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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — 2.1886

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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Kunstgewerbliches aus München, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4121#0015

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Kunstgswerbliches aus München.

tausendfach, und diese Kraft ist's, die festgehalten
werden muß. Was nützt nns das Hervorhalen
aller nlten Muster, das fvrtwährende Vorreiten
von Fvrmen, deren Erfindung dem Geiste einer
anderen Zeit oder der Zeit eines auderen Geistes
entsprungen ist? Man kvmme doch da nicht
immer mit Phrasen, daß es dabei auf die Weiter-
bildung der produzirenden Künstler und Kunst-
handwerker ankomme, daß es sich um eine
Mehrung des Stoffes, an dem sie ihre Studien
machen können, handle. Wir solten binnen
wenig Jahreu alles das aufgetischt bekommen,
woran in der Entstehungszeit Menschen-
alter der Arbeit verwendet wurden, kurzum,
wir sollen mir nichts dir nichts den Katechis-
mus auswendig lernen, den uns ein paar sskk-
naaäo Priester aufzwängen. Nein! Gerade die-
jenigen, die am meisten für den „neuen Stil"
schwärmen, ihn den „unseren" nennen, als wären
sie Milchbrüder der großen Cinquecentisten,
sie sind's, die den ersten Nagel httmmern zum
Sarge, in dem die „deutsche Renaissance" (ich
bediene mich des landläufigen Ausdrucks) ruhen
wird, unabweislich ruhen wird, wenn nicht Ele-
mente mit ihr verbunden werden, die eine Rück-
kehr zum Studium der Formen ermöglicheu,
wie sie die Natur giebt, aus der wir ja doch
einzig und allein schöpfen können, ohne je sertig
zu werden.

Es steht außer allem Zweifel, daß Werke
wie G. Hirths Formenschatz der Renaissance
von epochemachender Bedeutung für die Ent-
wickelnng des Knnstgewerbes sind und ein wahres
Verdienst in sich tragen, jenes nämlich, wahr-
haft klassische Leistungen durch eine wvhlfeile
Vervielfältigungsweise aller Welt zugänglich zu
machen, ebenso andere Publikationen derselben
Verlagsanstalt. Sie haben entschieden dazu ge-
dient, einen fruchtbaren Samen hinauszutragen
in alle Richtungen. Das ist aber nur der eine
Teil zu den Bedingungen einer gesunden Weiter-
entwickelung. Der andere heißt:„Selbständiges
Studium, das sich seine Formen nach der
Natur zu bilden sucht."

Wir verwenden überall in der Ornamentik
tierische und menschliche Gestalten oder Kom-
binationen beider; warum sollen wir im vege-
tabilischen Ornament nicht auch zurückgreifen auf
die Natur, die an direkt verwendbaren Formen
ja so unendlich reich ist? Sollen wir immer
und immer den Akanthus aufgetischt bekommen,
der nun in Gottes Namen doch eiu wenn anch

noch so schönes, doch nicht unserem Boden ent-
sprossenes Gewächs ist! Sollen die tresflichen
Behaimschen Ornamentstiche nnd verwandte
Schöpfungen ganz cillein die maßgebende Richt-
schnur sein? Sollen wir immer und ewig den
unverstandeuen, unwähren Landsknecht, Pagen,
Ritter, Edelmann auf unseren Kunstvereins-
ausstellungen zu sehen betommen, bei deren
mondscheinsüchtigem Aussehen mit dem senti-
mentalen Zug sich das ganze sechzehnte Jahr-
hundert billig verwundern würde, könnte es sie
schauen. SollenwirjenenEnkelngleichen,die,weil
der Urahne ein tüchtiger Kopf war, bei dem
beharren, was er that, statt weiter zu bauen?
— Nein.

Wir wollen keinen altertümelnden Abklatsch
einer Zeit, die mehr künstlerischen Geist und
mehr Können besaß als die nnserige, wir wollen
das Wesen jener, die für ihre Zeit und im
Geiste ihrer Zeit schufen, kennen, aber nicht
schlechtweg kopiren, sonst geht's mit dem Kunst-
handwerk wie mit dem Antiquitätenhandel, in
dem heute Porcelaines, morgen Elfenbeinarbeiten
und übermorgen was anderes die gesuchte Ware
bilden. Schane einer die selbständigen, den Be-
dürfnissen unserer Zeit angemessenen Entwürfe
eines R. Seitz, Barth, Stuck, Seder an und er
wird sich sagen, daß die auf dem rechten Wege
sind; denn ebenso wie die Architektur unserer
Tage in Bezug auf gemalte oder plastische
Gliederungen andere Bedingnisse stellt, die künst-
lerisch gelöst zu sein verlangen, ebenso geht's
mit dem Kunstgewerbe unserer Tage und mit
seinen Produkten. Wir wollen es nicht gut-
heißen, daß auf dem gepreßten Sitzleder eines
Jagdstuhles die Scene dargestellt ist, wie ein
Bär oder eine Wildsau erlegt wird, so daß der
Sitzende in allernächste Berührung mit einer
wilden Kampfscene kommt. Wenn's auch noch
so gut gemacht ist, wir wollen keine rechtwink-
ligeu Folterstühle, bloß des echten Aussehens
wegen, noch den konstanten Dämmerschein dunkel
getäfelter Zimmer, weil's eben ein altdeutsches
Zimmer vorstellen soll, dessen undurchsichtige
Butzenscheiben von weitem jedem Vorübergehen-
den künden: „Hier wohnt ein kunstliebender
Mann, der in deutscher Renaissance macht."
Die Alten sollen unsere Lehrmeister sein, ja, in
der originellen Art und Weise, wie sie schufen,
aber wir wollen sie nicht schlechtweg kopiren.
Unsere Kostümfeste sollen mit vollem Recht den
Glanz und die Pracht vergangener Zeiten vor
 
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