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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 24.1889

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453

Bücherschau.

454

daß in der „Geschichte der christlichen Malerei" von Erich
Frantz, bereits die schwächste Wirkung eines selbstgenügsamen
Dilettanlismus vorliege, hat sich als Jrrtum erwiesen;
Adolf Fähs Grundriß der Geschichte der bilden-
den Künste steht jenem Buche ganz würdig zurSeite. Die
Herren meinen, weil sie geschlafen haben und von den
Früchten der neueren Forschung nichts wissen, so werden
auch ihre Leser niemals die Augen öfsnen und sich um alle
anderen Vorgänge in der litterarischen Welt nicht kümmern.
Vergeblich sucht man bei Fäh nach einer Schilderung der
Anfänge künstlerischer Thätigkeit. Dast die Phantasie sich
zuerst an dem Gerätschmucke übte, daß die ornamentale
Kunst der monumentalen Kunst zeitlich voranging und als
erste Stufe der Kunstübung das Nachbilden von Natur-
gegenständen erscheint, von allen diesen doch so wesentlichen
Dingen ersährt nian in Fäh's Kunstgeschichte nicht ein
Sterbenswort. Der Versasser beginnt, man möchte es kanm
sür möglich halten, seine Erzählung, wie sich die bildenden
Künste in den ältesten Zeiten entwickelt haben, mit der
Stistshütte der Jsraeliten und dem Salomonischen Tempel,
also mit Werken einer abgeleiteten Kunst. Während er diese
beiden Werke trotz der dürftigen Quellen ganz ausführlich
schildert, thut er die phönikische und kleinasiatische Kunst aus
knapp ein paar Seiten ab. Er verzichtet aus eine klare Dar-
segung der allmählichen Ausbildung der hellenischen Bau-
formen, sowie auf die landschaftiiche Gruppierung der
Skulpturwerke archaischen Stils und sieht in der hellenisti-
schen Kunst alles andere, nur das nicht, wornuf es wesentlick
ankommt, nämlich einen Knotenpunkt der künstlerischen Ent-
wickelung, welcher zwei Weltalter eng verbindet.

Dagegen giebt ihm die knidische Aphrodite Anlaß zu einer
moralischen Betrachtung über die bedenkliche Sitte nackter
Darstellungen und preßt ihm Arria und Pätus einen Seufzer
ab über die traurige Verirrung des Geistes, einen Selbst-
Mvrd zu verherrlichen. Der Bersasser besitzt eine beiläufige,
borwiegend aus der älteren Lilteratur geschöpfte Kenntnis
der alten Kunst, wie sie ein fleißiger, in seinen Anschauungen
ziemlich eng begrenzter Dilettant erwerben kann. Sein
Grundriß gleicht einem astronomischeu Lehrbuche, in welchem
der Verfasser noch an dem ptolemäischen Weltsystem gläubig
festhält. Bei der Renaissance und bei Nembrandt sehen
wir nns wieder.

Jm grellen Gegensatze zu Fähs Grundrisse steht das
Buch, welches Paul Müller-Walde über Leonardo ge-
schrieben hat. Der volle Titel lautet: Leonardo da Vinci,
Lebensskizze und Forschungen über sein Verhältniß zur Flo-
rentiner Kunst und zu Raffael. (G. Hirth's Verlag in Mün-
chen). Es ist aus b—6 Lieferungen berechnet, von welchen die
erste, die Jugendgeschichte des Künstlers enthaltend, vorliegt.
Schleppt sich Fähs Grundriß mit vielen veralteten An-
fchauungen, so blendet Müllers Buch geradezu durch die
Fülle des Neuen, durch den Reichtum überraschender Ent-
deckungen, welche es bietet. So lange wir den überlieferten
Nachrichten folgten. blieb die Jugendzeit Leonardo's nahezu
«n leeres Blalt. Nur wcnige Spuren seiner künstlerischen
4,häligkeit in Florenz, ehe er nach Mailand übersiedelte,
waren ausgesunden worden. Jetzt sind wir, falls sich Müllers
Entdeckungen bewähren, im stande, seine Laufbahn als Maler
vom Jahre 1470 an Schritt für Schritt zu verfolgen. Müller
Nennt nicht allein, den Weisungen Bode's, Liphardts
u. A. solgend, eine größere Reihe von Gemälden aus den
siebziger Jahren, er hat auch sast aus jedem dieser Jahre
Zeichnungen gefunden. Falls sich Müllers Entdeckungen be-
währen! Denn bis jetzt giebt er nur die nackten Resultate
seiner Forschungen und verschiebt die Beweisführung aus
fpäter. Bis dahin, ersucht er im Borwort, möge auch das
ilrteil über die Glaubwiirdigkeit seiner Behauptungen ver-
fchoben werden.

Wir fügen uns gern seinem Wunsche, erlauben uns
aber doch zu bemerken, daß es richtiger und sachgemäßcr
gewesen wäre, den entgegengesetzten Weg einzuschlagen und
uns zuerst mir der Beweisführung bekannt zu machen. Ab-
gesehen von manchen augenscheinlichen Uebertreibungen (z. B.
der Bezeichnung der schwedenden Frauengestalt aus siner frühen
Leonardischen Zeichnung als der ältercn Schwester der Six-
tinischen Madonna) wirkt die souveräne Bestimmtheit, mit
welcher die Zeichnungen kurzweg auf die einzelnen Jahre
verteilt werden, vorläufig mehr verblüffend als überzeugend.

Eine engere Anlehnung an die altc, gegenwärtig als
spießbürgerlich verschrieene Methode, welche vor allem auf die
genaueste Feststellung des Thatbestandes das Gewicht legt,
trocken und langweilig scheinen mag, aber dem Urteile eine
feste Grundlage verleiht, hätte auch der neuen Ausgabe des
HansBaldungschen Skizzenbuches in Karlsruhe genützt.
H. Marc Rosenberg hat dieselbe besorgt und mit einem
aussührlichen Texte begleitet. Jst nicht die Mehrzahl der
Blätter von einer späteren Hand überarbeitet worden, be-
sitzen die offenbar nicht gleichzeitigen Mvnogramme wirklich
eine Beweiskraft, fordert nicht der fundamentale Unterschied,
welcher zwischen der Zeichnung der Madonna (Taf. 18) und
anderen Blättern waltet, zu schärfster Prüfung der Echtheit
der einzelnen aufgeklebten Zeichnungcn heraus, kann man
die kopirten Ansichten von Rhodus wirklich der Hand eines
geschuiten Künstlers zuschreiben? Noch manche andere Frage
paläographischer und kritischer Natur schwebt aus den Lippen,
welche vielleicht in einer neuen Ausgabe des an sich ver-
dienstlichen Buches eine spätere Lösung finden wird. Dagegen
dürfte sich dann die Streichung einzelner gar zu subjektiver
Ansichten empfehlen. Z. B. „Da Baldung keine Kinder gehabt
hatte, fehlte ihm sowohl hier als auch später, ein tieferes
Berständnis für das Babygesicht." Oder: „Obgleich Augen
und Augenbrauen, Nase und Mund, kurzum jede Einzelheit
für sich genommen, aus beiden Blättern (Taf. 6 und 7) ver-
fchiedcn erscheint, dürfte doch auf beiden Blättern dasselbe
Kind gemeint sein." Wir wissen sehr wohl, daß die Kunst-
geschichte am wenigsten eines subjektiven Zuges entraten
kann und in vielen Fällen eine nicht weiter kontrollirbare
Empfindung des Kenners den Ausschlag giebt. Welchen
Schwankungen im llrteile man aber dabei ausgesetzt ist,
lehrt ein Beispiel aus den jüngsten Tagen. Thode hat sür
die Madonna mit der Nelke im Kölnischen Museum die alte
Bezeichnung: „Albrecht Dürer" wieder zu Ehren gebracht.
Er setzt das arg beschädigte Gemälde, welches manche für
das Werk eines Nachahmers der Niederländer aus dem
Ansange des 16. Jahrhunderts halten, in das Jahr 1492,
vor Dürers venetianische Reise (Jahrb. d. Pr. Kunsts., Bd. X,
S. 10), als er noch ganz unter dem Einflusse der Kölner
Schnle und Schongauers stand. Alsbald sindet aber ein
anderer Kenner in dem Bilde einen dem Giovanni Bellini
entlehnten Zug, nimmt das Jahr 1494 für dasselbe in
Anspruch und behauptet, es sei von Dürer in Jtalien oder
gleich nach seiner Rückkehr aus Jtalien gemalt worden. Wir
ivürden in der Sache klarer sehen, wenn wir genauer als
bisher bestimmen könnten, ob die Reise Dürers nach Venedig
dem Ausenthalte im Elsaß voranging oder solgte.

Zum Schluß machen wir noch auf ein Werk anfmerksam,
dessen Gegenstand den Forscher auf dem Gebiete der srüh-
mitielalterlichen Kunst noch lange beschäftigen wird. Alois
Riegl hat die ägyptischen Textiifnnde im k. k.
Oesterreichischen Museum eingehend charakterisirt und ein
ausführliches Berzeichnis derselben herausgegeben >Wien, R.
Waldheim 4" mit 12 Tafeln). Daß die mittelalterliche Skulp-
tur der orientalischen Teppichkunst einzelne Motive entlehnt
hat, war schon früher nachgewiesen worden. Es scheint aber
der Einfluß der orientalischen, besonders der spätägyptischen
Weberei und Wirkerei noch weiter zu gehen und äuch zahl-
reiche Ornamente des Mittelalters, sigürliche und lineare,
der Nachbildung ägyptischer Textilwerke den Ursprung zu
verdanken. Vielleicht solgt das Berliner Gewerbemuseum
dem Beispiele der Wiener Schwesteranstalt und giebt die in
seinem Besitze befindlichen ägyptischen Textilsunde gleichfalls
heraus. Hier eröffnet sich der gediegenen historischen For-
schung noch ein weites Feld. Amicus.

« Dic „Wiener Vorlegcblätter für archäologische
Uebungen", begonnen von A. Conze, fortgesührt vo'n O.
Benndorf, sind in den Verlag von A. Hölder in Wien
übergegangen und erscheinen jetzt in handlichem Format ge-
bunden, wodurch ihre Brauchbarkcit beträchtliäi erhöht wird.
Die Blätter haben sich für archäologische und kunstgeschicht-
liche Unterrichtszwecke in eminentem Grade nützlich erwiesen
und seien hiernnt der Lehrerwelt nochmals bestens empfohlen.
Auch in technischer Hinsicht stellen die neuen Serien einen
erheblichen Fortschritt gegen die früheren dar.

ÄL
 
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