Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 3.1892

DOI Artikel:
Moser, Ferdinand: Barock, Rokoko und Zopf im heutigen kunstgewerblichen Unterricht
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4888#0089

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BAROCK, ROKOKO UND ZOPF
IM HEUTIGEN KUNSTGEWERBLICHEN UNTERRICHT.

VON FE BD. MOSER.
MIT ABBILDUNGEN.

ei»icgcHciHcHcMcH«iiiciifcll S IST noch gar nicht lange

,«>M«M«'I!W)M«>McM»M»M»M«>.

her, dass Barock- und Ro-
kokostilnur kunstgeschicht-
liches Interesse erweckten,
und noch vor einem Jahr-
zehnte konnte man in kunst-
gewerblichen Ausstellun-
gen Künstler und Gewerbe-
treibende vor den wenigen Erzeugnissen, welche
etwa im Stile des letzten Viertels des 17. oder gar
in dem des 18. Jahrhunderts gehalten waren, tiefste
Entrüstung über das „zopfige Zeug" aussprechen
hören. Heute bemühen sich jene übelwollenden Kri-
tiker nolens volens, möglichst im Geiste jener Stile
zu arbeiten. Ja dieser Gesinnungswechsel ging so
rasch von statten, dass es beispielsweise nur der
verhältnismäßig kurzen Zeit zwischen dem Beginn
und der Vollendung der bayerischen Königsschlösser
Herrenchiemsee und Linderhof bedurfte, um die
Tadler in Bewunderer zu verwandeln.

Somit scheint es, dass der „deutschnationale"
Stil, von welchem schon des öfteren ideale Schwärmer
geträumt haben, in absehbarer Zeit noch nicht „er-
funden" werden wird und wir ruhig weiter borgen
werden, bis wir — eben wieder von vorn beginnen
müssen. Noch sind wir übrigens nicht am Ende;
dies beweist, dass der nüchterne, wenn auch nicht
unschöne Louis seize-Stil, wenigstens in München,
bereits ab und zu bei Innenausstattungen von Re-
staurants etc. als Vorbild genommen wird.

Weit höher in der Gunst des Publikums stehen
freilich zur Zeit noch die Stile der Zeit Ludwigs XIV.,
der Regence und Ludwigs XV., kurzweg Barock-
und Rokokostil genannt, deren Formensprache dem
bedeutenderen Kunstgewerbetreibenden der Gegen-
Avart vertraut sein muss wie die französische Sprache
dem Kaufmann, will er nicht gewärtigen, bedeu-
tende Aufträge sich entgehen zu lassen.

Kann unter solchen Verhältnissen die kunstge-
werbliche Schule allen Ernstes gegen diese Zeitströ-
mung wirken wollen, wie dies schon von einigen
Kurzsichtigen gefordert wurde? Diese Frage beant-
wortet sich, wenn wir die Macht der Schule richtig
schätzen und nicht die irrige Meinung hegen, das
Kunstgewerbe einer Nation lasse sich vom Katheder
herunter in beliebige Bahnen lenken. Die Zeiten
sind vorbei, dass die wenigen Künstler, welche „so
tief herabsteigen" mochten, sich für das hilflose
Windelkind Kunstgewerbe zu interessiren, um ihm
auf die Beine zu helfen — dass diese wenigen so-
fort vom Staate mit Beschlag belegt wurden, um
ex officio für die Hebung der Kunstindustrie zu
wirken. Diese Leute erfreuten sich damals aller-
dings eines großen Einflusses, so in den siebziger
Jahren in Wien, München etc.

Es hat sich aber inzwischen ein kräftiger Nach-
wuchs herangebildet und der Staat wäre nicht in
der Lage, mehr als einen kleinen Bruchteil solcher
bedeutender Männer an seine Museen, Schulen und
industrielle Staatsanstalten zu fesseln; wobei gesagt
werden muss, dass es vielen angenehmer und ge-
winnbringender erscheint, sich nicht an den Staats-
wagen spannen zu lassen.

Wenn auch mithin die kunstgewerbliche Schule
nicht mehr die eigentliche Führung in Händen hat,
so bleibt ihr noch die große Aufgabe, das Kunst-
gewerbe zu unterstützen, indem es ihm junge Kräfte
vorbildet bezw. weiter ausbildet. Aber es wäre den
Meistern und ihren Gehilfen wenig gedient, wenn
die Schule nicht Fühlung mit der Werkstätte nähme,
wenn sie prinzipiell Front machen wollte gegen Stü-
richtungen, welche einstweilen die herrschenden sind.

Freilich — die mittelalterlichen Stile und die
des 16. bis Mitte des 17. Jahrhunderts bieten dem
kunstgewerblichen Unterricht nicht entfernt solche
Schwierigkeiten, als die Formen späterer Stilperio-
 
Annotationen