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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 9 (1. Februarheft 1911)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0220
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Anerkennung für ihn eingesetzt — viel rückhaltloser für ihn als etwa für
Dehmel selbst. Bedeutend verständlicher wäre es, wenn der Testaments--
vollstrecker seine Gereiztheit rückhaltlos gegen die ungeheure kompakte
Mchrheit der Kultur-- und Poesiefeinde richtete; die sind schuld, daß
Liliencrons Bücher nicht soviel Anklang fanden wie manche fade Mode-
ware. Oder wenn Dehmel all den schönen Grimm, über den er „im
Bedarfsfall" verfügt, gegen den schmählichen Geiz der Krösusse losließe,
die, sonderlich im Bereich der Hochgeborenen, dem Dichter materielle
Hilfe versagten. Den Literaturfrennden und den Literaten verdankte
Detlev von Liliencron schließlich doch alles, was er nach außen allmählich
erreichte. Er ist von vielen, vielen Seiten mit Liebe überschüttet wor-
den; das wollen wir doch nicht vergessen. Vielleicht lag es auch an
der Organisation der Hilfstätigkeit für den darbenden, aber wirklich
auch nichts weniger als „wirtschaftlichen" Dichter-Baron, daß nicht mehr
für ihn erreicht wurde? Noch Weihnachten klagt er bitter: „Die
Teutschen schickten mir »Huldigungstclegramme« (sie!), G ed ichtbücher,
Manuskripte und Honigkuchen. Alles billig, billig, aber keiner schickte
mir Geld. . . . Na, ich danke für Obst und mein Vaterland. S o also
sieht das Leben eines teutschen Tichters aus! »Deutschlands Lhrik edel-
stem Meister«, so hieß ein Telegramm. Ich übergebe mich vor Ekel."
Und: „Die Teutschen schickten mir Getichte und braune Kuchen.
Braune Lappen wären mir lieber gewesen. Ia, Kuchen!" Diese
Stimmung, diese überdeutliche Fordcrung habcn, trotz allem, die Massen
der Bewundcrer nicht gut vermuten können. Viele nichtkapitalistische Be°
wundercr Liliencrons hätten ihm sicher gern, einzeln oder gemcinsam, klin-
gende Münze zu Weihnachten oder zum Geburtstag verchrt, wenn sie ge-
wußt hätten, daß sie mit ihrcn mehr odcr minder bescheidenen Gabcn nicht
abgewiesen würden. Womit nicht gesagt sein soll, daß solche Unterstützungs-
methode ein crfreulicher Anblick in einem „Kulturstaat" sei. Das bcrührt
ein Thema, von dem hier schon oft die Rede war und bei andrer Gelegenheit
noch öfters zu sprechen sein wird. . . .

Die Klagen über die unaufhörliche Geldnot, über die grauenhasten
Demütigungen des Schuldners, über den Fluch der Armut und den
doppelt grausamen der Ver-Armung nehmen in Liliencrons Briefen
einen sehr breiten Raum ein, obwohl unendlich viel Gleichartiges nicht mit-
veröffentlicht wurde. Es ist oft peinlich, aber es ist auch erschütternd,
diesem Ringen, diesen Liebenswürdigkeiten für reiche Leute ohne Be°
deutung, dicscm chronischen Spiel mit dem Selbstmorde zuzusehn. Be°
mcrkenswert für die Erklärung seiner Nöte* ist seine geringe Eignung
zu bürgerlich rcgelmäßiger Erwcrbstätigkeit (an Versuchen vieler Art
ließ er es nicht fehlen), ferner die vornehme Gesinnung, die ihn niittel-
bar um einer Licbesheirat willen die aussichtsreiche Offizierslaufbahn
aufgcben und die Lltesten Wuchererschulden bcrücksichtigen ließ, die späte
und langsame Erkenntnis seines Dichterberufs und die Leidenschaft, die
ihn immer wieder in Neigungsverbindungen (dreimal in eheliche) mit
vermögenslosen Frauen trieb.

* Mir scheint, eins wird ost übersehn. Selbst Liliencron, wie er einmal
war, hätte in der spätern Zeit mit scinen Einkünften wohl „leben" können,
wenn nicht die alten Schulden immer mitgefressen hätten. A

(. Februarheft (M
 
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