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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

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Heft 14 (2. Aprilheft 1914)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0163

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schauung einer Koloristin abhängig
sind. Also nochmals: Vorsicht in
der Wahl des Fabrikanten! Vor
allen Dingen vermehre man nicht
die billigen Ansichtskarten. Man
verrät sonst seinen Geschmack, am
unrechten Ort zu sparen, zu deut--
lich. — Dagegen darf man wohl an
Farben sparen, es sei denn, daß
man eine Klientel unter der lieben
Iugend hat, und slch Kindersana»
torium nennt.

Damit ist nicht gesagt, daß die
Neklame nur die Farben der Dia«
konissen tragen soll. Eine farbige
Abtönung, eine geschmackvolle, far»
bige Einrahmung — wer hat was
dagegen?

Der Künstler im Kaufmann muß
sich dann darin zeigen, die Situcu-
tion auf vornehme Weise auszubeu-
ten und geschäftliche Mitteilungen
spielend an geeigneter SLelle mit-
anzubringen. Gasthäuser kleinerer
Ortschaften sollten dabei immer An«
gaben über die beste Verkehrsver-
bindung zugeben. Zu den Wahr-
Heiten, die nicht zu oft gesagt werden
können, gehören solche, die das Kurs-
buch menschenfreundlicher oder teil--
weise entbehrlich machen. Wegblei«
ben dürfen dagegen Behauptungen,
die geeignet erscheinen, als Konkur-
renzkartätschen zu rumoren. Außerst
wertvoll wäre es vielmehr, wenn es
das Glaubensbekenntnis von der
guten Freund- und getreuen Vach-
barschaft fertig brächte, Kollektiv-
karten zusammenzustellen, die <ruf
der einen Seite einen Lageplan der
betreffenden Gegend darstellen. Ge-
meinsamkeit fördert ja alle Ziele,
und Einigkeit macht stark. W. M.

Auguft Scherls Barbier

dem gescheiten Feuilleton eines
Oungenannten Schriftstellers lasen
wir kürzlich eine Mitteilung über
den pensionierten Zeitungsgewalti-
gen August Scherl, die ein allgemei-
nes psychologisches, ja bis zu einem

gewissen Grad sogar ein allgemeines
kulturelles Interesse hat.

Wir erfuhren zunächst, was uns
bei einemHeros der breitenMasse im-
merhin überraschte, daß Scherl men-
schenscheu gewesen sei. Aber eine
besondere Treppe erreichte er sein
abseits gelegenes Arbeitszimmer.
Alle Gefahr war für ihn ausgeschlos-
sen, auf Treppe und Flur einem
seiner Angestellten zu begegnen. So
scheu war er, erzählt der ungenannte
Verfasser, daß er zu gewissen Zei«
Len nicht einmal für die höchsten
seiner Beamten sichtbar war. Der
Verkehr mit ihnen wurde durch einen
Mann vermittelt, der ihm viele
Iahre seines Lebens als Barbier
gedient hatte. Den Barbier mußte
er sich ja nahekommen lassen, und
ihm schenkte er nun sein volles Ver-
trauen. „Dieser Barbier war ihm
etwas wie die Verkörperung der
Volksseele. Was ihm gefiel, mußte
tzunderttausenden gefallen. Er hatte
den literarischen Geschmack der brei-
Lesten Schichten, und er war eben der
einzige, mit dem Scherl noch zu
plaudern vermochte. Das tzaus
wuchs, Geheimräte, Professoren,
Iournalisten ersten Ranges, Kauf-
leute größten Stiles bezogen Mini-
stergehälter — aber dem kleinen
Barbier, der noch nicht vor gar so
langer Zeit seinen Laden aufgegeben
hatte, wurden sie alle bis zu einem
gewissen Grade untergeben."

Völlig neu ist die Methode nicht,
die Scherl nach diesen Zeilen ange-
wandt hat. Man hat schon früher
von Schriftstellern gehört, die ihre
Romane der Köchin zum Lesen
gaben, um ihre Wirkung auf die
breiten Schichten zu erproben. Neu
ist aber, daß hier das Experiment
bestimmenden Einfluß auf einen
Riesenbetrieb der Massen-
literatur gewonnen hat, daß ein
Barbier zum Vormund von tzun-
derttausenden gemacht wurde.

Wenn wir uns in kurzen Worten

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