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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 2.1908

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Heft IX (September 1908)
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Hahn, Robert: Dritter Internationaler Kongress zur Förderung des Zeichenunterrichts
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https://doi.org/10.11588/diglit.31819#0101

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keine andere Kunst als die Kunst überhaupt, eben wie sie an diesen Anstalten
gelehrt wird. Wen Neigung und Begabung mehr zur freien als zur angewandten
Kunst treiben, der trete nach der Sekunda gleich in die Kunstschule ein und nach
5 oder 6 Jahren mache er dann mit den übrigen Bewerbern die Prüfung. An
wissenschaftlichen Fächern brauchen wir neben der künstlerischen Fachbildung nur
folgende: Kunstgeschichte einschliesslich Baustilkunde unter ausgiebiger Benutzung
der Sammlungen und Baudenkmäler am Platze, Anatomie, ferner konstruktives
Zeichnen (Projektionslehre, Schattenkonstruktion und Perspektive). Die Verhält-
nisse bei uns in Württemberg sind noch nicht ganz so, aber doch in sehr wichtigen
Punkten so. Auf Grund dieser soliden Vorbildung ist es uns möglich geworden,
bis zu gewissem Grad die Anerkennung neben unsern Kollegen von der Wissen-
schaft zu finden. Und so glauben wir einen praktischen Weg gewiesen zu haben,
der eine gründliche künstlerische Vorbildung gewährleistet, wie sie der Zeichen-
lehrer an Mittelschulen haben muss, ohne das andere Ziel aus dem Auge zu verlieren,
das wir alle erstreben, Anerkennung neben unsern Kollegen von der Wissenschaft.
Der Donnerstag brachte als ersten Vortrag den von Schulrat Kerschensteiner
über: Die Entwicklung der zeichnerischen Begabung. Es war das kurz
zusammengefasste Ergebnis der umfangreichen Versuche, die Kerschensteiner an
seinen Münchener Schulen
angestellt, und die er
uns bereits ausführlich in
seinem unter demselben
Titel erschienenen Werk
dargelegt. Ich möchte nur
einem Satze widersprechen:
„Das Nachahmen von
guten graphischen Dar¬
stellungen ist wohl vom
Klass enunt er richt au szu-
schliessen, kann aber un¬
bedingt für häusliche Ar¬
beit empfohlen werden.“ V
Das Sehen wurde nach
meiner Beobachtung bei unsern Schülern durch das Kopieren noch nie gefördert, im
Gegenteil! Gut und mit Erfolg kopieren kann nur der, der die Natur gründlich
studiert hat; und gerade dieser wird es unterlassen, wenn er nicht seine ganz
besondern Zwecke verfolgt. Also rate ich jedem ab. Zum Bedauern seiner
Landsleute sprach Kerschensteiner englisch, freilich ohne einen vollen Erfolg zu
erzielen.
Der Vortrag von Lektor Böhling-Hamburg über: Die Entwicklung der
perspektivischen Vorstellung ging völlig in die Brüche. Der Redner hatte
das Ergebnis seiner Untersuchungen in einer Reihe von Wandtafeln graphisch
dargestellt und rief manches Kopfschütteln hervor. Dabei war sein Vortrag viel
zu breit angelegt, so dass er erst recht begonnen hatte, als die Glocke des Präsi-
denten ertönte und ihn vom Pulte rief.
Der Abend vereinigte im Gambrinus alle Teilnehmer deutscher Zunge, vom
Elsass und den Quellen des Rheins bis Ungarn und zu den baltischen Ostsee-
provinzen, um auch einmal der Gemütlichkeit zu dienen, die der Deutsche in London
schwer vermisst, und die wir seinerzeit in Bern so reichlich genossen hatten.
Den Höhepunkt des Kongresses bildete wohl der Vortrag von Dr. Jesson-
Berlin: Einige Grundsätze der Kunst im deutschen Arb eit sunt er-
richt. Redner fasste in schwungvollen Worten zusammen, was wir alle in
dieser Beziehung als richtig erkennen und fühlen. Der Erfolg war dementsprechend
ein durchschlagender. Jesson sprach zwar englisch , liess aber seinen Vortrag
deutsch drucken, und so waren beide Teile befriedigt. Es wird sich lohnen, auf
den Vortrag später zurückzukommen.
 
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