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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — 2.1908

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Heft IX (September 1908)
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Hahn, Robert: Dritter Internationaler Kongress zur Förderung des Zeichenunterrichts
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https://doi.org/10.11588/diglit.31819#0099

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89

der Schönen, als sie den ungewohnten germanischen Vollbart gewahr wird, mit
einem Tone voll Gemüt, wie man es bei dem Krämervolk nur selten findet.
Jetzt stossen wir auf dichtes Gewühl. Bei den zweifelhaften Klängen eines
Strassenklaviers wird hier von Mädchen und Weibern getanzt. Es ist der eigen-
artige schottische Volkstanz, bei dem die ganze Seele in den Stiefeln zu liegen
scheint. Die Bewegungen der kleinen Mädels sind nicht ohne Grazie, die der
Weiber wild und ausgelassen, denn sie sind besoffen.

Hampstead ist der Vergnügungsort für das niedere Volk; so fahren wir noch
hinüber nach Golders Green, wo Londons Bürgerstand zu finden ist. Welch
liebliches, farbenreiches Bild! Auf saftig-grünem Plane, umrahmt und durchzogen
von prächtigen alten Bäumen, lagern friedlich Tausende von Menschen. Nirgends
Lärm, nur selten ein Lachen. Geistige Getränke gibt’s nicht, der Engländer ist
aber meist so vorsichtig, seinen Whisky mitzunehmen. Drüben beim Teehause
spielt eine bessere Kapelle; dazwischen singt ein Jungfernklub seine sanften Weisen.
Der Diens-

tag V ormit-
tag sollte u. a.
den sehr wich-
tigen V ortrag
bringen über
Ausbildung
von Lehr-
lingen und
Gehilfen für
die heutige
Gewerbe-
kunst von T.
de Prätere,
Direktor der
Kunstgewer-
beschule und
des Museums
in Zürich.
Leider war
ab er der Herr
nur bis Gent
gekommen,
wo er krank

Figur 4.


liegen bleib en
musste. Nachmittags sprach Rektor Seinig-Charlottenburg über das so eifrig von ihm
verfochtene verändernde Gedächtniszeichnen, das zugleich durch eine kleine
Ausstellung erläutert wurde. Aus dem Vortrag war nicht ersichtlich, ob Seinig die
weiteren von ihm sonst empfohlenen Uebungen, das gedächtnismässige Zeichnen
von Formengemeinschaften und Formenverwandtschaften jetzt preisgegeben, oder ob
er nur der Kürze der Zeit wegen verzichtet hatte, darauf einzugehen. Ich habe
schon an unserem Verbandstag ausgeführt, dass die Anwendung des verändernden
Gedächtniszeichnens nicht in derartigen inhaltsleeren Uebungen, sondern im eigent-
lichen Phantasiezeichnen bestehen sollte.

Ziemlich humoristisch wirkten die Ausführungen eines Mr. Taylor von Lan-
casliire, der unter Aufwand von grossem Eifer, vielen Worten und riesigen Farb-
tafeln zu erweisen suchte, dass die Lehre von den drei Grundfarben falsch sei. Und
es sei unbedingt notwendig, dass von den Regierungen eine internationale Kommission
eingesetzt werde, damit endlich die sechs Grundfarben allgemein giltig festgelegt
würden. Der Kongress war jedoch so vernünftig, hiezu seine Hand nicht zu bieten.
Am Abend war Kongressempfang und Unterhaltungsabend. Schlag
8.30 öffneten sich die taghell erleuchteten Hallen des Viktoria- und Albert-Museums,
 
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