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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 22.1924

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Heft 11
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Waldmann, Emil: Bilderpreise aus der Geschichte der National-Gallery in London
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https://doi.org/10.11588/diglit.4654#0350

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V

Bacchanal, Claude Lorrains Königin von Saba,
Rubens Raub der Sabinerinnen, drei van Dycks,
zwei Rembrandts, Reynolds Lord Heathfiel und
die Serie der Mariage ä la Mode von Hogarth —
dafür konnte man selbst damals wohl eine Million
anlegen. Das Komitee, das für Bildererwerbungen
damals in höherem Grade verantwortlich war als
der Direktor, William Seguier, seines Zeichens
Bilderhändler und Restaurator, hatte eine glückliche
Hand. Mehr Aufsehen machte eine Erwerbung
des Jahres 1834, man zahlte für zwei Correggios
221000 Mark, aber der eine der beiden, „Merkur,
Venus und Amor" rechtfertigte doch auf die Länge
der Zeit diese enorme Summe. Als drei Jahre später
Rubens „Eherne Schlange" zusammen mit dem
Salvator und einem großen Bilde von Murillo für
180000 Mark gekauft wurde, protestierte niemand,
ebensowenig wie bei dem ersten Raphael-Ankauf,
der ungefähr 120000 Mark kostete. Bilder waren
damals schon teuer, wenn sie sehr berühmt waren.
„Christus vor Pilatus" von Gerard Honthorst wurde
1839 mit 30000 Mark angeboten, aber abgelehnt;
mit Recht: die Galerie erwarb es im Jahre 1822
aus der Stafford-Kollektion für 4000 Mark. Statt
dessen erwarb das Komitee damals, im Jahre 1839,
das Doppelbildnis des Ehepaares Arnolfini von
van Eyck für 12600 Mark — einer der besten
Käufe, den die Galerie jemals machte.

Als im Jahre 1843 Seguier gestorben war, wurde
Charles Lock Eastlake sein Nachfolger, auf Emp-
fehlung von Sir Robert Peel. Unter seiner Leitung
wurde 1844 Giovanni Bellinis Doge Loredano für
12000 Mark erworben. Der Preis für Rembrandts
Rabbiner, Dows Selbstbildnis und Guido Renis
Christus und Johannes für zusammen 8190 Mark
wurde heftig kritisiert und Michelangelos Madonna
mit Engeln, die Eastlake als Ghirlandajo vorschlug,
für 5000 Mark abgelehnt. Ein späteres Komitee
hat dann, 1870, dieses Bild mit 40000 Mark be-
zahlen müssen.

Eastlake kannte damals eigentlich nur italienische
Malerei, und als aus der Rochard-Sammlung Hol-
beins Bildnis eines'Arztes für 12000 Mark zu haben
war, erklärte er: „Ich verstehe nichts von Deut-
schen". Er fragte einen „hervorragenden deutschen
Kenner", ob das Bild echt wäre. Die Antwort
lautete bejahend, das Bild wurde gekauft. Es stellte
sich alsbald heraus, daß es kein Holbein war, die
Galerie bot 3000 Mark Abstand, aber der Verkäufer

wollte es nicht zurücknehmen. Als das Komitee
im gleichen Jahre, 1845, für 25000 Mark Guido Re-
nis „Susanna" erwarb, wurde der Ruf der Galerie
auch nicht besser. Der junge Ruskin schrieb, das
Bild entbehrte „sowohl der Kunst wie der An-
ständigkeit". Auch der Ankauf von Velasquez'
Bärenjagd, für die 50000 Mark ausgegeben wurden,
erwies sich als unglücklich. Das Bild war total
ruiniert. Diese Scharten aber wurden reichlich wett-
gemacht durch die Erwerbung von Raffaels Früh-
bild „Traum eines Ritters", das nur 21000 Mark
kostete.

Infolge einer heftigen, von Morris Moore ge-
führten Polemik, die sich sowohl gegen die An-
kaufspolitik der Galerie wie gegen die in ihr ge-
handhabten Methoden der Bilderreinigung richtete,
legte Eastlake im Jahre 1847 verärgert sein Amt
nieder, blieb aber z. D. Das Komitee kaufte ziem-
lich auf eigene Hand, der Direktor, Uwins, hatte
nichts zu sagen und entscheidend bei Ankäufen
war wesentlich der Kunsthändler Woodburn. Er
kaufte im Auftrag aus der Sammlung des Marechal
Soult in Paris das Halbfigurenbild des „Zins-
groschens" von Tizian für 60000 Mark, das aber
nicht von Tizian ist, sondern vielleicht ein Jugend-
werk von Paris Bordone, und Palma Vecchios „Ver-
lobung der heiligen Katharina" für 30000 Mark,
die aber nicht gefiel und von Lord Lansdowne
übernommen wurde. Abgelehnt wurden Tintorettos
Hochzeit zu Kana und seine Kreuzigung, die
Ruskin für zusammen 240000 Mark zu vermitteln
sich erbot. Ausgelassen wurden ferner Tizians
„Raub der Europa" für 5566 Mark und Mantegnas
Gethsemane für 5000 Mark.

Um die Mitte der fünfziger Jahre war die
Situation nicht mehr haltbar, es mußte zu einer
Reorganisierung der Galerie geschritten werden,
das Regiment der Amateure und Dilettanten sollte
aufhören, man brauchte einen verantwortlichen
Direktor. Eastlake wurde wieder berufen, neben
ihm wurde ein Direktorialassistent ernannt und
außerdem ein reisender Einkaufsagent, der die
Privatsammlungen auf dem Festlande studieren
und günstige Kaufgelegenheiten ausfindig machen
sollte.

Eastlake hatte in den acht Jahren seiner Muße
sehr viel gelernt. Er konnte als der beste Kenner
seiner Zeit gelten. Unterstützt von seiner künst-
lerisch außerordentlich gebildeten Frau, beraten von

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