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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

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Heft 14 (2. Aprilheft 1914)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0165

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Masse Auskunft geben. (Ls liegt
geradezu im Begriff, daß die Masse
sich selber niemals begreift.
Wenn sie es könnte, würde sie eine
verstandesmäßige Selbständigkeit
offenbaren, die den Begriff der gei--
stigen Masse wieder aufhöbe. Vor
lauter Lxaktheit aber sind wir so
sternhageldumm geworden, daß wir
diesen einfachen Tatbestand nicht
mehr begreifen.

Es ist in diesem Zusammenhang
ein wahrer Segen, daß die Tiere
nicht reden können. Wir wür-
den sonst einen Pavian zum Pro«
fessor der Zoologie, eine Kuh zum
Botaniker und einen Dorsch zum
Kritiker unserer Unterseeboote
machen. Erich Schlaikjer

Wohnungsnot auch in der
Kleinstadt

an lächelt, wenn das Auge
beim Lesen einer Provinzzei-
tung auf die berühmte Abteilung
„Eingesandt" fällt: idyllische Klein-
stadtnöte! Das Lächeln verschwindet
aber, wenn uns plötzlich ein Elend
daraus anblickt, das wir im Idyll
nicht vermuteten, weil wir's allein
für Großstadtelend hielten.

In einer Stolper Zeitung lesen
wir ein „Eingesandt", das die auf
den ersten Blick wunderlich an-
mutende Rnterschrift trägt: „Meh-
rere kaisertreue und gottesfürchtige
Bürger der Stadt Stolp." Es ist
ein Zeitdokument, wert, daß man's
aufhebt. Man sieht, wie die Ver-
fasser sich in unbeholfenem Denken
abmühn, den Grund ihres Elends
zu erfassen, wie sie gerecht sein wol-
len, aber das Ende nicht finden.
Wir geben folgende Sätze daraus
wieder:

„Wir Mieter von Stolp sind ge-
zwungen, mit einer Bitte nach tzilfe
uns an die Offentlichkeit zu wenden.
Hier in Stolp sind die Wohnungen
um ^8—25 Mark gesteigert worden,
eine Zweizimmerwohnung kostet 80

bis 90 Taler, wie soll ein Vater
von mehreren Kindern dieses bei
einem ortsüblichen Tagelohn von
2)80—5,00 Mark auftreiben? Aber
damit nicht genug, kommt man mie-
ten, so heißt es gleich, wieviel Kin-
der? Sind mehrere da, dann heißt
es: Nein, wir wollen nur Mieter
ohne Kinder. Wo soll man die las-
sen? tzelft uns, steuert dem Steigern
der Miete, wirkt dahin, daß auch kin-
derreiche Eltern Wohnungen erhal-
ten können. Die SLadLverwaltung
wird hierzu sagen, es ist keine Woh-
nungsnot. Aber wer kann bei den
teuren Lebensmitteln und da alles
im Preise gestiegen ist, 300—^50 M.
für eine kleine Dreizimmerwohnung
zahlen? Die Stadt müßte aber auch
die tzauswirte nicht zu sehr belasten,
denn ein Keil treibt den andern. Viel
macht auch der Wohnungszuschuß der
Beamten, die erhalten bis ^50 M.
Mietsentschädigung, bewohnen kleine
Wohnungen und sparen noch dabei,
während der arme Arbeiter und
tzandwerker alles von seinem sauer
verdienten Lohne bestreiten muß.
Darum bitten wir nochmals herzlich,
helft in der Not und steuert dem
Wohnungswucher. Die Wirte lassen
die Wohnungen eher leer stehen, als
daß sie sie an kinderreiche Eltern
vermieten, weil sie vom tzausbesitzer-
verein entschädigt werden."

Müssen wir wirklich, wie kürz-
lich der Staatssekretär des Innern
meinte, in der sozialen Gesetzgebung
zurückhalten?

Wahlprüfungen

on Zeit zu Zeit wiederholt sich
im Reichstag ein, wie der Drau-
ßenstehende denken sollte, peinliches
Schauspiel: die Entscheidung dar-
über, ob dieser oder jener Abgeord-
nete wirklich gewählt sei. Die Reichs-
tagsmitglieder glauben es wahr-
scheinlich selber, daß sie ihre Ent-
scheidung ohne jede Parteirücksich-
ten nach der reinen „Gerechtigkeit"
 
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