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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

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Heft 15 (1. Maiheft 1915)
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Wienecke, Christoph: Wir brauchen eine bürgerliche Kunst
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Schmidt, Leopold: Richard Specht über Gustav Mahler
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0193

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zu empfinden, ist aber die erste Voraussetzung für die Verbreitung einer
Kunst) die wir im Gegensatz zur „großen" die „bürgerliche" nennen möchten.
(Ls muß also die Aufgabe einer bewußten künstlerischen Volkserziehung,
wenn man will: einer Kunstpolitik sein, das Qualitätsgefühl für Holz--
schnitte, Schattenrisse, Radierungen zu wecken. Wo das da ist, wird
zugleich auch das Verlangen nach eigenem Besitz solcher Kunstwerke er-
wachen, ein Verlangen, das nicht unbedingt am Geldbeutel scheitern muß.
Daß es an künstlerischen Kräften nicht fehlt, die eine gute bürgerliche
Kunst schaffen können, scheint zweifellos, es fehlt nur an Aufnahme«
fähigkeit, das bedeutet: an Absatz, und das bedeutet wieder: kleine
Auflagen, die ihrerseits hohe Preise bedingen. Von hier aus wird man's ver-
stehn, wenn der Kunstwart durch geeignete Druckschnitte immer wieder
auf die Kunst hinweist, die von so vielen neben der „hohen" Kunst
übersehen wird. Eine solche Augenerziehung ist wichtiger als die Lin-
führung in modernste Kunstsensationen, die kommen und vergehn und
von deren Dasein nichts bleibt als ein paar SLücke in den Galerien,
die vielleicht nach einer Aeihe von Iahren als völlig überwunden in die
Keller gesenkt werden. !

Andre Wege, Kunst und Volk wieder zusammenzuführen, gibt es nicht.
Wir sind nun einmal ein Massenvolk geworden. Aber wir könnten eins
sein, das nicht auf die Durchbildüng der Einzelpersönlichkeit verzichtet.
Dazu brauchen wir die Kunst. Es kann nicht auf die Dauer geschehn,
daß der weit überwiegende Großteil der künstlerischen Arbeit in äußeren
Formen erscheint, die mit dem heutigen Leben nicht zusammenstimmen.
Die Kunst hat heute die Aufgabe, nicht nur für Kirchen und Schlösser,
sondern auch für die Wohnung des Bürgers und Arbeiters zu sorgen.
Rnd nicht nur „nebenbei". Dürer hat auch in die tzolzschnitte und Kupfer-
stiche seine ganze Kraft gelegt, und es fragt sich noch, ob wir heut
etwa seine Stiche vom tzieronymus im Gehäus, vom furchtlosen Ritter
und von der Melancholie lieber entbehren würden, als drei seiner Gemälde.
Das äußere Mittel der Kunst ist ja immer nur geschichtliche Zufälligkeit.
An sich ist eine Blüte des DruckschnitLs durchaus nicht weniger wertvoll
als etwa eine Blüte der Staffelmalerei; es braucht mit den billigeren
Mitteln keine Minderung des künstlerischen Wertes verbunden zu sein.
Es könnte sogar eine tzebung aller Kunstarten tzand in tzand gehn mit
einer bürgerlichen Kunst, die wirklich vom tzause getragen würde und
nicht bloß vom noch so nützlichen Museum. Christoph Wienecke

Richard Specht über Guftav Mahler

^VVE^enn bedeutende Menschen sterben, wird die Lücke, die sie hinterlassen,
^/D^nicht gleich immer so empfunden, wie gefühlvolle Bekrologe es
glauben machen wollen. Es ist, als ob etwas von den Strahlen,
die von ihnen ausgingen, noch eine Zeitlang in der Luft hängen bliebe;
auch schiebt sich breit der geschäftige Alltag davor und sorgt für stetig
sich erneuernden Interessenersatz. War aber der Entschwundene wirklich
ein Eigener und ein Großer dazu, dann kommt die Stunde, wo die Lücke
sich fühlbar macht, und ein natürliches Verlangen erwacht, das Bild seiner
 
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