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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 24.1889

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Boetticher, Ernst: Die Franzosen auf der Münchener Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6239#0353

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687

Die Franzosen auf der Münchener Ausstellung.

688

Miene und strohgelbem Haar, und Jean Brunets
„Kleine Bäuerin" sind uns aus zahllosen Nach-
ahmungen unserer Landsleute vertrant. „Studien"
endlich von Henri Martin (ein Mädchen auf dem
Felde und Brustbild eiues nackten Mädchens mit Feld-
blumen im aufgelösten Haar) bringen ihn fast in Ver-
dacht, er wolle die ganze Richtung durch maßlose
Übertreibung verhöhne».

Die Tiermalerei ist durch A. Pezant, S.
Grateyrolle und G. Guignard nicht übel ver-
treten. Dieselben haben Rindvieh gemalt, das sich wohl
sehen lassen kann.

Stillleben und Blumenmalerei haben Ar-
beiten ausgestellt, welche dcn Naturalismus auf diesem
Gebiete geradezu als Aberwitz hinstellen. Jst es
Natur, wenn ich einen Pfirsich oder eine Traube oder
Blumen weit vom Leibe halten muß, um sie zu er-
kennen? G. Thurners „Trauben und Pfirsiche"
sowie „Muscheln und Fische" sind unnatürlich, weil sie
in der Nähe betrachtet, nicht das Aussehen haben,
welches diesen Dingen in der Natur auch bei nächster
Betrachtung eigen ist. Gerade auf diesem Gebiete ist
die Abkehr von den alten Meistern nnsagbar abge-
geschmackt. A. Grivola's „Ollsr la üsuristo" und
„Chrysanthemen", und Alb. Aublets „Pfingstrosen"
und „Juni" folgen zwar nicht Thurners Beispiel,
reichen aber an die Leistungen unsere Blumen-
malerinnen nicht entfernt hinan.

Schließlich wären ergänzend zu meinem ersten
Bericht noch einige ansgezeichnete Pastellisten zu
erwähnen, Ad. Kaufmann, „Mondschein in Venedig",
Ch. Landelle „Jüdin aus Algier" und „Kleine
Bettlerin in Algier", sowie M. Reyzner „Ma-
donna".

Suchen wir unser Urteil zusammenzufassen. Das
Herausstreichen der französischen Kunst auf Kosten
der deutschen ist ganz ungerechtsertigt. Es beruht
dies in dem Grundfehler unserer neueren Entwicke-
lung, die, wie L. Pecht sehr treffend zürnt, „charakter-
loses Weltbürgertum an Stelle des Nationalgeistes,
der Heimatliebe und des stolzen Hervorkehrens der
Eigenart" setzen möchte und demgemäß in der Kunst
wie überall in schwächliche Nachahmung verfällt. Der
französische maßvolle Realismus und der unsrige
leisten bei aller Wahrung ihrer nationalen Eigenart
gleich Vorzügliches, stehen technisch und ästhetisch auf
gleicher Stufe.

Anders der extreme Realismus oder Natu-
ralismus. Seine Technik mag neue Mittel bilden,
die am rechten Ort einen Fortschritt der Kuust be-
deuten. Das ist eine interne Angelegenheit der Maler.
Was aber vor aller Welt Augen liegt, das sind die
Sünden des Naturalismus gegen Ästhetik, Komposi-

tion und Farbenharmonie. Was uns vor allem auf-
fällt, das ist das oft komische Mißverhältnis des
Vorwurfes zu der Größe der Leinwand. Für die
einsachsten und oft langweiligsten Landschaftsmotive
für höchst gleichgültige oder gar abstoßende Sitten-,
bilder werden nur zu häufig ganz riesenhafte Ver-
hältnisse gewählt. Die Geschmacklosigkeit in der Wahl
des Stoffes ist außerordentlich. Das erste beste Motiv
gilt für malerisch und wird genau so dargestellt, wie
es zufällig dem Auge erscheint. Diese so zu sagen
photographische Momentaufnahme anerkennt weder
Regeln der Ästhetik noch Gesetze der Komposition und
Farbenharmonie uud verschmäht es, nach diesen ihre
Studien nach der Natur umzugestalten. Daher be-
halten die Bilder den Charakter von Studien und
umsomehr, als in der Aufführung eine absichtliche,
breite Flüchtigkeit hervortritt, die genial aussehen soll,
aber oft genug zeichnerisches Unvermögen verdeckt.
Dazu hilft auch jene matte Sonnenbeleuchtung, welche
die Formen und Umrisse unbestimmt, die Linien auf-
gelöst, die Farben licht und matt erscheinen läßt. Die
französische Frei- oder Helllichtmalerei verzichtet so-
wohl auf kräftige Schatten wie (ungleich der unsrigen)
auf helles Sonnenlicht. Dadurch erhalten ihre Ar-
beiten, die schon in der Wahl des Stoffes so selten
ansprechen, jenes nns ungenießbare Flaue und Nüch-
terne. Der nngeheueren Monotonie der naturalisti-
schen Malwüste wohl bewußt, sucht sich nun der ein-
zelne Künstler durch mehr oder minder originelle
Behandlung und allerlei Geistreichelei persönlich her-
vorzuthun, wird barock und gar burlesk.

vr. Richard Graul hat ganz recht, wenn er in
der „Zeitschrift für bildende Kunst" die deutschen
Künstler mahnt, nicht in die Fußtapfen dieser „Ma-
nieristen" zu treten, „die es sehr wohl zu stande
bringen, über den Mangel an seelenvoller Tiefe, an
unabsichtlicher Naivetät und Aufrichtigkeit hinwegzu-
täuschen, bis der Erfvlg ihrer Leistung übertreibende
Nachahmung zeitigt, daß aller Welt die Augen auf-
gehen über ihre eitle Manier."

Diese Nachahmung steht überall in voller Blüte;
während aber Jtalienet, Holländer und teilweise auch
Belgier das fremde Gewächs ihrem Boden anpassen,
„brüsten sich viele deutsche und österreichische Künstler,
^ welche Frau Lutetia die Schleppe tragen, als über-
zeugte Anhänger der „neuen Formel" und vergessen
darüber ihr deutsches Empfinden, deutsche Gemüts-
und Geistestiefe." tzuoä Dsns vsrtat!

Die ganze Ausstellung zeigt den Kampf der alten
^ mit der neuen Richtung. Die Naturalisten hatten
^ trotz ihrer stark bestrittenen Leistungen die besten
Plätze erhalten, nun haben sie auch den Löwenanteil
von den Auszeichnungen davon getragen, von fünf
 
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