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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 24.1889

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Vom Christmarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.6239#0083

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147

Vom Christmarkt.

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erfreut den Beschauer. Aber künstlerische Wunder
hat er doch nicht vollbringen können; er ist an
der Menschwerdung des einsamen Fichtenbaumes ge-
scheitert und hat sich mit der Lotosblume vergebens
abgeängstigt. Und so wird es jedem Späteren gehen,
der diese Gleichnisse greifbar machen will.

Die sanfteren Register der menschlichen Seele bei
der Behandlung des großen Themas Liebe zieht ein
amerikanischer Dichter, I. Marvel in den „Trän-
mereien eines Junggesellen" '). Hier sind die schrillen

rakter der Zeichnung hervor. Die Darstellung weib-
lichen Liebreizes ist Jüttners Sache nicht; er trifft
nur selten die wohlthuende Harmonie der weiblichen
Schönheit. Das wird vielleicht dem Absatze des
Buches Eintrag thun, denn in Deutschland haben nun
^ einmal die Zeichner, welche sich vorwiegend mit rei-
zenden Frauenköpfen und Engelsgestalten befassen,
mehr Aussicht auf Beifall der Menge als die, deren
! starke Seite die Darstellung scharfgeschnittener Phy-
siognomien ist. Jüttner hat nach diesen Proben ent-

AuS Heine's Buch der Lteder, illustriert von Grot Johunn (Grote).

Mißlaute und fiuster grollenden Dissonanzen ver-
mieden; eine weiche, zwischen sanftem Moll und hellem
Dur wechselnde vox bumana. umschmeichelt das Ohr
und läßt das bunte Bilderspiel, das sich der Dichter
vorzaubert, langsam vorübergleiten. Jndem der sin-
nende Poet bald dies bald jenes uns erblicken läßt,
zieht er uach und nach die Bilanz der Ehe. Dabei
knüpst er in träumerischer Weise an das Kaminfeuer
an, in das er starrt und das seine Phantasie auf ver-
schiedene Weise, je nach der Art des Feuers anregt.
Die Jüttnerschen Abbildnngen gehen dem verschlun-
genen Pfaden des Dichtergeistes nach. Sie sind un-
gleich; die Lichtdrucke, deren das Buch vier enthält,
und die kleinen Zierstücke werden wohl allgemeinen
Beisall finden. Aber manche der zinkographirten Ab-
bildungen sind vou allzu skizzenhafter Ausführung-
Hier und da tritt ein spezifisch amerikanischer Cha-

I schieden weit mehr von einem Karikatnrenzeichner
(im guten Sinne) als von eiuem Modeillustrator in
sich. Man kann daher zweifelhaft sein, ob er für
dieses weiche Buch des Herzens, in welchem die
Stimmungsmalerei vorherrscht, immer der rechte
Mann war, ob nicht vielmehr für manche Zeichnungen
(S. 31, 96) ein Künstler wie Grot Johanu besser
am Platze gewesen wäre.

Zu dem sehr thätigen Grot Johann führt uns
ein großes schönes Werk zurück, welches „weite Welt
und breites Streben" in den Kreis seiner Betrachtung
zieht. Es gemahnt an die schweren Verluste, die das
deutsche Volk im Lauf des Jahres erfahren hat, in-
dem es uns die erhabenste Herrschergestalt dieses
Jahrtausends vors geistige Auge stellt. „Kaiser Wil-
helm und seine Zeit" schildert Bernhard v. Kugler
in einem reich ausgestatteten Foliobande und zeigt,

1) München, Verlags - Anstalt für Kunst und Wissen-
schaft, geb. 2o M.

l) Berlin, Hofmann L Co. 4°. Geb. 10 M.
 
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