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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 3.1892

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Wustmann, G.: Ein Leipziger Teppichweber des 16. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.4888#0065

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Aus dem Werke: Heiden, Motive (Leipzig, A. Seemann).

EIN LEIPZIGER TEPPICHWEBER DES 16. JAHRHUNDERTS.

MIT EINER TAFEL.

N DER Sammlung der Deut-
schen Gesellschaft in Leipzig
wird eine Tischdecke aufbe-
wahrt, eine Leipziger Arbeit
aus dem 16. Jahrhundert. Sie
stammt aus dem Besitz des
Rates, befand sich auch
früher im Rathause 1). Das
Mittelstück, das dazu bestimmt war, auf der Tisch-
platte aufzuliegen, ist 1,60 cm lang und breit, der
herabhängende Rand 35 cm breit, so dass die
ganze Decke 2% m im Geviert hat. In das Mittel-
stück sind fünf Wappen eingewebt, ein großes
kurfürstlich sächsisches in der Mitte, das Leipziger
Stadtwappen kleiner in jeder der vier Ecken, und
zwar ganz symmetrisch gestellt, so dass nicht nur der
Helmschmuck — die bekannten drei Federn — stets
nach der Mitte weist, sondern auch der Löwe zwei-
mal in der linken Schildhälfte nach links, zweimal
in der rechten nach rechts blickt. Der freie Raum
zwischen den Wappen und der ganze Rand ist mit
Wiesenblumen ausgefüllt, die aber weder in ihren
Grundformen, noch in ihrer Anordnung irgendwie
stilisirt, sondern mit ganz kindlichem Naturalismus
nachgebildet und neben einander gestellt sind, die
Rlüten von allen Seiten dem Mittelfelde zugekehrt,
so dass die Blumen aufwärts standen, wenn die Decke
auf dem Tische lag. Der Leipziger Rat hat aber
das schöne Stück nicht als Tischdecke verwendet —
dazu mag es ihm zu kostbar gewesen sein —, son-
dern als Wandteppich. Dabei hatte ihn aber der
Umstand gestört, dass, wenn der Teppich an die
Wand gehängt wurde, die beiden obern Wappen

I) Sie ist abgebildet und kurz besprochen im 8. Bande
der ..Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft" (Leipzig, 1883)
S. 13 fg.

auf dem Kopfe standen. Dasselbe war zwar auch
mit den Blumen am obern Rande der Fall, und die
Blumen rechts und links standen dann wagerecht;
das scheint aber die Augen der alten Ratsherren
nicht so beleidigt zu haben, wie die beiden ver-
kehrten Wappen. Um diese zu beseitigen, ließ man,
offenbar von dem Verfertiger des Teppichs selbst,
noch zwei besondre Stadtwappen nachwirken, ein
wenig größer als die im Teppich befindlichen, und
auf die beiden verkehrt stehenden Wappen aufnähen.
Das eine dieser aufgenähten Wappen befindet sich
noch jetzt an dem Teppich, das andre ist vor
einiger Zeit, als der Teppich photographirt wurde,
abgetrennt worden, wobei die ursprünglichen Farben
in voller Frische zum Vorschein kamen, und sich
auch die ursprüngliche Bestimmung des Stückes un-
zweifelhaft ergab.

In dem kurzen Text, der der Abbildung des
Teppichs in den „Mitteilungen der Deutschen Ge-
sellschaft" beigegeben ist, werden aber noch zwei
andre Teppiche als Arbeiten desselben Meisters in
Anspruch genommen: 1) der schöne Wandteppich,
der sich jetzt im Leipziger Kunstgewerbemuseum
befindet, das Urteil Salomonis, das früher, geschützt
durch einen grünen Vorhang, an der südlichen
Schmalseite des grossen Rathaussaales hing, da, wo
das Podium für feierliche Gerichtsverhandlungen auf-
geschlagen zu werden pflegte; da sass dann der
Kriminalrichter wie ein zweiter Salomo unmittelbar
unter dem Urteil Salomonis; 2) ein kleiner Tep-
pich mit dem Bildnis Kaiser Karls V. im Besitz
des Königs von Sachsen. Dass der letztgenannte
Teppich von der Hand desselben Meisters ist wie
unsre Tischdecke, ist unzweifelhaft. In der Tisch-
decke sind unter dem kurfürstlichen Wappen in
einem Schildchen die Worte eingewebt: Gemacht
 
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