besteller, von dem sonst in unserm landläufigen
Wissenschaftsbetrieb um so weniger die Rede ist, je mehr
es auf ihn für die Ausgestaltung und den Ausfall des Wer-
kes im engeren und weiteren Sinne anzukommen pflegt.
Gerade an diesem weithin sichtbaren Beispiel wird es klar,
wie viel von der Gesinnung, Unternehmungslust, von den
Charaktereigenschaften wie Eitelkeit, Pedanterie, Schwung
und inneren Hemmungen des ,,Mäcens"auf den künstlerischen
Prozeß übergehen kann, eine besonders lehrreiche Betrach-
tung in einer Zeit, die für den Begriff Gesinnung in der
Kunst vor lauter „Sehen lernen" blind und taub geworden ist.

In seinen ikonographischen Studien hat Baldaß uns so
etwas wie eine Biographie des letzten Ritters gegeben. Hier
beginnt er mit dem vielen frohvertrauten „Goldenen Dachl"
in Innsbruck, das nun für manchen als Werk Maximilians
einen eigenen Nimbus bekommen mag. Es folgen dann
die köstlichen Medaillen aus den burgundischen Brautfahrts-
tagen, die ritterlichen Münzprägungen der Haller Taler, Bei-
spiele der wundervollen, von der Kunstgeschichte viel zu
wenig beachteten, von den Sammlern meist nicht künstlerisch
gewerteten deutschen Prägetechnik und so geht es über zu
den berühmten und vielerörterten Werken des Grabmals in
Innsbruck, dem Anteil Dürers an der Verherrlichung und
Verewigung dieser Erscheinung, Gebetbuch, Ehrenpforte,
Triumphzug. Zu diesen bekannten Stücken kommen die
nur dem Forscher vertrauten Schätze der Albertina, des
Wiener Staatsarchivs und der ehem. k. k. Hofmuseen: die
Miniatur-Vorlagen von Kölderer zu den Gruppen der Reiter
im Gefolge des Kaisers, der Triumphbilder, Scheibenrisse
mit seinen Schlachten, und die amüsanten altdorferartigen
Miniaturen aus der Vita Friderici et Maximiliani. Man freut
sich dieser sachkundig aufgereihten und erklärten Stücke in
erregender Mischung von Bekanntem und Unbekanntem —
und kommt sich fast undankbar vor, wenn man einiges zu-
gunsten intimerer Gestaltung vermißt, dessen Kenntnis man
doch gerade den Studien des Herausgebers zum Teil verdankt.
So die als erhaltener Innenraum unvergleichliche Antwerpener
„Chapelle de Bourgogne", an der die deutsche Forschung
während der Okkupation vor lauter Sorge, sämtliche Epita-
phien mit unserm letzten Aufgebot an photographischem
Material aufzunehmen, glücklich vorübergegangen ist —
das Siegel mit der Landesherrin Maria von Burgund und
dem sich und sie kühn durchhauenden Erzherzoggemahl
daneben, oder neben den monumentalen Bildern des letzten
Ritters die intime Aufnahme des von der Jagd heimkehren-

den Reiters vom alten Holbein in Berlin und schließlich das
von Baldaß selbst veröffentlichte grandiose Totenbildnis des
Kaisers. All dies konnte in die dankenswerte Fülle des
Materials die lebendigen Akzente geben, deren sich die
Wissenschaft gerade, wenn sie ihre Resultate einmal der
Allgemeinheit gönnt, nicht zu schämen braucht.

Oskar Fischel.

Ottomar Starke, Sizilianisches Tagebuch. Mit
zahlreichen Abbildungen nach Aquarellen und Zeichnungen.
Verlag Müller & Co. Potsdam 1923.

Dies völlig unschwärmerische Buch eines Plauderers mit
Feder, Stift und Pinsel läßt einen mehr homerisch-goethe-
sche Luft atmen, als die neuhellenistischen Odysseen an
den klassischen Gestaden und es weiß auch dem nordischen
lebendigen Menschen besser sein Recht zu wahren, als manch
kritisches sechzigtägiges Tagebuch aus dem Süden. Ein
Mensch mit allen Sinnen wach und mit allem in Bereit-
schaft, was diese Sinne wachzuhalten und zu bilden ver-
mochte. Die Harmonie seiner Instinkte sollte ihn zum besten
Führer für ähnlich gelaunte Italienfahrer machen. Wer von
der letzten „gebildeten" Generation so oft Italiens „Kunst-
schätze" hat preisen hören, wer sich immer wieder zum
Beichtvater für die Angst gemacht sah, „man wüßte für Rom
nicht genug" — es wäre „zu überwältigend" — der weiß,
wer Italien nicht sehen sollte! Aber hier ist für die weni-
gen Würdigen ein Führer. Er geht nur zweimal zur Kunst:
einmal zu Marees in Neapel und „verläßt das Aquarium wie
einen Dom". Von Monreale kauft er nur unten in Pa-
lermo Ansichtskarten, weil er „Zehnminutenekstase" nicht
liebt, dafür wird er tiefsinnig, als er den alten deutschen
Maler besucht, der auf dem Theater in Taormina das Jubi-
läum seines 250ten Bildes gefeiert haben soll. „Wie sagte
Flaubert, oder war's Don Peppino oder Blei oder Sternheim
oder alle: le monde a des frontieres, mais la stupidite hu-
maine est sans bornes". Darum haben seine Kapitel vom
italienischen Leben auf dem Neapeler Zollamt, im Schach-
klub von Taormina den Nimbus besonderer Herzensange-
legenheiten, und sein anklagenderStoßseufzer klingt ganz ehr-
lich entrüstet: „Wo bleibt das Tafelwerk mit Index, Supple-
ment, kritischem Apparat, vergleichenden Tabellen über den
»carro siciliano«?! Hier ist noch ein Kronzeuge für den
Expressionismus zu vergeben!" Man merkt, es ist ihm ernst
mit Sehenlernen und Einfühlung und er möchte sofort einen
Esel vor diesen Carro spannen. Er würde auch bei uns eine
Provinz des Landes ohne Grenzen finden, aus der die be-
rufsmäßigen Italienfahrer auszuschwärmen pflegen. — Und
wie er mit der gutmütigen Bosheit des Gesunden von alle-
dem abrückt, liegt ein Jubel über diesen Zeilen, der zu Duft
und Wehen, zu Sonne, Schimmer und Bläue dieser Ufer,
Vorgebirge und Buchten paßt, wie ganz selten in Reisebüchern,
denen man heut anzumerken pflegt, daß sie sich schon
gedruckt sahn, als sie noch geschrieben wurden. Der Ver-
lag hat die Kaprizen dieser Zeilen mit Abbildungen zu durch-
setzen versucht; aber dem Buch als Ganzem fehlt im „An-
gezogensein" etwas von der sicheren Kultur des Schreibers;
dafür hält der Deckel: gutes schwefelgelbes Leinen mit einem
durchgaloppierenden Eselchen darauf, mit Stimmung und
Temperament des Inhalts schritt. Oskar Fischel.

3H
 
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