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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 3.1892

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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Naturstudium oder Vertrocknung?
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https://doi.org/10.11588/diglit.4888#0168

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13ü

NATURSTUDIUM ODER VERTROCKNUNG?

obachten. Darauf allein kann das übrige sich stützen.
Es bildet die Grundlage, es ist das vorwiegend archi-
tektonische Denken, nicht die malerische Anschauung.
Diese soll damit nicht etwa aus der Welt geschafft
werden, ist sie doch gerade jene Kraft, welche
notwendig wird, um mit der mathematisch fest-
gestellten Form erst den eigentlich künstlerischen
Bildungsprozess anzuheben. Aber sie kann — den
Dekorationsmaler etwa ausgenommen — nicht die
Dosis des Lernens für das Kunstgewerbe bilden. Das
Malen von Stilleben, von Bouquets u. s. w. wie es
an vielen Kunstgewerbeschulen behufs Herstellung
von Examenausstellungsblättern geübt wird, ist
wohl in den meisten Fällen ziemlich nutzlos. Meist
sind es, wie die Erfahrung lehrt, keine Arbeiten,
an denen man Freude haben kann. Vielmehr tragen
sie nur allzuoft den Stempel des Gequälten und
zeigen gleichzeitig, dass auch der Lehrer seine
eigenen Kräfte überschätzt hat. Zum wirklich freien
Entwerfen malerischer Dekorationen kommt es dabei
doch nur in den allerseltensten Fällen. Das wird
mehr oder weniger immer vom Schüler, seiner Be-
anlagung und der Art abhängen, wie er sein Auge
bildet. Beibringen lässt sich es sich nicht, ebenso
wenig wie man den Schüler dazu erziehen kann, aus
der Naturform auch gleich das stilisirte Ornament
heraus zu lesen. Auch das ist Sache der Beanla-
gung. Gerade dabei aber wird das Studium des
Organischen, Gesetzmäßigen die Grundlage bilden
müssen. Jede Erscheinungsform der Natur bedeutet
einen Gedanken. Wer diesen erfasst, versteht auch
die Form; wer an der Pflanze oder am tierischen
Körper den Konflikt zwischen Streben und Nieder-
drücken, mit andern Worten die Wirkung der Wuchs-
und der Schwerkraft in allen Wechselbeziehungen
beobachten lernt, lernt den gedanklichen Ausdruck
eines Gesetzes kennen. Daraus erhellt, dass die
Kunstform nur aus der Natur abzuleiten ist, und
weiter, dass man das stilistische Moment zuerst an
der Pflanze, überhaupt am Original kennen soll, ehe
man an die Lösung der Aufgabe geht, stilistische
Formen aus Naturgebilden herzustellen. Nur wer
von richtigen Voraussetzungen bezüglich der bis in
die letzte Faser hinaus auf Gesetzen beruhenden
Naturform ausgeht, wird dieselbe künstlerisch richtig
zu verwerten wissen. Das Erkennen dieser Ge-
setze, und das spricht wohl am stärksten für die
Neuerung im Unterrichte, ■— kann gelehrt werden;
der künstlerische Ausbau der Form aber nicht.
Wenn vorhin gesagt wurde, dass jede Naturform

einen Gedanken ausdrücke, so ist es nur eine weitere
Konsequenz, dass der Kunstform dieselbe Aufgabe
zufalle. Die gedankenlose Kopirerei, das Motive-
zusammensuchen aus allen möglichen Werken muss
auf diese Weise der eigenen gedankreichen Arbeit
Platz machen.

Eigentlicher Zweck des solchermaßen nach tek-
tonischen Prinzipien geleiteten Unterrichtes kann es
nicht sein, auch gleichzeitig die praktische Uber-
tragbarkeit für diese, jene Aufgabe zu lehren. Das
wird stets vom speziellen Falle abhängig sein, d. h.
die Form hat sich dem Zwecke anzupassen. Dass
eine große Reihe angewandter Formen auf diese
Art entstanden ist. braucht des weiteren nicht be-
wiesen zu werden. Schlagend allerdings zeigte es sich
bei einer ganzen Reihe von Naturabgüssen in Bronze,
die Professor Meurer gelegentlich eines Vortrages im
Kunstgewerbeverein zu München zusamt den Abbil-
dungen der künstlerisch ausgeführten Form vorwies.

Auf spezielle Beispiele der Meurerschen Theorie
hier einzugehen hat um so weniger Zweck, als das
gesamte von ihm zusammengetragene Material
binnen kurzem der Öffentlichkeit in einem illustrativ
reich ausgestatteten Werke dargeboten werden wird.
Die Zeichnungen in demselben, alle geometrisch,
nicht perspektivisch gegeben, sollen nicht den Zweck
von Vorlagen haben, sondern dem Schüler die Art
des Studiums und seine Entwickelung klar machen.
Er soll an der Hand derselben selbst das Natur-
studium betreiben, die Entfaltung eines Blattes z. B.
vom Hauptstiele nach allen Seitenverzweigungen
hin, das Verhältnis der einzelnen Rippenansätze und
der dabei in Betracht kommenden Winkel und end-
lich die dadurch bedingte Gesamtform erkennen
lernen, mit andern Worten das Skelett zur Grund-
lage des Aufbaues machen, die äußere Form nach
dem inneren, festgeliederten Wachstum bemessen.

Die Sache sieht sich etwas doktrinär an und
giebt wahrscheinlich vielfach Anlass zu Einwänden
aller Art. Es wird natürlich auch hier immer dar-
auf ankommen, wie der Lehrgegenstand behandelt,
ob er zum Ausgangspunkte einer verknöcherten
Methode wird oder nicht. Das hängt einzig und
allein vom Lehrer ab. Die Empfindung für das
künstlerisch feine Ausgestalten braucht dabei nicht
im entferntesten Schaden zu leiden; wo sie aber
auf logischem Denken fußt, wird sie weit höher
stehen als die beste Nachempfindung, und wäre sie
selbst vom Besten hergeleitet.
 
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