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Deutsches Archäologisches Institut / Römisch-Germanische Kommission [Hrsg.]
Korrespondenzblatt der Römisch-Germanischen Kommission des Archaeologischen Instituts — 1.1917

DOI Heft:
Heft 6 (November/Dezember 1917)
DOI Artikel:
Menghin, Oswald: Spuren eines römischen Kastells im nördlichen Niederösterreich
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.24883#0203

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einigermaßen nach Zusammenfassung aussieht, beigetragen worden. Das ist
um so bedauerlicher, als ja die geschriebenen Quellen für diese Gebiete nur
sehr lückenhafte Erkenntnis zulassen, wogegen das Fundmaterial nicht unbe-
trächtlich ist und unser Wissen in willkommener Weise ergänzen würde.
Römische Münzen, Terrasigillatascherben, Fibeln und andere Dinge, die un-
zweifelhaft als Import aus dem Süden des Landes anzusprechen sind, be-
gegnen im nördlichen Niederösterreich nicht selten, ohne bisher Beachtung
gefunden zu haben. Schuld daran trägt einerseits die äußerliche Unschein-
barkeit des Materiales, andererseits die in Österreich (die slawischen Gebiete
ausgenommen) besonders schroff eingerissene Arbeitsteilung, nach der die
Prähistoriker sich nur mit der Zeit vor Christi Geburt, die klassischen Archäo-
logen aber wieder nur mit Funden auf dem Boden des alten römischen
Reiches sich beschäftigen. Auf diese Weise müssen natürlich ganze Zeit-
und Länderräume leer ausgehen. Dieser Zustand ist auf die Dauer nicht
haltbar, um so mehr als es sich dabei vielfach um außerordentlich wichtige
Probleme handelt, ohne deren Lösung überhaupt nicht Klarheit in die ältere
Siedelungsgeschichte Österreichs zu bringen ist.

Ich habe daher mit Vergnügen die Gelegenheit ergriffen, in Stillfried
an der March graben zu können, jenem bedeutenden Platze, der seit
Matthäus Muchs ausführlichen Auseinandersetzungen1) in der wissenschaft-
lichen Literatur nie wieder ganz vergessen wurde. Nur mußte man sich beim
Fortschritte der archäologischen Forschung immer mehr klar werden, daß
Muchs Hypothesen über diesen Fundplatz unmöglich alle haltbar waren, und
schöpfte daher auch Mißtrauen gegen das, was an seinen Behauptungen
etwa richtig sein konnte.

Meine im Jahre 1916 zusammen mit Richard Böhmker, dem verdienst-
vollen Obmanne des Stillfrieder Musealvereines, vorgenommenen Grabungen
hatten vor allem den Zweck, Anhaltspunkte für die Datierung der Wälle zu
gewinnen und die Frage zu beantworten, ob in Stillfried wirklich ein römi-
sches Kastell bestanden hat, wie M. Much annahm. Unser Erfolg war zu-
friedenstellend; beide Probleme können schon heute mit großer Wahrschein-
lichkeit als gelöst betrachtet werden, wenn auch die Arbeiten noch nicht
abgeschlossen sind.

Mein ausführlicher Grabungsbericht wird in den Jahresheften des österr.
archäologischen Institutes erscheinen; hier will ich nur einen kurzen Vor-
bericht über die gewonnenen Ergebnisse bieten.

Das Dorf Stillfried liegt am Fuße einer langgestreckten, schmalen
Höhenzunge, die gegen die March hin fast senkrecht abfällt und ursprüng-
lich auch vom Flusse bespült war. Heute ist die March ziemlich weit gegen
Osten abgedrängt. Die Nord- und Südseite der Anhöhe wurde durch
Trockentäler begrenzt, wie sie im niederösterreichischen Lößgebiete häufig
sind. Auf der Westseite ging die Zunge ohne jeden natürlichen Einschnitt
ins Hinterland über. Dieser Platz war schon in vorgeschichtlicher Zeit dicht
besiedelt. Wohngrube reiht sich hier an Wohngrube und die Kulturerde
greift oft über 2 m tief in den Löß hinab. Die Kleinfunde belegen vor-
geschichtliche Siedelungstätigkeit vom Neolithikum bis in die Spätlatenezeit. Ob
in prähistorischer Zeit eine Verwaliung bestand, läßt sich nicht sagen. Die

') Germanische Wohnsitze und Baudenkmäler in Niederösterreich. Mitt. d. Anthrop.
Ges. in Wien V. (1875) S. 39 = Blätter des Ver. f. Landeskunde v. Niederösterreich IX.
(1875) S. 95, 165, 252. — An dieser Stelle sei hingewiesen auf R. Böhmkers „Exkur-
sionsführer für Stillfried an der March“, 92 S. mit 48 Abb., 1 Grundr. u. 1 Karte, Wien-
Leipzig 1917, dessen Hauptteil das gesamte archäologische Material unter Beifügung einer
Literaturübersicht in wissenschaftlich einwandfreier Weise darbietet.
 
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